„Das ist wie geschaffen für mich“, sagte Dolores, den prächtigen Raum musternd, „meine Großmutter hat einen guten Geschmack gehabt.“
„Oh“, erwiderte Mamsell Köhler und warf einen etwas scheuen Blick um sich und dann einen gleich auf ihre neue Herrin, „die gnädige Frau Baronin bewohnten den westlichen Flügel jenseits der Bildergalerie, durch die wir noch kommen.
Sie schlief im südlichen Flügel, und dieses Zimmer steht eigentlich verschlossen seit – seit zweihundert Jahren!“
„So! Wie kommt dann aber diese Psyche hier herein?“ fragte Dolores.
„Die?“, sagte Mamsell Köhler etwas verlegen. „Die ließ die Frau Baronin damals arbeiten, als sie dies Zimmer bewohnen wollte – –“
„Und weshalb hat sie es nicht bewohnt?“
„Ja, das hatte so seine Gründe“, meinte die Haushälterin geheimnisvoll. „Nun, Baroness werden es sicher auch nicht bewohnen!“
„Gewiss will ich das, wenn –“, sagte Dolores zögernd, und sich dann unterbrechend. „Und was ist's mit diesem Zimmer?“
„Es geht hier um!“, flüsterte Mamsell Köhler geheimnisvoll, denn sie brannte darauf, ihre Geschichten auszukramen.
Dolores lächelte. „Daraus mache ich mir nichts“, sagte sie mit einem Strahl des alten Übermutes in den Augen.
Mamsell Köhler schüttelte ihre grauen Federlöckchen mit der Würde einer Kassandra.
„O bitte, scherzen Sie nicht, gnädigste Baroness“, flüsterte sie feierlich. „Dies hier ist nämlich das Zimmer der bösen Freifrau – –“
„Ich habe ihr ja nichts getan“, lächelte Dolores, belustigt über den Ernst der kleinen Beschließerin.
„Aber sie hat Böses getan und muss es nun büßen, indem sie keine Ruhe findet im Grabe“, fuhr diese unbeirrt fort, entschlossen, ihre Geschichte zu erzählen. Aber Dolores schritt der nächsten Tür zu.
„Später erzählen Sie mir's“, sagte sie, „abends beim Kamin, das ist die beste Zeit für Gespenstergeschichten.“
Der nächste Raum, den sie betraten, war etwa in der Größe eines einfenstrigen Gemaches, aber nur durch ein mit Schiebevorrichtung zu öffnendes Fenster erhellt, das, breit, aber niedrig, ungefähr fünf Fuß über dem Boden angebracht war. Rings an den Wänden standen Regale, die dicht mit Büchern besetzt waren; die Mitte nahm ein mächtiger Globus ein, und am Kamin stand ein steiflehniger, mit goldgepresstem Leder überzogener Sessel, davor ein Tischchen mit Lesepult, Schreibzeug und Feder darauf.
Mamsell Köhler öffnete schnell die nächste Tür, aber sie warf bezeichnende Blicke auf das hohe Fenster, die indes von der alles mit Interesse musternden Dolores nicht beachtet wurden.
Sie betraten jetzt die Bildergalerie, das heißt einen Saal mit Oberlicht, dessen Wände mit Familienporträts dicht behangen waren. Über der Diele zog sich zunächst eine einfache massive Täfelung etwa drei Fuß hoch um die Mauern, die mit verblichenem roten Samt bekleidet waren. Es waren Perlen der Malkunst unter diesen geharnischten Allongeperücken tragenden, gepuderten und steifkragigen Falknerporträts, das erkannte das kunstgeübte Auge der neuen Lehnsherrin sofort, als sie es über die Wände gleiten ließ, unbekümmert darüber, dass so viele Ahnenaugen sie musterten. Plötzlich aber entfloh ihren Lippen ein leiser Ruf des Erstaunens, und schnellen Schrittes trat sie einem lebensgroßen Bilde entgegen, das die Mitte der rechten Langwand einnahm. Es stellte eine Dame dar in der Tracht der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, in weißem, bauschendem Damastkleide und mächtigem Spitzenkragen, der den Halsausschnitt der halb entblößten Büste viereckig umrahmte und das Haupt eben noch überragte. Der Brustlatz des Kleides war reich mit Edelsteinen verziert, um den weißen, schlanken Hals schlang sich eine Perlenschnur. Und das Haupt! Es trug kaum die schwere Masse goldroten Haares, das mit Edelsteinrosetten gehalten und von einem Myrtenkrönlein überragt wurde! Bleich war das schöne, wundersüße Antlitz mit den traurigen schwarzen Augen, über die sich fein gezeichnete tiefdunkle Brauen wölbten, und ein Zug unsäglichen Schmerzes lag um den entzückend geformten blassroten Mund – –
„Das könnte mein eigenes Bildnis sein“, sagte Dolores laut, zu dem Bilde emporsehend, das seine Augen auf sie geheftet zu haben schien.
„Es ist die böse Freifrau“, flüsterte Mamsell Köhler scheu. „Man zeiht sie schwerer Sünden und des Gattenmordes. Darüber ward sie irrsinnig, und wenn sie tobte, sperrte man sie in das Gemach dort mit dem hohen Fenster. Das hatte man mit Matratzen ausgepolstert, damit sie sich nicht den Kopf einrannte an den bloßen Wänden. In dem Schlafzimmer aber starb sie – leider nicht zu ihrer Erlösung, denn ihr Geist wandelt im Falkenhof umher, ein Licht in der Hand, weil sie zu den Verdammten gehört –“
„Dazu haben die Menschen sie natürlich gemacht“, spottete Dolores. „Übrigens“, fuhr sie, sich gewaltsam von dem Bilde abwendend, fort, „übrigens dulde ich keine mit Licht nachts herumwandelnden ›Geister‹ im Falkenhof, das können Sie den Leuten sagen, Mamsell Köhler! Es ist schon wegen der Feuersgefahr!“
„Aber gnädigste Baroness“, stammelte die verwirrt dastehende Beschließerin, „das Licht der ›bösen Freifrau‹ ist ja ein Licht aus der andern Welt, das zündet nicht!“
„Ich danke Ihnen für die Belehrung“, entgegnete Dolores spöttisch, „aber ich habe nun einmal ein Misstrauen gegen lichttragende Gespenster.“
Mamsell Köhler verstummte beleidigt – sie hatte es so gut gemeint und der jungen Herrin so gruselig machen wollen mit ihrer Paradegeschichte. Wortlos öffnete sie die nächste Tür, und Dolores trat in einen hellen geräumigen Salon mit prachtvoller Rokokoeinrichtung. Die Vorhänge an Türen und Fenstern sowie der Überzug der vergoldeten Möbel waren von schwerem, lichtblauem Atlas mit eingestickten Goldbuketts, die Wände waren weiß, in zierliche, goldbegrenzte Felder geteilt und trugen Ölgemälde in schweren barocken Goldrahmen; Leuchtergestelle, kleine, zierliche Kommoden, Tischchen und reizende Schreibsekretäre in wundervoll eingelegter Arbeit standen umher. Das mittlere breite, deckenhohe Fenster öffnete sich auf einen Balkon mit lieblicher Aussicht auf ferne Hügelketten, prächtige Blumenanlagen und die die Landschaft links begrenzende Wand des grünen rauschenden Laubwalds, der hier noch als Park diente.
„O wie hübsch und heiter ist es hier“, rief Dolores, sich rings umsehend. „Hier an die Fenster rechts und links müssen Blumengestelle kommen, und hier in die Mitte des Salons stelle ich meinen Flügel – wenn ich hier bleibe“, setzte sie in Gedanken hinzu.
Die Beschließerin knickste zum Zeichen, dass sie den Auftrag von wegen der Blumen begriffen, und öffnete die Tür zu dem den Raum beschließenden Turmzimmer – ein rundes, nicht zu großes und nicht zu kleines Gemach mit bunten Fensterscheiben, die Wappenmalereien zierten. Der ganze Raum machte den Eindruck eines großen Erkers und war reich, wohnlich und lauschig möbliert im Geschmack jener Zeit, in der die reine Renaissance starb und der kommende Zopfstil schon in den sich verschnörkelnden Linien verspukte. Die schwarz gebeizten, matt gehaltenen und mit Gold ziselierten Hölzer trugen nur noch den Stempel der Erinnerung an jene formenschöne Zeit, aber sie waren immerhin interessant genug für ein verwöhntes Auge, wozu der reiche, gepresste und golddurchwirkte, purpurrote, echte Utrechter Samt der Überzüge und Vorhänge nicht wenig beitrug. Es war ein Gemach, so recht gemacht zum vertraulichen Plaudern, zum Träumen, zum Sinnen, Lesen und Schreiben an dem schönen breiten Schreibtisch, der quer vor dem mittleren der drei Fenster mit ihren bleigefassten Butzenscheiben stand. Den Hintergrund nahm ein Kamin ein, mit herrlichem Aufsatz von Majolika, dessen gemalte Kacheln in erhabener Arbeit wundersame Figuren und Wappentiere zeigten.
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