„Wenn Sie, teurer Freund, mit Ihrer so werten und lieben Gemahlin noch nicht wissen sollten, wohin Sie diesen Sommer zur Erholung gehen, so kommen Sie hierher, kommen Sie als meine hochwillkommenen Gäste auf den Falkenhof. Sie müssen dabei bedenken, dass Sie damit ein gutes Werk tun, denn ich bin nicht mehr ganz ich selbst, seitdem ich mich hier befinde. Nicht, dass mich das Erbe selbst aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, ich schätze Geld und Gut dazu nicht hoch genug, aber, aber werter Freund, es gibt doch Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit sich nichts träumen lässt, und von denen ich früher nichts geahnt – kurz, ich sehne mich nach Ihrer, dem Dasein Inhalt verleihenden Gesellschaft, nach Frau Annas herrlichem Gleichgewicht und der Liebenswürdigkeit, die sie Ihnen und anderen zum Schatze macht. Die Schönheiten des Falkenhofes, seine herrliche grüne Waldeinsamkeit brauche ich Ihnen nicht lockend zu schildern, die kennen Sie schon, und so bemerke ich nur, dass Ihre Künstlerseele auch noch in einer Menge von Porträts von Kneller, Holbein, van Dyck, Pesne und wie sie alle heißen, schwelgen kann, wenn es ihr beliebt notabene. Schreiben Sie nur, ob Sie kommen und wann!
Dolores.“
Es war spät, als sie endlich müde, nachdem sie eine Menge Briefe geschrieben, in ihr Schlafzimmer trat. Heute werde ich gut schlafen, dachte sie, als sie ihr Haar löste und dabei die Abwesenheit Terezas bedauerte, die es so gut verstand, die goldigen Massen zu glätten. So gut es ging, versuchte sie selbst mit der Bürste Ordnung in die bis ans Knie reichenden, sich rebellisch kräuselnden Haare zu bringen und summte dabei leise ein Lied vor sich hin.
Mit einem Male aber ließ sie den Arm mit der Bürste sinken und hörte auf zu singen – der Traum der vorigen Nacht war ihr eingefallen. Unwillkürlich sah sie nach der Stelle, wo sie die „böse Freifrau“ hatte eintreten sehen, und schritt derselben zu, mit dem Lichte genau die Täfelung beleuchtend. Aber so genau sie es auch tat, sie entdeckte keinen Ritz, der auf eine eingefügte, geheime Tür hätte schließen lassen können.
Natürlich nicht, dachte sie, es war eben ein Traum, wie man ihn in solchen alten Häusern leicht träumt, da man sie ohne geheime Gelasse, Türen und so weiter nicht denken kann, schon des Reizes wegen, den solcher Humbug in unseren Tagen immer noch ausübt!
Und ihr Lied wieder aufnehmend, wendete sie sich von der Wand ab, überzeugte sich, dass die Türen innen verschlossen waren, und wollte die Bürste wieder ergreifen, als ihr Auge auf das kleine Madonnenbild fiel, auf das ihr Traum sie gewiesen. Wieder nahm sie den Leuchter auf und schritt darauf zu. In einem goldenen, spitzen, gotischen Rahmen mit kleinen Ecktürmchen und aufzumachender, durchbrochen gearbeiteter Tür war hier ein liebliches Madonnenbild über dem Betstuhl aufgehängt, und Dolores erkannte es sofort als eine uralte Kopie der „Madonna mit dem Stern“ des Fra Angelico, genannt „il Beato“ im San-Marco-Kloster zu Florenz – sogar der Rahmen war getreu nachgemacht mit seinem zierlichen Schnitzwerk. Die kaum einen Fuß hohe Gestalt der Gottesmutter steht auf goldenem Grunde, umflossen von zartrotem Gewande, umwallt von dem dunkelblauen, goldgesäumten Mantel, der auch ihr Haupt nonnenartig einhüllt. Das Haupt nach dem süßesten Jesuskinde, das je gemalt wurde, hinneigend, steht sie mit sinnendem Ausdruck in den überirdischen Augen, mit einem wunderbaren Zug von Schmerz, Trauer und halbem Lächeln um den lieblichen Mund, umflossen von der holdesten Anmut, dem keuschesten Liebreiz, und über ihrem Haupte flammt ein strahlender Stern – der Morgenstern für den Tag der Glorie, da Jesus, der Retter, kam, die Welt zu erlösen und die Macht des Todes zu brechen. Und wie malte Fra Angelico dieses göttliche Kind auf den Armen der Jungfrau! Es lehnt sein Köpfchen mit dem sinnenden Ausdruck an ihr Antlitz und berührt mit dem Zeigefinger der Linken ihr Kinn, als flüsterte er ihr zu vom Kreuz und von Golgatha und der Erlösung – –
Ja, nur Angelico da Fiesole, il Beato, war dazu berufen, wahrhaft göttliche Madonnen zu malen, und man weiß, dass er sie kniend, ein Gebet auf den Lippen, malte – all seine Epigonen malten nur schöne Mütter mit ihrem Kinde, selbst Raffael, der alle Hoheit und Majestät in seiner Sixtina verkörperte, aber nicht das Göttliche, das nur über den Madonnen des Florentiners schwebt. Tizian in seiner „Assunta“ hat einen Strahl dieser Göttlichkeit in der zur Glorie des Himmels mit ausgebreiteten Armen emporschwebenden Gestalt der Muttergottes verkörpert, doch soviel man auch sucht, man wird diesen Strahl bei späteren Meistern nicht mehr finden, außer vielleicht geteilt in dem wunderbar ergreifenden Muttergottesbilde Lefévres, und voll in der schlichten, rührenden Madonna Defreggers.
Dolores kannte die liebliche Madonna mit dem Stern wohl, sie besaß ja selbst eine moderne Kopie derselben, die ihre Mutter ihr als Riccordo di Firenze geschenkt – vor Jahren. Sie betrachtete lange das schöne Bild und schloss dann wieder die geschnitzten Türflügel des Rahmens. In ihrem Traume, da hatte die „böse Freifrau“ darauf gedeutet und das obere rechte Türmchen berührt, sie erinnerte sich dessen genau. Getrieben von einem wunderbaren Gefühl, das sie selbst nicht hätte bezeichnen können, trat sie auf das Kniepult des Betstuhles und berührte das Türmchen, indem sie es vorsichtig zu bewegen versuchte – es gab nicht nach. Ob es sich drehen lässt? dachte sie. Nein, es rührte sich nicht nach rechts und –
Sie trat mit einem Male erblassend von dem Kniepult herab, denn bei einer leichten Linksdrehung des Türmchens hatte es nachgegeben, und langsam drehte sich der Rahmen mit samt dem Bilde – eine kleine, in Angeln gehende Tür, die eine tiefe, sich nach innen erweiternde Nische maskierte.
Das war ja nichts Seltsames, denn dergleichen gibt's in alten Häusern, besonders in alten Herrenhäusern, die der Landstraße nahe liegen, genug, denn man musste seine Kostbarkeiten gut verbergen vor etwaigen Überfällen, besonders in der Zeit der schweren Not des Dreißigjährigen Krieges, wo wildes, hungriges Gesindel genug herumzog und manches einsame, nicht befestigte Landhaus brandschatzte. Aber wie sie diese geheime Nische fand, das machte Dolores für den Augenblick betroffen, doch schon im nächsten Moment überwand sie es.
„Zufall“, sagte sie sich und trat dem Versteck wieder nahe. „Was mag darin sein?“ – Sie leuchtete in den finsteren kleinen Raum – er war mit Backsteinen ausgesetzt, sein Boden mit Holz bekleidet. Es lag nichts darin als ein Buch, in roten Samt gebunden, und auf dem Buche lag eine runde Kapsel in der Größe einer großen Taschenuhr. Etwas zaghaft nahm Dolores beides heraus und trug es auf den Tisch vor dem Ruhelager, indem sie sich darauf niederließ. Erst nahm sie die Kapsel auf – es war ein schön gearbeitetes Stück von mit Kupfer legiertem Golde, bedeckt auf der Vorderseite mit einem kunstvollen Netze von erhaben gearbeiteten Arabesken, die als Früchte bunte Edelsteine und kleine Bündelchen oval geformter Perlen trugen. Es mochte italienische Arbeit sein, reinste Renaissance war es jedenfalls. Auf Dolores' Bemühen öffnete sich die Kapsel leicht – sie enthielt zwei sich gegenüberliegende Miniaturporträts, die sich wiederum an kleinen Angeln in ihren goldenen, kaum nadelbreiten Rahmen herumdrehen ließen und rückwärts auf Pergament geheftete Haarlöckchen nebst Namen zeigten.
Das erste Porträt stellte niemand anderen dar als die „böse Freifrau“ – es war eine Kopie des Bildes in der Galerie bis unterhalb des Kragens, nur dass hier das schöne Antlitz noch lieblicher aussah, da ein leichtes Lächeln den wunderschönen Mund umschwebte. Auf dem die Rückseite des Bildes deckenden Pergamentblättchen war mit blauer Seide ein goldrotes Haarlöckchen angeheftet, und ringsherum war in zierlicher Rundschrift mit Tusche gemalt: Maria Dolorosa, Freyfrau von Falkner, gebohrene Freyin von Falkner, anno domini 1618.
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