Laika
„Good looking Blues” (2000)
Ihr Stil besteht aus einer rhythmisierten elektronischen, oftmals durch Flöten, Gitarren, Klarinetten oder Trompeten verzierten Tonspur, die zuckt und funkelt und bezirzende Melancholie verströmt. Und als wäre dieser Klangraum eine Wolldecke und keine kühle Computermusik, kuschelt sich die Laika-Sängerin Margaret Fiedler tief hinein. Manchmal rezitiert sie, statt zu singen, und dann scheint sie sich in Anne Clark zu verwandeln, die in einer Hausecke hockt, um dem Regen zu entgehen. Es erstaunt nicht, dass Laika, die zu den innovativsten Soundskulpteuren der Welt gehören, das alte, erdige Wort „Blues“ wieder ins Spiel bringen. Musikalisch erinnert nichts daran, atmosphärisch schon. Auch im Internetzeitalter wird man gelegentlich von seinem Baby verlassen, und sage einer, das schmerze weniger als damals im Mississippi-Delta.
Schon auf der letzten CD mutierte Kurt Wagner zu Curtis Mayfield und veredelte den urtypischen Slo-Mo-Country von Lambchop mit Soul. Nun muss man fast von Reinkarnation sprechen, denn Kurt tut es wieder – und Curtis ist tot. Wenn er nicht im Falsett des Vorbildes singt (was ihn hörbar anstrengt), dann ist sein Gesang wie stets, nämlich gelassen, müde und wohlig erschöpft, als hätte er gerade ein Fitnesstraining hinter sich; und das passt perfekt zu episch-verhuschten Streichern und weichen Bläsern. Diesen Mix aus Country, Soul und Texmex wagte vor Lambchop niemand. Es sollte auch keiner mehr versuchen: Besser geht’s nämlich nicht. Und warum heißt das Album „Nixon“? Weil der olle Tricky Dick mal gesagt hat, Böden schrubben sei genauso würdevoll wie Regieren. Das musste Wagner einfach verewigen, das ging wirklich nicht anders.
Languis
„Unithematic” (2000)
Der Postrock von Languis klingt weniger autistisch als beispielsweise der von Tortoise, doch auch sein Ziel liegt in der Ziellosigkeit. Er gibt sich zufrieden mit dem Schaffen von Atmosphären, bewältigt von analoger Elektronik, in die Bass, Gitarre, Klavier und Drums kleine Dellen klöppeln. Nicht immer aber können sie verhindern, dass das Ganze in statischer Dissonanz erstarrt. Dann spielen auf einmal Chiffren wie „Rock“ keinerlei Rolle mehr; dann baden Languis uns in industriell angehauchtem Ambient („Counting the Days“). Ein andermal gibt gesampeltes Knacken den Rhythmus vor, und in der Ferne raunen Stimmen. „Unithematic“ ist ein Abgesang auf die Formen und Stile, die der Rock sich in fünf Dekaden erarbeitet hat – aber kein fröhlicher. Languis nehmen es einfach hin, und aus den Splittern und Trümmern des Zerfalls bauen sie still ein neues Universum.
LeAnn Rimes
„LeAnn Rimes” (2000)
„Dieses Album“, verheißt ein Sticker, „enthält einige der größten Songs, die je geschrieben wurden.“ Noch ehe sich freilich Empörung über die Arroganz eines 17-jährigen Countrykükens Bahn bricht, entdecken wir: Es stimmt. LeAnn covert Kristofferson („Me and Bobby McGhee“), Buck Owens („Cryin’ Time“) oder Hank Williams („Your cheatin’ Heart“). Allerdings hätte die Welt gern auf diese sterile Perfektion im Nashville-Stil verzichtet (ich habe sie gefragt!). Einzig bei Willie Nelsons „Crazy“ behauptet sich ein Rest jazziger Coolness gegenüber der niedlichen Soßigkeit des Restalbums. Countrymuzak für Millionen.
Lemmy, Slim Jim & Danny B
„Lemmy, Slim Jim & Danny B” (2000)
Lemmy covert Buddy und Johnny. Genau: Holly und Cash. Lemmy: von Motörhead! Immer schon träumte der Krächzking von einem Country- und Rock’n’Roll-Album, vermutlich, weil er es satt hatte, jedes Jahr zwei Motörhead-Alben lang hysterisch kreischen zu müssen. Zur Strafe klingt hier sein Gesang, als sei er in einer Toilettenkabine aufgenommen. Das ist schade, steigert aber den Bizarrheitsgrad des Albums weiter. Musikalisch hängt das Projekt trotz Drummer Slim Jim Phantom (einst bei den Stray Cats) und Gitarrist Danny B. Harvey schon ziemlich in den Seilen, aber Lemmys Klogesang gibt ihm endgültig die Kugel. Schlaffer sang noch nie einer „Lawdy, Miss Clawdy“, weniger Schmiss musste „Not fade away“ noch nie über sich ergehen lassen in seiner langen langen Geschichte. Lemmy, du klingst nach Möfahead.
Leo Philipp Schmidt
„Tracks II + Cembalo Concerto” (2000)
In Neustadt an der Weinstraße ist man normalerweise Winzer, meinetwegen auch Chirurg. Aber nicht all das auf einmal: Chirurg, Komponist, Multimediakünstler, Labelchef, Musiker, Maler, Orchesterleiter, Galerist, Filmkünstler … Wie Leo Schmidt. Er sprudele vor Ideen, wird geschwärmt, und kaum ist eine ausgesprochen, sei sie auch schon umgesetzt, von ihm und seiner Frau, die auch Chirurgin ist – und alles andere auch. Wann säbeln die Schmidts eigentlich mal Patienten auf? Bleibt überhaupt Zeit für Bypässe? Ihrem kruden Mix aus Avantgarde, Klassik, Ethno und (manchmal) Rock jedenfalls merkt man an, dass sie wirklich JEDE Idee umsetzen, und sei sie noch so winzig. Dabei sind sie meistens winzig. Sie wollen alles auf einmal und kriegen dadurch nichts richtig hin. Böse gesagt: Die Schmidts gerieren sich als Universalgenies, sind aber nur handwerklich halbwegs geschickte Flickschuster mit guten Kontakten. Musik für Oberstudienräte, die sich aus Eitelkeit eine kleine Extravaganz gönnen wollen, um im Toskana-Urlaub damit prahlen zu können.
Levellers
„Hello Pig” (2000)
Mit Hallgesang, Spector-Arrangements und Radikalstereo liefern die Levellers gleich im ersten Song („Happy Birthday Revolution“) die perfekteste John-Lennon-Kopie seit Jahren. Und es wäre gelogen zu behaupten, der Rest des Albums wäre frei von Lennons Einfluss. „Hello Pig“ zu hören, weckt Wünsche nach „Mother“, „God“ und einem großen weißen Flügel in einem großen weißen Raum. Doch nicht der Eindruck von Epigonalität setzt sich am Ende fest, sondern Anerkennung vorm souveränen Beerben der Vergangenheit, vor der liebevollen Aktualisierung eines unverkennbaren Sounds – und davor, dass die Schotten ihrem üppigen Pop manchmal so radikal dissonant zu Leibe rücken, als sei die Beatles-Collage „Revolution No. 9“ ihre Inspirations- und Dekonstruktionsquelle zugleich.
Liquido
„At the Rocks” (2000)
Damals, im Februar 1999, erschien das Debüt von Liquido aus Heidelberg, und es verband auf geschmeidige Weise Elektronik der 80er mit harten 90er-Gitarren zum (schnell so bezeichneten) Pullunderpop. Jetzt, mit Album zwei, merken wir, wie der Riesenhit „Narcotic“ alles überstrahlte – so hell, dass gar der Gesamteindruck geschönt wurde. Liquido sind die großen Songs ausgegangen, und wenn einer mal überdurchschnittlich gut ist (wie „At the Rocks“), dann nur deshalb, weil er sich allzu schutzbedürftig an „Narcotic“ schmiegt. Das zweite Album ist immer das schwerste, gut. So viel Bonus muss sein. Aber ziemlich langweilig ist er doch, der nach Epik strebende, aber ans Mittelmaß gefesselte Pullunderpop aus Heidelberg.
Hat es sich zu Ende gesampelt? Ist der Steinbruch Popgeschichte erschöpft? Zumindest scheint es so, wenn man sich dem betörenden Minimal House des Skandinaviers Vladislav Delay hingibt. Aus Funkfetzen, Discofäden und fernen Soulstimmen webt er seine hypnotisch zuckende und zumeist epische Elektronik, doch alle Stil- und Soundzitate hat er selbst begriffen, reflektiert und verarbeitet – ehe er sie neu erschuf und zeitgemäß veränderte, mit seinen eigenen Maschinen. Keine fremden Quellen; nur fremde Inspiration. Ein Album so kurzatmig wie tief, so elegant wie gazehaft. Und vielleicht eine neue Stufe des House.
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