Joni Mitchell
„Both Sides now” (2000)
Es grassiert ein allgemeines Resümieren, cherchez le Millennium. Nach George Michael interpretiert nun die Mutter aller Songwriterinnen ihre Lieblingslieder des letzten Jahrhunderts. Breit unterstützt von Orchester und Big Band, wagt sich die Sängerin im Stile Billie Holidays (und sogar mit deren Tremolo!) an Sinatra, Fitzgerald und eigene Klassiker. Sie ist keine Jazzsängerin, doch ihre Affinitiät zum Jazz zieht sich fast durch ihr komplettes Œuvre, und dieses aparte Album markiert den Übergang zum Alterswerk. Von nun an werden wir Begriffe wie Weisheit, Stil, Erhabenheit mit Jonis Namen verbinden und endgültig keine Hippieassoziationen mehr. Welcome to Lady’s paradise.
Joseph Arthur
„Come to where I’m from” (2000)
In den USA sehen sie ihn schon als Mix aus Cohen, Cobain und Waits. Fehlt nur noch Dylan; Mundharmonika spielt Arthur ja auch. Solche Vergleiche dürften dem New Yorker zu schaffen machen. Denn er will das Songwritergenre doch nur ein wenig peppen, indem er ihm Samples, Loops und Elektronik beifügt. Das geschieht behutsam, verbirgt allerdings auch nicht, dass ihm die Klasse erwähnter Kollegen noch abgeht. Aber das gilt ja wohl für fast alle Sänger mit Gitarre … Songs wie „Tattoo“, wo er verhalten hymnisch im Dreivierteltakt klampft und sich von Streichern verwehen lässt, sind äußerst hübsch. Und erinnern ans Solowerk von Jorma Kaukonen – um noch einen großen Namen zu nennen.
K’s Choice
„Almost happy” (2000)
Früher klangen die belgischen Geschwister Sarah und Gert Bettens wie eine emotionsärmere Ausgabe der Cranberries, was uns sehr recht war, weil das stets ergriffene Juchzen einer Dolores O’Riordan auf Dauer schwer erträglich war. Die Cranberries wurden poppiger, und auch K’s Choice sagen neuderings dem Land der aufbrausenden Gitarren ade. Sie spielen jetzt einen folkig unterfütterten Songwriterpop, der das Pathos lieber meidet. Wie in „My Head“: Just als der Song der Euphorie entgegenzuschwellen scheint, hört er leider auf. Der Produzent Tchad Blake (Pearl Jam) hat ein halbes Jahr am Album herumgedoktert; mal sehen, ob das den Durchbruch bringt. Zumindest „Busy“ jedenfalls steht halbwegs unter Hitverdacht.
Kathryn Williams
„Little black Numbers” (2000)
So behutsam hat lange keine Sängerin mehr den englischen Folksong der 70er wiederbelebt. Bisweilen erinnert die schüchterne Kathryn Williams an die ebenso introvertierte, verschattete Sandy Denny, die 1976 starb und eine große Lücke hinterließ. Ganz zart instrumentiert, mit kaum mehr als Akustikgitarre, Cello und hochvorsichtiger Perkussion pickt die Sängerin an der Eierschale ihres Gefühlslebens, und wenn ihr ein Song groß gerät, dann fallen einem plötzlich auch große Vergleiche ein. Wüsste man es nicht besser, man schriebe „Fell down fast“ dem Übervater des Britfolk zu, nämlich Nick Drake – von der hübsch verdrehten Melodie bis zu Verzweiflungszeilen wie „lost my money/lost my greed“: Da ist eine Verwandtschaft spürbar. „Soul Feed“ dagegen ist Belle & Sebastian pur. Ein Album, so altmodisch, dass man sich darin einkuscheln möchte wie in den alten Wollmantel vom Speicher, in dem man damals, vor Urzeiten, den langen Liebeskummerwinter überstanden hat.
Katja Werker
„Contact myself” (2000)
In ihrem tonlosen Gesang steckt alles drin: Hoffnungslosigkeit und verzweifelte Hoffnung zugleich, eine große Müdigkeit – und alle möglichen Grenzerfahrungen, über die Katja Werker nur in Metaphern singen mag. Ihre brüchige Stimme wird gehalten von zartbitteren Arrangements aus Piano, Keyboards, Gitarre, von ein paar Streichern, der schüchternsten Perkussion seit Erfindung des Trommelfells und Sven Regeners Trompete. Und so entstand eines der erstaunlichsten Singer/Songwriter-Alben, die je aus Deutschland kamen. „Music is the only language I know“, singt Katja Werker heiser, und noch während die Zeile verklingt, spüren wir: Dieser Satz ist kein abgedroschenes Klischee einer eitlen Künstlerseele, sondern das Fazit eines Überlebenskampfs, der noch nicht zu Ende ist.
Khan heißt eigentlich Can Oral, besitzt einen türkischen Vater, eine finnische Mutter, eine deutsche Vergangenheit, eine New Yorker Adresse und Hunderte selbst bespielte Maxis, EPs und Alben. „Passport“ bietet daraus einen winzigen Querschnitt. Zwischen Minimal Techno, Asian House und TripHop pendelt der Meister aller Klassen und scheut auch vor doofen Pseudonymen („Mass-Turbator“) nicht zurück, doch zum Glück singt er sie nicht. Hier ist alles synthetisch und instrumental – und manchmal sogar („Stay fresh“) so hypnotisch, dass man die restlichen Genres der Welt für ein paar Minuten vergisst.
Kieran Goss
„Red-Letter Day” (2000)
Wer den Iren interviewen will, wird von ihm gemeinhin ins beste Weinrestaurant der Stadt geführt. Und so wie die Tropfen, die dort auf Kierans Geheiß kredenzt werden, ist auch seine Musik: ein reiner Genuss. Manchmal zu rein. Dann ist der Songwriter mit Cello und Flöte plötzlich auf halbem Weg zum Pastellpop eines Chris de Burgh. Zumeist versteht er es aber, die bisweilen naive Schönheit seiner Songs mit schlichten Arrangements vorm Kitsch zu retten. Es sind Liebeswiegenlieder eines melancholischen Optimisten, der gern auch kleine Schwächen zugibt: „I thought I found the answer/but I heard the question wrong.“ Charmant. Ein Album so lieblich wie eine Spätlese aus einem mittelgutem Jahrgang – oder ein kalifornischer Zinfandel, der eine Überdosis Sonne abbekam.
Klaus Kinski
„Jesus Christus Erlöser” (2000)
Der Skandal war klar. Klaus Kinski vergriff sich 1971, mitten im „Jesus Christ Superstar“-Boom, am Neuen Testament. Deutschlandweit wollte der Filmrabauke seine Version von „Jesus Christus Erlöser“ auf die Bühnen bringen, und wie es so war bei ihm, der stets inkarnieren musste, um zu spielen: Er hielt sich selbst für den Heiland. So war es leicht für manche in der mit 4 000 Leuten fast vollen Berliner Deutschlandhalle, den richtigen Knopf zu drücken, um den Choleriker da vorne zum Ausflippen zu bringen. Gebrüll, Häme, fliegende Mikrofonständer: Kinski tobte, brach ab, kam wieder, floh erneut. Es blieb der einzige Auftritt seiner „Jesus“-Tour. Man hatte das Tier gereizt, es hatte zugebissen, wie geplant. Auf zur nächsten Attraktion. Für eine Doppel-CD reichte jener Abend dennoch, und wir dürfen noch einmal erleben, wie sich einer verschwendete, wie er alle Blicke auf sich zog und für viele doch nicht mehr war als ein Tier im Zoo. Bewegend.
Kraan
„Wiederhören” (2000)
Schon das Cover mit den vier verlegen bis verschmitzt guckenden Cordhosenhippies, ein offenbar nachkolorierter schlechter Scan, wärmt das Herz. Voilà, da ist es wieder, das 77er-Album „Wiederhören“ der deutschen Legende Kraan, die es wagte, dem boomenden Krautrock Jazz, Exotik und Groove unterzujubeln. Die Schulfreunde Peter Wolbrandt (g), Hellmut Hattler (b; heute Tab Two) und Jan Fride (dr) gingen gemeinsam durch Dick und Dünn und, dank ihres homogenen Sounds, weltweit erfolgreich auf Tour. „Wiederhören“, ein locker-leichtes Groovemonster, ist der Auftakt zu einer digital remasterten Neuauflage des Backkataloges. Manko dieser CD: die Ausstattung. Statt Booklet gibt es ein blamabeles Faltblatt. Das muss bei den nächsten Alben besser werden.
Kreidler
„Circles” (2000)
Kreidler waren immer die kreativsten E-Frickeler. In einem alten Düsseldorfer Postgebäude verbrachten sie die letzten Monate damit, diesen Ruf zu untermauern. Das gelingt ihnen brillant; was nebenbei noch abfällt, ist betörende Schönheit. Zunächst scheint alles nur Patchwork, verstreut liegen Mosaiksteinchen herum. Doch binnen Minuten formen sich Fetzen zu Mustern, arrangieren sich alle Partikel auf einer dunkel schimmernden Folie fein säuberlich zum großen Ganzen – wie Eisenspäne unterm Elektromagneten. Diese elf elektronischen Studien aus Beats’n’Bleeps und Synthiesounds sind kurz und bündig, doch könnten sie ausufern, könnten anwachsen; und hoffentlich tun sie das auch, wenn Kreidler ihre Maschinen live beschwören. Auf „Circles“ aber endet jedes Stück im Frust: Denn gerade, wenn es endet, waren wir in Bann geschlagen. Fazit: Das ist Pop!
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