1 ...8 9 10 12 13 14 ...41 Er merkte nicht mehr den beißenden Rauch, die Hitze des Feuers. Alles, wonach er strebte, war, möglichst viele Feinde auf sich zu lenken und die anderen vor Schaden zu bewahren. Wurde eine der Frauen getroffen, fühlte es sich an, als wäre er selbst verwundet, er wusste auch nicht, weshalb das so kam. Nur bei seinem Bruder, Phorsteinn und Hjordis war das nicht so, bei ihnen wusste er einfach, sie kamen zurecht.
Doch im Rausch des Kampfes kam ihnen das Gespür für die Gefahren abhanden. Plötzlich krachte und knirschte es laut, der Boden sackte unter ihnen weg. Der ganze Trümmerhaufen geriet ins Wanken, sodass sie von den Füßen gerissen wurden. Hjordis, die von ihrem erhöhten Posten alles besser im Blick hatte, erkannte die Gefahr als erste: Die Schiffe brachen auseinander, auch sie war eine Mannhöhe nach unten gesackt.
»Runter von den Schiffen!«, schrie sie. »Sie sinken, schnell!«
Kjell war zuerst wieder auf den Beinen. Er packte das ihm am nächsten liegende Mädchen und zerrte es zu einer einigermaßen sicheren Stelle. »Spring!« Dann trieb er die anderen von Bord, erledigte dabei noch ein paar Feinde und sah mit raschem Blick, dass auch sein Bruder und Phorsteinn sich anschickten, den sinkenden Trümmerberg zu verlassen. Nur Hjordis stand oben an der Reling und klammerte sich mit schreckgeweiteten Augen daran fest. »Hjordis! Spring!« Doch sie schüttelte wild den Kopf, sodass Kjell nichts anderes übrig blieb, als zu ihr hochzuklettern.
Das Heck ihres Schiffes lag bereits bedenklich tief im Wasser, das Feuer war beinahe schon erloschen. Das machte es Kjell leicht, sie hatten eine richtige flache Rampe in die See. Er riss Hjordis’ verkrampfte Hände brutal von der Reling los, sodass sie schmerzhaft aufschrie, und zerrte sie hinter sich her ins Wasser. »Halt dich an mir fest!« Er legte ihre Arme um seine Schultern und stieß sich so schnell ab, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als sich festzuklammern. Hinter sich hörten sie das Bersten von Holz und das Zischen verlöschender Flammen. »Halt dich an mir fest, sonst ertrinkst du!«, rief er überflüssigerweise und schwamm, so schnell er konnte, von den sinkenden Trümmern fort.
Das Wasser kam ihm nach dem Kampf und dem Feuer eiskalt vor und nahm ihm kurzzeitig den Atem. Einen Moment wollte Panik ihn überkommen, weil er seit vielen Jahren nicht mehr geschwommen war und ihn Hjordis’ Gewicht unter Wasser zog, aber was sein Körper einstmals gelernt hatte, verlernte er nie wieder, das merkte er sehr schnell. Sein Instinkt übernahm das Handeln, und er umrundete mit kräftigen Zügen die Trümmer und hielt auf den Strand zu.
»Alles in Ordnung?«, rief er über die Schulter.
»Ja!« Hjordis hustete und spuckte Wasser. »Los, schwimm zu!«
»Hilf mir, wenn du kannst!« Er legte sich mächtig ins Zeug, und tatsächlich, schon bald merkte er, wie sie von hinten schob. Sie wurden so schnell, dass sie die anderen bald eingeholt hatten und als erste wieder Grund unter den Füßen spürten. Er schwamm noch ein wenig weiter, bis die Brecher sie nicht mehr so umwerfen konnten, hockte sich hin und gestattete sich, einen Moment zu verschnaufen. Ungeübt, wie er war, war er völlig außer Atem. Dabei spähte er den Strand aus. Nun konnte er alles gut erkennen. Sämtliche Feinde hatten sich hinter ihren umgedrehten Beibooten verschanzt. Sie beschossen die Festung, aber nicht mit voller Kraft. Anzugreifen getrauten sie sich offenbar nicht mehr, aber es hatte Versuche gegeben, wie er an den umstürzten Leitern und den vielen Toten vor der Palisade erkannte.
»Da sind Bjarne und Phorsteinn und die anderen«, zischte Hjordis in sein Ohr. Sie schwammen zu ihnen und nutzten wie sie die Brecher und umherschwimmenden Trümmer als Deckung.
»Verluste?«, fragte Kjell sofort.
»Wir vermissen zwei Mädchen. Hoffen wir, dass sie woanders an Land gelangen konnten«, keuchte Bjarne. Er hatte eine tiefe blutige Scharte im rußgeschwärzten Gesicht und sah Regnar ähnlicher denn je.
Kjell kniff die Augen zusammen. »Ich glaube nicht, dass die dort vorne der Rest sind. Sonst wären ihnen ihre Kumpane auf den Schiffen doch längst zu Hilfe gekommen. Wir müssen ihre Nester ausheben, dann sehen wir weiter. Verbergt euch zwischen den Trümmern und bewegt euch im Wasser, bis ihr hinter ihnen seid, und passt auf, dass ihr nicht Ziel unserer eigenen Schützen werdet. Ich nehme das erste hier vorne, ihr die hinteren. Los, ab mit euch!«
Er wartete, bis Bjarne und Phorsteinn im Wasser bis auf Höhe der anderen Beiboote geschwommen waren. Sie verbargen sich gut, sodass weder die Feinde noch die Schützen auf der Palisade merkten, was vor sich ging. Unterdessen suchte Kjell fieberhaft den Strand ab. War da ein Ragai? Lebte er noch? Versuchte er auf der anderen Seite, in die Festung zu gelangen?
Als die anderen soweit waren, hatte Kjell einen Plan. »Hjordis!«, zischte er. »Ich will wissen, wo der Ragai steckt. Schieß einen von ihnen ab. Mal sehen, wo er zum Vorschein kommt!«
»Na, hoffentlich hat mein Bogen das Bad überstanden«, schnaufte Hjordis. Sie zog einen Pfeil hervor und spannte ihn probeweise, das Ganze immer noch bis zur Brust im Wasser. Es ging gut.
Kjell trieb die anderen an. »Schnappt euch ein paar Trümmer und schiebt sie vor euch her, dann habt ihr etwas Deckung, wenn ihr aus dem Wasser kommt. Los, los!« Er nickte Hjordis zu, und sie schoss.
Ihr Schuss hätte nicht verheerender wirken können. Wie aufgescheuchte Tiere stoben die Feinde auseinander und wurden so leichte Beute für die Schützen auf der Palisade. Kjell hielt seine Leute wohlweislich im Wasser in Deckung, damit sie nicht getroffen wurden. Nur wenn ihre Gegner sich wieder verkriechen wollten, kamen sie aus dem Wasser empor und trieben sie wieder aus ihrer Deckung. Ihre Handlungen wurden von immer lauter werdenden Triumphschreien auf der Palisade begleitet, doch Kjell empfand keine Freude, als der letzte der Feinde fiel. Sollten das etwa alle gewesen sein? Das konnte nicht sein, und er behielt recht.
Kaum waren sie alle aus dem Wasser gewatet, erklangen Alarmschreie von oben, und dann kamen sie, zu Dutzenden, aus den Dünen.
»Achtung!«, brüllte Kjell los. »In Deckung, hinter die Boote!« Jetzt waren sie es, die dort Schutz suchten, während von der Siedlung her ein Pfeilhagel auf die Feinde niederging.
Doch es half nicht viel. Die Saraner schienen grauenhafte Schützen zu sein, und außerdem wussten die Ethenier genau, wie weit ihre Pfeile reichten, und hielten sich am Saum des Wassers hinter ihren Schilden verschanzt, sodass keiner traf. Kjell beobachtete genau, wie sie sich verhielten, und wunderte sich über diese Präzision. Doch dann hatte er ihn gefunden, den Anführer. Kaum auszumachen in der dunklen Masse der Gegner, schritt er gelassen hinter den anderen her am Saum des Wassers entlang, als ginge ihn das alles gar nichts an. Nicht einmal seine Waffe hatte er gezückt. Er wusste, er war nicht in Gefahr.
»Bjarne, Phorsteinn!« Kjell rannte geduckt zu dem vordersten Boot, wo sein Bruder lag. »Seht ihr ihn? Können wir ihn von hier abschießen?«
»Zu weit weg! Wir müssen näher heran«, zischte Bjarne.
»Ohne Deckung? Das ist verrückt! Wir warten«, entschied Kjell.
Doch die Feinde waren nicht dumm, ganz besonders der Ragai nicht. Sie blieben gerade außerhalb der Reichweite der Pfeile, was auch die Schützen auf dem Wall erkannten und ihren Beschuss gänzlich einstellten. Es entstand eine Pattsituation, es ging nicht vor und nicht zurück.
Mittlerweile waren auch Hjordis und die anderen Frauen zu ihnen aufgeschlossen. Immer heller wurde es im Osten, und dann sandte die Sonne die ersten Strahlen über die Berge auf die rauchende Siedlung. Jetzt konnten sie erstmals erkennen, welche Schäden die Festung davongetragen hatte. Die Palisaden wiesen etliche zertrümmerte Stellen auf und waren notdürftig wieder versperrt worden. In der Siedlung rauchte es noch immer, wenn es auch keine meterhohen Flammen mehr gab.
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