Dolores stieß das eine der Fenster weit auf, dass die frische würzige Maienluft eindringen konnte in das lauschige Gemach, und setzte sich in den Sessel, der an dem Fenster stand.
„Hier will ich bleiben“, sagte sie, tief atmend, „das ist ein schönes Buen Retiro! Lassen Sie meinen Koffer in das Schlafzimmer drüben bringen, Fräulein Tinchen, und packen Sie ihn aus, ja? Später wird meine alte Tereza mit meinen anderen Sachen nachkommen und Ihnen den Dienst bei mir wieder abnehmen, um den ich Sie bis dahin bitte!“
Fräulein Köhler knickste wieder. „Ich kenne meine Pflicht, gnädige Baroness“, sagte sie gemessen. „Aber ich bitte, sich daran zu erinnern, dass ich vor dem Schlafzimmer gewarnt habe!“
„Doch nicht im Ernst, liebe Köhler?“, entgegnete Dolores lachend.
„In vollem Ernst!“, beteuerte die Haushälterin, indem sie ihre mageren Hände zum Himmel emporhob. „In dem Schlafzimmer geht es um, und sein Bewohner kann darin Schaden leiden an Leib und Seele.“
„Nun, seien Sie ruhig“, spottete Dolores amüsiert, „ich stehe dafür ein, dass die böse Ahne mich nicht schlechter machen wird, und was meine Person anbetrifft, so können Sie noch ruhiger sein. Ramo und Tereza werden in meiner Nähe schlafen, mich zu schützen, und außerdem liegt auf meinem Nachttisch immer ein geladener Revolver – das ist Sitte in Brasilien bei Damen und Herren!“
Mamsell Köhler verbeugte sich und ging mit einem Blick nach oben, als wolle sie den Himmel zum Zeugen anrufen, dass sie ihre Pflicht getan und die neue Herrin vor dem Familiengespenst gewarnt habe. Draußen aber blieb sie überlegend stehen. Das wird eine gute Wirtschaft werden auf dem Falkenhof, dachte sie, schon darum, dass die Mulattin wieder herkommt, die Schwarze, die in ein christliches Haus doch einmal nicht gehört, von dem Brasilianer, dem Mesjö Ramo, ganz zu schweigen. Und dazu eine Herrin, die ein Freigeist ist und nichts glaubt – nun ja, das mag man auf dem Theater lernen, und etwas Teuflisches hat sie schon als Kind gehabt, wo sie mich mit ihrem Kürbiskopf zum Schlagrühren erschreckt hat und noch ihre Freude daran hatte! Ja, ja, die roten Haare! Man soll sich vor denen hüten, die Gott gezeichnet hat. Der Gegenstand dieser Betrachtungen, die zum Freigeist gestempelte junge Lehnsherrin, weil sie dem Schlossgeist seine Rechte einräumen wollte, sie stand indes am Fenster des Turmgemaches, das Haupt, dem Gott seinen schönsten Schmuck verliehen hatte, gesenkt, die Hände gefaltet. Was ging in dieser jungen Seele vor? –
Mamsell Köhler hätte es vielleicht gewusst, aber sie musste hinabgehen, ihrer Pflicht zu genügen. Als sie den Südflügel passierte, hörte sie in den Zimmern, die das Rußsche Ehepaar bewohnte, die laute Stimme des Freiherrn Alfred zornige Worte sprechen, und gleich darauf kam er heraus und lief schnell die Treppe hinab, an der Haushälterin vorüber, ohne sie zu beachten.
„Nun, nun“, meinte sie für sich hin, „da drinnen haben sie wieder einmal Feuerstein und Lunte gespielt – da hat es Funken gegeben. Meinetwegen – wer will haben gute Ruh', der seh und hör und schweig dazu!“
Alfred Falkner hatte seine Mutter nach der Testamentsvorlesung in ihre Zimmer geführt, gefolgt von Doktor Ruß, der, das Haupt gesenkt, in tiefen Gedanken dahin schritt. In ihrem Zimmer nahm Frau Ruß den Hut ab und setzte sich bequem – die Sache hatte sie angegriffen. Ihr Sohn durchmaß ein paarmal heftig den Raum, dann blieb er plötzlich vor ihr stehen.
„Du wirst natürlich diese Einladung, auf dem Falkenhof zu bleiben, nicht annehmen, Mutter?“, fragte er.
„Es ist bereits geschehen, wie du gehört hast“, sagte Doktor Ruß vom Fenster her.
„Mit deiner Bewilligung, Mutter?“ Die Frage wurde schwer betont.
„Nun, die Annahme meines Mannes überraschte mich eigentlich“, erwiderte Frau Ruß zögernd.
„Wir können von hier aus unsere Anordnungen für die Zukunft in aller Ruhe treffen“, fiel der Doktor ein.
Falkner wandte sich zornig ab.
„Ich möchte von ihr nichts annehmen“, sagte er, „am allerwenigsten Gnadengeschenke.“
„Das dachte ich zuerst auch“, sagte Frau Ruß, „aber da du nun doch bald selbst Herr des Falkenhofes sein wirst, so können wir ja ruhig bleiben.“
„Ich selbst bald Herr?“ Falkner wandte sich erstaunt um.
„Nun ja, wenn du Dolores heiratest!“ nickte sie, ganz zufrieden mit dieser ausgleichenden Idee des Verstorbenen.
„Das wird nicht geschehen“, entgegnete Falkner schnell und heftig.
„Nicht?“ wiederholte Frau Ruß erstaunt. „Dann erkläre ich dich für unzurechnungsfähig“, setzte sie sehr kühl hinzu.
„Du hast recht damit, Adelheid“, sagte der Doktor, hinzutretend, „aber Alfred wird überlegen. Natürlich“, fügte er begütigend hinzu, „natürlich hat es für ihn momentan etwas Unerträgliches, par Ordre de Moufti heiraten zu sollen, aber das gibt sich, solche Ecken schleift die Zeit ab.“
„Du dürftest dich denn doch über meine Ansichten täuschen“, entgegnete Falkner verächtlich. „Es ist nicht jedermanns Sache, um Geld zu freien.“
Hinter den Brillengläsern des Doktors blitzte es warnend auf bei diesem Stich, aber er mäßigte sich wie immer, wenn die Bitterkeit gegen ihn in Falkners Herzen überschäumte.
„Hier ist die reiche Braut aber dein Vermächtnis“, sagte er ruhig.
„Denke darüber, was du willst“, erwiderte Falkner stolz, „bleibe du meinetwegen zeit deines Lebens auf der Bärenhaut im Falkenhof, aber“, setzte er laut und zornig hinzu, „aber lass es bleiben, für mich zu denken und zu entscheiden oder mich beeinflussen zu wollen. Die Ansicht meiner Mutter zu hören, ist meine Pflicht. Sie ist in diesem Falle nicht die meinige, aber jede Überredungskunst deinerseits weise ich zurück, ein für alle Mal!“
Und mit diesem Ultimatum verließ Falkner tief gereizt das Zimmer.
Doktor Ruß sah ihm lächelnd nach und rieb seine gut gepflegten weißen Hände.
„Lass den Most schäumen, Adelheid“, sagte er heiter, „er wird schon ausgären. Natürlich, der freiherrliche Stolz deines Sohns bäumt sich hoch empor, aber selbst der heftigste Sturm legt sich einmal. Wir bleiben vorläufig auf dem Falkenhof, und ich will nicht Ruß heißen, wenn Alfred nicht über Jahr und Tag als Herr hier einzieht.“
„Nun, das wäre allerdings wünschenswert“, entgegnete sie. „aber Dolores wird nicht lange ohne Freier bleiben, und wer weiß, was geschieht, wenn Alfred in seinem Stolz zu lange fortbleibt?“
Doktor Ruß lachte leise in sich hinein.
„Lass das meine Sorge sein, liebe Frau“, sagte er, „ich habe nicht umsonst die Einladung, hierzubleiben, angenommen.“
Der Freiherr war hinausgeeilt in den Park, sich durch die Luft die erregten Nerven beruhigen zu lassen. Das Testament des Oheims hatte ihn förmlich aus dem Gleichgewicht gebracht, so ungern er sich's eingestehen wollte, es hatte ihn urplötzlich der Notwendigkeit einer Entscheidung gegenübergestellt, über die er zwar nicht im unklaren war, die sich immerhin aber schwer geben ließ.
Was ihn hauptsächlich reizte, war, dass seine Mutter ganz einverstanden damit schien, dass er Dolores heiraten sollte, einfach des Besitzes wegen, und dann war es ihm ein entsetzlich peinliches Gefühl, dass sie auf die Eingebung des Doktors hin die Einladung, auf dem Falkenhof zu bleiben, ohne Weiteres angenommen hatte. Was waren die Pläne seines Stiefvaters dabei? Denn dass er aus reiner Bequemlichkeit bleiben wollte, konnte kein Grund sein, dazu kannte Falkner den Doktor zu genau, oder besser gesagt, er misstraute ihm zu sehr, um an die angegebenen Gründe zu glauben. Sie waren für harmlose Personen vortrefflich, konnten aber für ein so stilles Wasser, wie Ruß es in den Augen seines Stiefsohnes war, nicht genügen. Natürlich war es für ihn, der den Falkenhof heute noch verlassen wollte, nicht möglich, diesen verborgenen Motiven nachzuforschen – plante Doktor Ruß in seinem rastlos tätigen Kopfe etwas, so musste er eben dabei gelassen werden.
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