„Das nächste Stück ist etwas leiser, ich sag’ mal: zärtlicher“: Ansagen wie diese (beim Konzert im März in Hamburg) zeigen, wie tief Peter Maffay noch im Wertesystem der späten 70er gefangen ist, als Ledermänner wie er anfingen zu zeigen, dass in jedem guten Macho tief versteckt ein – ich sag’ mal – Sensibelchen hockt. Lederhose, Muskelshirt, pralle Bizeps: Maffay bleibt Maffay, da hilft auch kein Jahrtausendwechsel. Auf „X“ kehrt seine Musik vom Ethnopop der „Begegnungen“ (1999) zurück zum bewährten Alten, ist mal kraftvoll, mal „zärtlich“, immer politisch korrekt und manchmal – holla! – ein wenig rappig. Das Erstaunlichste: Viele Songs, auch das formidable „Rette mich“, ließ er sich von Roh-Sänger Lukas Hilbert schreiben – ein offenbar käuflicher Auftragsschreiber, der mit Roh gemeinhin eine eher zynische Haltung gegenüber schlagernahen Kollegen pflegt. Aber es gehört ja zum Wesen des Zynismus: ihn bedarfsweise auch mal sein zu lassen.
Peter Schneider & The Stimulators
„Secret Mission” (2000)
Die Jahre als Begleiter von Willy Michl, Hans Söllner, Westernhagen und Wecker haben beim Gitarristen und Sänger Peter Schneider dazu geführt, dass er sich in manch dunklem Moment für eine deutsche Tom-Waits-Ausgabe hält, was ihn aber zu erschrecken scheint; gar zu rauhalsig will er nun doch nicht rüberkommen. Also lässt er seinen Kumpel Florian Sagner beruhigend klischeetriefende Softtrompetentöne blasen. Dabei – beim Klischeetriefen – wollen auch Bass, Drums und Congas nicht zurückstehen. Bei dieser Nachtmusik ist alles ein wenig zu perfekt und glatt und akademisch. Schneider und die Stimulators sollten alle mal die Instrumente tauschen; vielleicht hätte ihre Musik dann ein wenig mehr Herz.
Peter Thomas, Martin Böttcher & Nora Orlandi
„The Best of Edgar Wallace” (2000)
Smarter Big-Band-Grusel, heimeliger Barjazzschrecken, eingebaute Opferschreie oder auch mal fernsehorchesterhaftes Latinflair: Die Soundtracks der Edgar-Wallace-Filme überzeugten mit einem Trashappeal, dem auch im düstersten Moment – wenn Kinski im Halbschatten schwer atmete – eine gewisse Verschmitztheit nicht abzusprechen war. Das gilt vor allem für die Wallace-Soundtracks von Peter Thomas, während es bei Martin Böttcher deutlich mehr funkt und die Big Band fast zur Fusioncombo wird. Die nicht ganz so üppig mit Nachruhm bedachte Nora Orlandi dagegen zählt mit ihren transparenten Texturen zweifelsohne zur Thomas-Schule, obgleich sie die Sache manchmal melodisch allzu leicht nimmt. Ein Sampler für jede Plattensammlung – und für DJs ein Steinbruch für Samples.
Pink Floyd
„Is there anybody out there?” (2000)
Jetzt, 20 Jahre später, erscheint es fast wie ein Wunder, dass dieses Blähwerk nach dem reinigenden Tornado des Punk überhaupt jemand hören wollte. Doch das Album wurde zu einer Ikone, weil es, im Umfeld von Nato-Doppelbeschluss und sehr Kaltem Krieg, eine Stimmung von globaler Bedrohung und Isolation des Individuums verdichtete zu einer zweistündigen Opera furiosa. Es war das letzte Zucken eines Riesen. Die Band hatte Rockgeschichte geschrieben und setzte nun, schon in Agonie, einen riesigen Tupfer aufs monströse I ihrer Karriere. Vier mal spielte sie das Monument live; aus diesen Mitschnitten entstand dieses Doppelalbum – ohne Beteiligung des Autors Roger Waters, der vor zehn Jahren selbst „The Wall“ noch mal aufgeführt hatte und seither prozessiert mit den Kollegen. Gleichwohl ist die vorliegende CD die wirklich authentische. Eine sinnvolle, bisweilen sogar ins Swingen geratende Ergänzung zum Studioepos. Und wie es sich gehört für die bis ins Mark vom Bombast durchdrungenen Briten, mixten und modelten sie so lange am Sound herum, dass das Album beinah gar nicht mehr erschienen wäre. Der gewaltige Nachklang einer gewaltigen, aber schon lange verebbten Karriere.
Pink Martini
„Sympathique” (2000)
Als hätten sich Vaya Con Dios eine kubanische Backingband zugelegt – so klingt das. Doch Pink Martini bestehen aus einem Haufen US-Amerikaner, die in Portland fleißig perkussionieren, Trompeten und Posaunen blasen und auch an Saiteninstrumenten nicht Mangel leiden. Heraus kommt ein transparenter Sound, der mal nach Buena Vista Social Club klingt, mal unversehens ins Swingen gerät – oder „Que sera sera“ derart in Schräglage kippt, dass man diesen totgespielten Song erstmals zu hören glaubt. Das Album ist großartiger Höhepunkt und zugleich (hoffentlich) Abschluss des Kubabooms. Jetzt lasst es gut sein, Señores.
Stefan Betkes Musik duckt sich. Sie besteht aus lauter Lücken. Nein: Die Lücken sind nur größer als das Gewebe drumherum, und das Gewebe besteht aus Fehlern, aus den Beigeräuschen „richtiger“ Musik, nur dass diesmal, auf Teil drei der Serie, die Melodiepartikel noch seltener geworden sind. Betke recycelt Kollateralschäden, er verwertet vinylartiges Knistern und Knacken eines defekten Soundfilters, bis am Ende ein gespenstischer Dub dabei heraus kommt. Poles Zerrbild von Jamaika aber ist das einer Industrieruine, und zwischen den einzelnen Pfeilern dieses einstürzenden Altbaus ist der Raum weit und leer. Eine Musik, die gleichzeitig frösteln macht und wärmt. Dub aus dem All. Oder einem Ort, wo es noch leerer ist.
Presence
„All Systems gone” (2000)
„Das Album, welches Massive Attack gemacht hätten, wären sie mehr von House und Techno beeinflusst“, findet die Plattenfirma. Also TripHouse? Jedenfalls mit Shara Nelson, die schon mit Massive Attack … doch halt: Der Vergleich hinkt eh. Beim Hören dieses flockigenen Albums fällt uns viel eher der sonnige Phillysound eines George McCrae von 1975 ein als regenverhangener Bristol-Sound. Somit ist die „Future Logic“ des Introsongs eher eine der Vergangenheit. Der Housestil von Presence hat eine Leichtigkeit, die sich den Gegebenheiten anpasst – und erst kurz vor der Einschmeichelei lächelnd zurückzuckt.
Ralf Illenberger
„The Kiss” (2000)
Mit Martin Kolbe begab sich Ralf Illenberger schon in den 70ern auf die Suche nach einer gleichsam esoterischen Jazzdefinition, die im Wohlklang nach Erlösung suchte. Balsamisch blieb seine Musik bis heute – auch auf „The Kiss“, wo Büdi Siebert (sax, Bassklarinette), Zirque Bonner (b), Walter Keiser (dr) und Fitzhugh Jenkins (b) mit ihm auf Klangreisen gehen. Illenberger schafft mit perlenden Läufen schnell einen Schwebezustand und hält ihn 40 Minuten durch. Ein Stück fließt ins andere, es gibt weder Brüche noch schorfige Stellen. Er spielt Gitarre wie ein Harfenist, und sie hat jenen edlen Hall, der immer in Gefahr schwebt, sich zu verflüchtigen oder zur NDR-Pausenmusik zu verkommen. Diesem sanften Klammergriff zu entgehen, ist nicht leicht. Also reisten wir mit, und das tut sehr, sehr gut. Puristische Jazzer werden das Ganze allerdings naserümpfend als esoterisch abtun. Womit sie Illenberger nicht treffen werden.
Rechenzentrum
„Rechenzentrum” (2000)
Dieser Minimal Techno kommt (wie viele wichtigen Genrewerke) aus Berlin und ist von so spröder Monotonie, dass er automatisch unter Ambientverdacht gerät – weshalb man nicht richtig weiß, warum man eigentlich beim Hören nicht abschalten kann. Beispiel Stück 7, „Camera Silens/SFB 115“: Ein nervöser Beat umwieselt einen Holperbass, und hochverstärktes Rillenschaben brandet rhythmisch auf. Das ist ungeheuer packend (= Techno), ohne irgendwo hin zu führen (= Ambient). Das Duo definiert Zustände, keine Zielvorgaben, und das klingt seltsam und schön. Aber: Hofft bloß nicht aufs Abschalten. Wird nicht klappen.
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