Komisch: ein verhaltener Beginn. Kein Saus und Braus, wie es zu vermuten war von einem auf Glamour und Chuzpe festgelegten Spice Girl. Der mittelmäßige Opener „Feels so good“ jedenfalls ist von einer Transparenz und Unaufdringlichkeit, als fühlte sie sich wirklich wohl in ihrer Haut, die zur Melanie gewachsene Mel B. Es geht betulich weiter, und irgendwann wird schmerzlich klar: Diesem Album fehlt alles, was die Spice Girls groß machte – Verve, Power, Tempo. Plinkersoulpop mit Hupfdohlenchorsätzen, müde, verhalten, weder hot noch cool, sondern lauwarm. Nur bei „Step inside“ fängt das Plinkern an zu perlen, nur hier geht die Seichtheit über in eine mit Latinprisen abgeschmeckte Leichtigkeit, die guten Chartspop auszeichnet.
Michael J. Sheehy
„Sweet blue Gene” (2000)
Es war einmal ein Sänger, den seine Arbeit bei einer zwar in Fachkreisen geschätzten, jedoch nur mäßig erfolgreichen Band namens Dream City Film Club nicht ausfüllte. Und wegen des mäßigen Erfolgs hatte der Sänger auch keine Mittel, sein Solowerk zu realisieren. „Ich habe mich bei Freunden verschuldet, um dieses Album produzieren zu können“, sagt Michael Sheehy, und seine Freunde werden sicher berührt und bewegt sein von der Stille, Konzentration und streichergetragenen Würde dieser Songs, doch um ihr Geld wird ihnen sicherlich ein wenig bange werden. Solche Musik spielen zwar Freie Senderkombinate rücksichtslos tagsüber, aber kein anderer Sender selbst nachts nicht, zu schweigen von MTV und Viva. Ein zauberhaft trauriges, verhuscht produziertes Album für Nachtschwärmer und all jene, die schon immer mal hören wollten, wie es klingen könnte, wenn Tim Hardin und Peter Green gemeinsam den Blues haben.
Michel Petrucciani
„3 Concerts inédits” (2000)
Eine bestechende Idee: Verdiente Jazzer bekommen vom Dreyfus-Label ihre ganz spezielle Livedreierbox. Auf der ersten CD spielen sie solo, auf der zweiten im Duett und auf der dritten, Sie ahnen es, im Trio. Ein Konzept, das Kreativität, Virtuosität und nicht zuletzt Teamfähigkeit der Geadelten nachspürt. Der kleine Gigant Michel Petrucciani weiß auf allen Feldern zu überzeugen. Obwohl er halb auf den Schemel steigen muss, um die Tastatur in ganzer Breite nutzen zu können, hören wir nichts von diesem Handicap – im Gegenteil: Den perlenden Fluss seiner Läufe kriegen die meisten Langarme im Jazz nicht so hin. Dreyfus plant eine ganze Serie mit diesem Konzept; die Box des Akkordeonisten Richard Galliano ist bereits erschienen. Alle Aufnahmen sind unveröffentlicht, haben entsprechenden Sammlerwert und werden um ein 32seitiges Booklet ergänzt.
„Irgendwann ist es nicht mehr interessant, die tausendste Gitarrenband zu sein“, dämmerte den Würzburgern, und sie ließen die Klampfen auch mal weg. Nun ist es bei weitem nicht immer interessant, wenn eine Gitarrenband plötzlich nicht mehr die tausendste sein will, weil es ja bisher gute Gründe für ihr bisheriges Dasein gab – zum Beispiel den, dass man von Elektronik keinen Dunst hat. Miles aber haben Ambitionen, halten Ausschau und sehen am Horizont die Silhouette von Phil Spector oder einer anderen Metapher für vollfetten Pop, der sich türmt und türmt. Und siehe da: Im Aufschichten sind sie talentiert, im liebevollen Rückblick auf die 60er auch; und manchmal klingen sie wie die Turtles nach einem Zeitsprung in die 90er. Eine Band also auf dem Sprung zur Größe? Jedenfalls nicht mehr die tausendste Gitarrenband.
Mirwais
„Production” (2000)
Mirwais ähnelt Madonnas Exlover Sean Penn, und auf einem Stück singt wer mit? Madonna. Die Welt ist seltsam und klein. Mirwais Ahmadzal: Das ist italo-afghanisch, doch der 39-jährige lebt in Paris. Erst hatte er die Coverfarbe für sein Album – ein augenbetäubendes Pink –, dann erst die Musik. Die beginnt wie aus dem Bombentrichter: als zappenduster pumpender House, der durchzischt wird von Granatsplittern. Soundideen hat Mirwais en masse. Da kippt ein Elektrowave ins Akustische, ehe er einen vocodergestützten Refrain aus den Stimmbändern zaubert, der einem nachhängt. „I’m living in a happy world“, robotert er im „Naïve Song“ – ein Gefühl, das sich nach dem sicheren Erfolg seines fantastisch (selbst)produzierten Debüts noch verstärken dürfte. Aber am wenigsten dank Madonna.
Mojave 3
„Excuses for Travellers” (2000)
Nicht vergessen: Mojave 3, formiert aus den Überbleibseln der Shoegazeband Slowdive, sind Briten. Denn zu unbritisch, zu uramerikanisch sind ihre Stilmittel, zu wenig regenverhangen und doch tiefmelancholisch die Songs von Neil Halstead. Geisterhaft scheint diese Musik von Countrygaze umgeben zu sein, doch niemals liegt sie ihr eng an. Auch der Schwung des Country fehlt Mojave 3. Ihre Musik hat eher das Tempo des Sonnenuntergangs, und die Klanglandschaften aus Akustikgitarren, Orgel und Harmonika erinnern an alte Polaroids mit Patina. Eine Platte, die man im Zwielicht hören sollte, wenn die Grillen erwachen und die lästige Sonne endlich damit aufhört, die bittersüßen Stimmungen aufzuhellen. Neil Halstead nämlich weiß Bescheid: „The sun don’t love me/and it’s easy to cry.“
Es gibt kaum einen Musiker, der an seinem Legendenstatus leichter trägt als Peter Hook. Er wurde mit Joy Division unsterblich, auch wenn die Band mit Ian Curtis’ Selbstmord verschied. Mehr als 15 Jahre nach dem Ende der Legende formierte er mit David Potts die luftigleichte Popband Monaco, deren erstes Album 1997 Ohrwürmer im halben Dutzend abwarf. Die andere Hälfte fiel ab, und die neue CD liegt irgendwo dazwischen. Keine so hartnäckigen Popphrasen mehr wie auf Hälfte eins von Album eins, aber ein höheres Gesamtniveau als auf Hälfte zwei. Dieser Elektropop ist stets im Fluss, ein leichter Überschwang der Gefühle ist immer spürbar, und manchmal – wie in „Ballroom“ – schwappt alles über und hinterlässt seifige Pfützen auf dem Parkett. Darauf schliddern wir dann lächelnd durch den Tag.
Motörhead
„We are Motörhead” (2000)
Es ist Frühling, ein neues Motörhead-Album liegt auf dem Tisch wie jeden Frühling, es ist das 19. in der Bandgeschichte und klingt wie alle Motörhead-Alben, okay, nächste Platte … Halt, stopp: „We are Motörhead“ klingt doch nicht wie alle Motörhead-Alben. Sondern härter, schneller. Speed- statt Hardrock. Sie covern sogar „God save the Queen“, wo sie mit Johnny Rottens Worten behaupten, die Königin sei kein menschliches Wesen und habe keine Zukunft, was schon 1977 nicht ganz richtig war – aber jetzt, wo der Exilbrite Lemmy seine fetten alten Tage in Los Angeles am Pool verbringt, klingt das noch eine Spur bizarrer. Egal. Es ist Frühling, und Motörhead knüppeln die Blüten aus den Knospen. Schon in Ordnung so.
Nadine
„Lit it up from the Inside” (2000)
Schwer zu sagen, was aus Adam Reichmann (g, voc) und Todd Schnitzer (dr, keyb) aus St. Louis geworden wäre, hätte sich nicht irgendwann ein dürrer Hecht namens Neil Young aus Toronto gen USA aufgemacht, um die Rockwelt zu verändern. Dieses Album gäbe es jedenfalls nicht. Ihr Young-Epigonentum ist von seltener Unverblümtheit, daran ändern auch die später hinzugestoßenen Nadine-Mitglieder Steve Rauner (g, keyb) und Ann Tkach (b) nichts. Was Young auszeichnet – Herz, Schmerz und eine geringe Affinität zum sauberen Klang – haben auch Nadine, und manchmal haben sie sogar Songs, bei denen Neil anerkennend mit der Braue zucken würde. Aber wetten würde ich darauf nicht.
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