1 ...6 7 8 10 11 12 ...41 Auf den Schiffen war niemand mehr, alles andere hätte Kjell auch überrascht. »Warum nur haben sie keine Wachen aufgestellt?«, fragte sich Bjarne und sah sich unbehaglich um.
»Sie müssen genau gewusst haben, wann die Winterfahrer aufgebrochen sind«, vermutete Kjell.
»Ich glaube, es waren die Sklaven«, sagte Hjordis. »Sie haben so etwas wie ein... ein... wie nennt man das?«, fragte sie Kjell.
»Ein Kundschafternetz? Verdammt! Und Oren hat nichts bemerkt?«
»Das fragst du mich? Woher soll ich das wissen?« Schon war sie wieder wütend und wollte den Platz wechseln.
»Vorsicht, sachte!«, rief Kjell, weil sie das Boot gefährlich zum Schwanken brachte. Sie legten an und kletterten an Bord. Dabei ignorierte sie seine ausgestreckte Hand, was Kjell sich nicht länger gefallen ließ. »Jetzt hör mir mal gut zu!« Er riss sie herum und baute sich so dicht vor ihr auf, dass sie einander Aug in Aug gegenüberstanden. »Es ist mir egal, wer du bist oder wie deine Abstammung ist. In meiner Familie war das nie von Bedeutung, also tu nicht so, als würde ich dich mit jedem Wort niedermachen! Wenn man kämpft, dann muss einer Befehle geben, und das werde ich tun. Verstanden?« Er musste fast grinsen. Wenn diese Augen Dolche werfen könnten, er wäre längst tot. Er sah, wie sie mit sich rang, ihn zu schlagen oder einfach wegzugehen. ›Ja, schlag zu!‹, dachte er. Aber dann presste sie die Lippen zusammen und nickte knapp. »Gut.« Er holte tief Luft. »Bjarne, geh rüber auf den anderen Kahn und sieh zu, was du an Waffen, Teer und Geschossen findest. Und Vorräten. Die sollten wir an Land bringen. Wir beide sehen uns hier um.«
»Was hast du vor?« Wider Willen neugierig geworden, folgte Hjordis ihm unter Deck.
»Das weiß ich noch nicht so genau«, gab er offen über die Schulter zu. »Lass uns erstmal schauen, was wir hier haben. Dann entwerfen wir einen Plan.«
»Einen Plan?«, schnaubte sie belustigt, auch als kleine Rache für eben. »Hör dich doch mal an! Einen Plaaaan! Segeln wir doch einfach nach Saran und greifen sie an.«
»So wenige gegen vielleicht Hunderte von Kämpfern? Das schaffen wir nicht.« Im selben Moment trat sie in einen Lichtstrahl, und er sah in ihre Augen. Sie wusste es, wusste es ganz genau, wollte ihn nur ärgern. »Bist du hier, um Haarspaltereien zu betreiben oder um zu kämpfen und zu siegen?« Damit ließ er sie stehen und begann zu stöbern.
Wieder an Land, hatte Kjell nicht ein Wort mehr mit ihr gesprochen und sich seinen Plan zurechtgelegt. Sie hatten zwei volle Boote an Vorräten erbeutet und Bogen, Pfeile und mehrere der Geschosse.
»Sie wollten mit Sicherheit nach Saran zurückkehren und dort mit den anderen kämpfen«, sagte Kjell zu seinen Freunden. Sie hockten im Hafen beieinander, während die Frauen immer noch die Trümmer durchsuchten. »Also sollten wir tun, was sie erwarten, und erst im letzten Moment zuschlagen.«
»Zuschlagen?« Phorsteinn verstand nicht.
Da grinste Kjell. »Kannst du schwimmen?«
Sie mussten üben, das Manövrieren und das Schießen. Diese Schiffe waren ganz anders als die ethenischen Lastensegler, die sie sonst kannten, oder die schnellen saranischen Schiffe. Kjell glaubte sich aus den Erzählungen seines Vaters und Onkels zu erinnern, dass sie mehr wie ein Ragai-Schiff gebaut waren. Sie waren wesentlich höher als die saranischen Schiffe, auch schwerfälliger und sehr breit. Es gab ein richtiges Unterdeck mit Laderaum und einer doppelten Reihe Ruder, die Kjell aber nicht nutzen wollte. An Deck stand jeweils ein kleines Katapult. Bis sie sich damit vertraut und die Schiffe bereit gemacht hatten, war es Abend geworden. Die Toten hatten sie an Deck festgebunden, als Tarnung, damit es aussah, als würden die Ethenier ihre Schiffe immer noch selbst steuern. Kjell wusste nämlich nicht, wie lange man von hier nach Saran brauchte und ob sie dort im Dunkeln oder im Hellen ankommen würden. Sich selbst hatten sie mit Ruß eingeschmiert, damit man ihre helle Haut und Haarfarbe nicht von Weitem erkannte.
Bei Sonnenuntergang segelten sie los, er selbst und Hjordis auf dem einen, Bjarne und Phorsteinn auf dem anderen Schiff. Sie hatten jeweils ein halbes Dutzend Frauen, teilweise sogar noch Mädchen dabei. Während Phorsteinn mit ihnen schäkerte und Bjarne sie mit gutmütigem Spott bedachte, hatte Kjell nichts weiter als kalte Verachtung für sie übrig, und das lag daran, wie sie Hjordis behandelten. Kein gutes Wort hatten sie für ihre Lebensretterin übrig, ihre Hilfe, die Trümmer zu durchsuchen, war kalt abgelehnt worden, ja, sie hatten sogar so getan, als wolle Hjordis stehlen. Es war ein unschöner Einblick in die saranischen Sitten und Gebräuche, den er da erhielt, und er erkannte nicht zum ersten Mal, wie ungewöhnlich es in seiner Familie zuging und welches Erdbeben es ausgelöst haben musste, als sein Großvater Roar damals eine Clanlose zur Frau genommen hatte. Sie glaubten offenbar, eine Clanlose sei gleichbedeutend mit einer Hure und Diebin, und das gefiel ihm gar nicht.
Kjell hatte zunächst überlegt, ob er nicht die restlichen Schwerter holen und an die Frauen verteilen sollte, aber nach diesem Vorfall sah er davon ab. Irgendwie glaubte er zu spüren, dass er seine Waffen dann auf Nimmerwiedersehen verloren hätte, zumal kaum eine von ihnen mit einem Schwert richtig umgehen konnte. Sie nahmen sich lieber die Dolche und Äxte und Bogen der Ethenier. Sollten sie damit zurechtkommen, dachte er verächtlich.
Deshalb scheuchte er seine Frauen auch gnadenlos herum, wie beim gildaischen Heer, was sie nach erstem Protest – bis er drohte, sie ins Wasser zu werfen – auch widerstandslos und willig über sich ergehen ließen. Ganz im Gegenteil, im Laufe der Nacht kam sogar so etwas wie Bewunderung für ihn bei den Frauen auf, und je mehr es wurde, desto biestiger wurde Hjordis. Er wollte ihr nicht vor allen anderen helfen, also behandelte er sie genauso barsch wie die anderen, und wenn sie bockte, nutzte er ihre Schwäche gnadenlos aus: Sie konnte nämlich nicht schwimmen, und nichts hätte sie mehr vor den anderen in Gefahr gebracht. Die Frauen hätten sie mit Freuden über Bord gehen lassen. Mittlerweile konnte er deren Verhalten nur noch als Hass bezeichnen. Er fragte sich immer mehr, was da wohl vorgefallen war, hütete sich aber, Hjordis in Gegenwart der anderen danach zu fragen. Das würde er später tun. Oder nie. Je nachdem, ob sie überlebten oder nicht.
Je weiter sie südwärts segelten, desto dunkler wurde die Nacht und desto deutlicher wurde, dass etwas nicht stimmte. Der Horizont wurde heller, und bald war klar, warum.
»Saran brennt!« Wie eine verängstigte Herde Schafe drängten sich die Frauen und Mädchen aneinander.
»Dann wird es höchste Zeit, ihnen zu helfen!«, knirschte Kjell und legte das Schiff noch etwas härter an den Wind. Ein paar Befehle brachten die Frauen wieder auf Trab und lenkten sie von ihrer Furcht ab.
Nur Hjordis blieb bei ihm. »Kommen wir zu spät?«, fragte sie leise und gar nicht mehr so biestig.
»Das werden wir bald wissen. Hör zu, sobald wir die anderen Schiffe beginnen zu beschießen, schicke ich die Frauen von Bord. Dich aber brauche ich hier. Wir müssen das Schiff in Brand setzen und dann erst springen. Ich helfe dir an Land.«
»Ich nehme ein Brett, keine Sorge!«, schnappte sie und wandte ihm den Rücken zu. Kjell rollte nur mit den Augen und ließ sie in den nächsten Stunden in Ruhe.
»Seht euch das an, die ganze Festung steht in Flammen!«
Die Sterne verblassten langsam, und im Osten hinter den Bergen wurde es ein wenig heller. Dennoch war es auf dem Meer beinahe taghell. Die Feuer leuchteten weit auf die See hinaus.
»Hjordis, übernimm das Ruder. Das will ich mir ansehen.« Kjell wartete ihre Antwort nicht ab. Er ließ sie einfach stehen und kletterte den Mast empor. So etwas wie einen Ausguck besaßen die ethenischen Schiffe nicht, deshalb klammerte er sich dort oben mehr schlecht als recht an einem Tau fest.
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