Keppler ließ ihr Handgelenk los und wandte sich ab. Er war sehr blass geworden.
„Dolores, Dolores, was haben Sie mir getan!“
„Ich habe Ihnen Schmerz bereitet – aber besser zu frühen, als zu späten Schmerz. Sie haben mir viel geboten, ein Herz, eine Hand, ein Heim, und Sie wissen nicht einmal, wer ich bin und woher ich stamme, ob ich nicht vielleicht einen erborgten Namen führe –“
„Ich weiß nur, dass in dem Namen Dolores das Glück meiner Zukunft ruht.“
„Dolores heißt der Schmerz. Wäre ich die Teufelin, die ich auf der Bühne darstelle, so hätte ich vorgegeben, an die Verwirklichung Ihrer Träume zu glauben – dann würde Ihr Heim binnen Kurzem eine Hausfrau haben. Aber es könnte sein, dass einstens doch noch ein zündender Funke in meine Brust fiele und mein Herz erwachte – was dann? Nein, mein Freund, suchen Sie Ihr Lebensglück nicht im Schmerze – es liegt anderswo.“
„Und meinen Sie, es sei kein Schmerz, entsagen zu müssen?“ fuhr Keppler auf.
„Er ist geringer als der Schmerz, sich betrogen zu wissen. Und ich hätte Sie betrogen, wenn ich Ihnen von Liebe gesprochen, von der meine Seele nichts weiß.“
„Wie grausam Sie sind – Sie reichen mir in dem Korb nicht einmal den bittersüßen Bissen ›ewige Freundschaft‹ – ›Achtung‹ oder wie die Korbtrabanten sonst heißen mögen?“ rief Keppler finster.
Es zuckte wie ein Lächeln um ihre Lippen. „Oh, wenn Sie sich danach sehnen –“
„Gut, gut, verlachen Sie mich noch!“, rief er heftig. „Das ist ja dein Gewerbe, Satanella!“
„Richard Keppler – hüten Sie sich!“
Zornsprühend, flammend vor Entrüstung stand sie vor ihm, hoch aufgerichtet, schön wie noch nie. Da beugte er sein Knie vor ihr und verbarg sein Haupt in den rauschenden Falten ihres Kleides.
„Nicht so, Dolores, nicht so“, sagte er mit gebrochener Stimme. „Wissen Sie nicht, dass das Herz im Übermaß seines Schmerzes selbst das schmäht, was es liebt? Wohlan – gehen Sie Ihren Pfad weiter – ich will Sie nicht auf den meinen lenken. Ich will Ihnen entsagen – vergessen aber kann ich nicht –“
„Sie werden ein Weib finden, das besser ist als ich –“
„Wer sagt Ihnen, dass ich ein solches will? Dolores, Sie haben heute die Blüten von dem Baum meines Lebens gebrochen zum – Verwelken!“
„Ein neuer Lenz wird neue Blüten treiben – unverwelkliche“, sagte sie leise und beugte sich zu ihm hinab. „Gott segne Ihr edles Herz – und denken Sie meiner ohne Groll. Ich konnte, ich durfte nicht anders handeln.“
Sie reichte ihm die Hand, und er drückte seine Lippen darauf – zum Lebewohl am Scheidewege.
„Verzeihung – ich glaubte nicht zu stören.“ Keppler fuhr empor bei dem Klang dieser tiefen Stimme, und Donna Dolores trat erblassend zurück. In der Tür stand Alfred von Falkner.
„Man sagte mir nicht, dass Sie Sitzung hätten –“, fuhr er fort, und die Ironie in dem Worte „Sitzung“ klang doppelt schneidend aus seinem Munde, „sonst wäre ich nicht hier eingedrungen.“
„Sie stören nicht mehr“, erwiderte Keppler gefasst, „der Satanellatraum ist für heute ausgeträumt – und für immer“, setzte er leise hinzu.
Falkner trat vor das Bild und musterte es lange.
„Das wird wieder ein Meisterwerk“, sagte er endlich, „ich sah selten ein so flammendes Farbenmeer in so wunderbarer Harmonie.“
„Mein Verdienst ist nur das des Farbenmischens“, erwiderte Keppler schlicht, „das Bild gab mir der künstlerische Geschmack der Donna Dolores Falconieros.“
Falkner wandte sich halb um zu der Genannten, die noch bleich und wortlos am Sessel lehnte, umwogt und umrauscht von Farbe und Licht.
„Es ist schwer, beim Anblick Ihres lichten Haars an Ihre südliche Abkunft zu glauben, Senora“, sagte er.
„Ich habe kein Interesse daran, irgend jemandes Glauben in dieser Beziehung zu beeinflussen“, erwiderte sie kühl.
„Ach, das klingt sehr stolz, wie –“
„Komödiantenstolz“ – vollendete sie ruhig.
„Wenn Sie es selbst so bezeichnen –“, erwiderte er achselzuckend, „so muss ich natürlich meinen Vergleich unterdrücken .“
Nun zuckte sie die Achseln, und zwar so unendlich gleichgültig, dass Falkner die Augenbrauen zusammenzog und sich auf die Lippen biss.
„Ich gehe, um mich umzukleiden“, sagte Dolores zu Keppler und war im nächsten Augenblick hinter dem roten Vorhang verschwunden.
„Ich komme mit einer Bitte, Maestro“, begann Falkner nach einer Weile, während der Maler regungslos vor der Staffelei stand, „aber ich werde sie heute nicht aussprechen, denn Sie scheinen verstimmt zu sein. Mein ungerufenes Erscheinen –“
„Ich sagte Ihnen schon, dass Sie nicht störten – man kann nicht stören, wo es nichts zu stören gibt“, fiel ihm Keppler ungeduldig ins Wort.
„Gut, ich beuge mich“, erwiderte Falkner sarkastisch. „Sie übten mit Donna – wie heißt sie doch – ein lebendes Bild, eine Szene aus der ›Satanella‹.“
„Was soll das, Herr von Falkner? Sie würden mich verbinden, wenn Sie meinen Namen mit dem der Donna Dolores ganz außer allem Zusammenhang ließen.“
„Ihr Wunsch genügt“, entgegnete Falkner.
„Wenn Sie sich indessen wundern sollten –“ begann Keppler wieder.
„O nein“, fiel ihm der andere ins Wort, „das Wundern muss man sich abgewöhnen, wenn man Künstlerkreise, besonders aber Ateliers besucht.“
Keppler biss sich auf die Lippen und schwieg.
„Und Ihre Bitte?“, sagte er endlich, „doch ich errate sie – irgendeine Zeichnung meiner Hand für einen Wohltätigkeitsbasar – nicht wahr?“
„Nein, das nicht“, entgegnete Falkner belustigt, „man vertraut mir solche Brandschatzungsgänge nicht mehr an, seitdem ich diese Ehre einmal bestimmt abgelehnt habe. Noch ist es auf Ihre Kunst abgesehen. Unser Nachbar vom Falkenhof, der Herzog von Nordland, der allsommerlich auf ein paar Monate sein Waldschloss bezieht, wünscht sich und seine Töchter von Ihrer Meisterhand gemalt zu sehen und lädt Sie zu diesem Zweck feierlichst durch mich ins Waldschloss ein.“
„Ich habe andere Pläne für diesen Sommer –“ entgegnete Keppler –“kann man gegen diesen fürstlichen Wunsch oder – Befehl nicht ankämpfen?“
„Schwerlich“, erwiderte Falkner, „eine Ablehnung wäre hier eine – Unart.“
„Und deshalb muss man eine lang geplante Reise aufgeben?“, seufzte der Maler unmutig. „Den leichten Kittel an den Nagel hängen, um im Frack vor der Staffelei zu stehen? Und dazu der Zwang des Hoflebens!“
„Dieser Zwang wird im Waldschloss ganz abgelegt, der Herzog und seine Töchter bewegen sich so frei und ungezwungen wie Landedelleute. Und überdies – die Motive sind Ihres unsterblich machenden Pinsels würdig.“
„Die Prinzessinnen sollen reizend sein, ich hörte davon, indes –“
„So überlegen Sie“, schloss Falkner. „Ich reise in einigen Tagen nach der Hauptstadt von Nordland ab und bringe dann dem Herzog Ihre Antwort. Man erwartet Sie übrigens keinesfalls vor dem Mai im Waldschloss, und da wir jetzt im März leben, so haben Sie noch Zeit, Ihre Satanella zu vollenden.“
In diesem Augenblick trat Donna Dolores wieder ein. Sie hatte den Hut schon aufgesetzt und hielt eine mit Juchten überzogene Kassette in der Hand.
„Ich fahre jetzt ein wenig spazieren und kann deshalb meine Garderobe nicht mitnehmen“, sagte sie zu Keppler, „draußen wartet mein Wagen – addio Maistro!“
Sie reichte dem Maler die Hand und neigte ihr Haupt eine Linie tief vor dem Freiherrn, indem sie der Tür zuschritt. Doch als sie den letzten Knopf ihres Handschuhs zuzuknöpfen versuchte, entglitt die Kassette ihren Händen und fiel zu Boden. Der Deckel sprang auf, und heraus rollte außer verschiedenen juwelenblitzenden Nadeln, Ringen und Spangen das seltsam geformte Diadem der Satanella. Es fiel hart an die Kante eines Sessels, und eine der hornartigen Zacken brach dabei ab. Die Herren eilten herbei und lasen die schimmernden Dinge vom Boden auf.
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