„Nun gut“, unterbrach Dolores freundlich den Redestrom, „das wäre also abgemacht, und mich freut's, dass Sie bleiben. Zum Zeichen dafür will ich Ihr Gehalt von Herrn Engels erhöhen lassen, und Sie mögen das gleiche den alten, langjährigen Dienern des Hauses mitteilen, damit sie sehen, dass auch ich das Verdienst anerkenne und bereitwillig belohne. Besondere Wünsche will ich gern hören und prüfen, ob Sie zu gewähren sind“, fügte sie hinzu und ergriff dabei ein Etui, das mit den anderen Sachen ausgepackt wurde. Als sie es öffnete, wurde die darin befindliche, geschmackvolle und schwer goldene Brosche nebst Ohrringen sichtbar. Sie reichte die Brosche der Beschließerin. „Das müssen Sie schon von mir annehmen, zum Andenken und zum Zeichen, dass ich Sie nicht vergessen hatte.“
Mamsell Köhler betrat wenige Minuten später den Korridor mit dem Gefühl, als ob sie auf Sprungfedern wandelte, so zum Hüpfen war ihr zumute.
Ei, das ist ein guter Anfang, das muss man gestehen, dachte sie vergnügt. Erhöhtes Gehalt und ein kostbares Geschenk – ich will mir den Tag im Kalender rot anstreichen, das hat man in den Zeiten des seligen Herrn nicht erlebt. Und wie freundlich und gütig sie ist – nun, sie war immer ein liebes, munteres Kind! Ja, ja! Goldenes Haar, goldener Sinn!
Die kleine, graue Beschließerin vergaß ganz, dass sie sich eine Stunde vorher selbst vor den „roten Haaren“ gewarnt hatte, vor der „von Gott Gezeichneten“. – Daran ist aber nichts Wunderbares, wenn man die also Bekehrte zu der großen, weitverbreiteten Familie der Wetterfahnen zählt, die immer hässlich knarren und kreischen, wenn man sie nicht ölt. So lange das Öl vorhält, so lange drehen sie sich selbst im konträrsten Winde sanft und geräuschlos; aber Wind trocknet das Öl bekanntlich sehr schnell, und es ist auch nicht jedermanns Sache, das Ölen, damit die Fahnen sich nach seiner Seite drehen.
Dolores hatte durch ihren Großmut einen coup diplomatique ausgeübt, dessen Tragweite ihr selbst nicht ganz bewusst war, denn sie hatte ihn ganz impulsiv ausgeführt. Sie war nicht berechnend genug, um durch Geld die Leute des Falkenhofes an sich zu ziehen – das war ihr so im Moment durch den Kopf gegangen, und im Moment hatte sie den Gedanken ausgeführt, ganz ihrer raschen, lebhaften Natur folgend und nach der Eingebung des Augenblickes handelnd.
Seid klug wie die Schlangen, dachte Doktor Ruß, als er von diesem „Gnadenerlass bei der Thronbesteigung“, wie er es nannte, erfuhr. Aber auch er, der gewandte Menschenkenner, irrte sich in Dolores' Charakter, denn er maß sie viel zu sehr nach dem eigenen Maß – bei solchen Messungen kommt man nur dann gut weg, wenn der Messende in alle Falten des menschlichen Herzens zu sehen vermag, denn da ruht immer irgendein Goldkorn, verborgen den oberflächlichen Blicken.
Dolores schrieb ihren Brief an den Generalintendanten des Hoftheaters, dem sie sich kontraktlich verpflichtet hatte, und übergab ihn dem pünktlich erscheinenden Ramo, der alsbald nach B. abreiste. Die junge Herrin des Falkenhofes aber stieg hinab und ging hinaus ins Freie. – Die Atmosphäre in ihren Zimmern war infolge des langen Geschlossenseins der Räume schwer und drückend. Dolores musste frische Luft einatmen, sonst –
Nein, ich will nicht weinen, dachte sie und trocknete eine verräterische Träne. Es ist's nicht wert. Und dass er mir wehgetan, das soll niemand erfahren, er selbst vor allem nicht – ich will auch nicht mehr daran denken!
Als ob es so leicht wäre, das einmal zugefügte Weh zu vergessen oder beiseitezulegen wie ein Kleidungsstück – – –
Dolores schritt hinaus in die Abendkühle des frischen Maitages. Aber die grüne Umgebung des Falkenhofes, nach der sie sich gesehnt und von der sie geträumt hatte, seit sie von dem Schlosse geschieden, freute sie nicht, nun sie die Herrin war über den herrlichen Fleck Erde. Träumend schritt sie dahin, indes die kreppbesetzte Schleppe ihres Trauerkleides den Kies auf den Gängen zusammenfegte, aber die Stille um sie her, das in kurzen Pulsen läutende Abendglöckchen drunten im Dorfe, der stark betäubende Duft des eben erblühenden Jasmins, machten ihr erregtes Innere nicht ruhiger.
Wie glücklich war ich hier als Kind, dachte sie, trotzdem damals kein Tag vergangen war, an dem der Tote, um den sie dies schwarze Kleid trug, sie nicht gescholten wegen ihres frohen Jugendmutes und sie eine „rothaarige Satansbrut“ genannt hatte, das hatte ihr damals Vergnügen gemacht und sie angespornt, nun erst recht ihre kleinen harmlosen Teufeleien auszuüben, was ihren Ruf nicht verbessert hatte, das lag auf der Hand. Aber heute musste sie sich sagen, dass die damals künstlich genährte Abneigung gegen sie auf dem Falkenhof nicht abgenommen hatte, und dass man ihr jenes Misstrauen entgegenbrachte, das man so leicht gegen Fremde, das heißt Ausländer, hegt.
Es muss doch in meiner Person liegen, dachte sie traurig, denn Alfred Falkner trat mir feindlich entgegen, ehe er wusste, wer ich war.
Aber dann musste sie der Huldigung denken, die man ihr dargebracht, so oft sie auch erschienen war, ihre wunderbare, herrliche Stimme erschallen zu lassen, und verwirrt dachte sie dem Rätsel nach, warum gerade dieser eine sie hasste und verachtete, dieser einzige, an dessen – an dessen Wohlwollen und Freundschaft ihr so viel gelegen wäre. Eine Glutwelle schoss bei diesem Gedanken in ihr bleiches Antlitz und verlieh ihm einen neuen, eigenen Reiz. Aber schnell, wie es gekommen, schwand dieses Erröten wieder.
Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen,
Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!
dachte sie schmerzlich.
Hier stand sie an einem Scheidewege. Rechts führte ein Weg in das Herz des Parkes, links – ja links hinter dem Gebüsch von Buchen und Syringen lag der Pavillon, den Engels sich von dem Freiherrn zum Logis ausgebeten und erhalten hatte, als er den Falkenhof betrat. Es war eigentlich ein runder Turm, mit einem unterkellerten Stockwerk und spitzem, viergiebeligem Dach – wahrscheinlich erbaut, um der damaligen Abtei als Wachturm zu dienen für den Torwärter. Jetzt lag das originelle Gebäude, das lange Zeit nur Ratten, Mäuse und deren Erzfeinde, die Eulen, bewohnten, mitten im Grünen, und die Kletterrosen und Klematis rankten lustig an den Mauern empor und hätten am liebsten die Bogenfenster ganz bedeckt, wenn Herr Engels dies geduldet hätte.
Oh, Dolores kannte den Weg zum „Türmchen“, wie es hieß, und dieses selbst sehr genau; hier hatte sie die ungetrübten Stunden ihres Lebens auf dem Falkenhof zugebracht.
Sie trat halb hinter dem Gebüsch hervor und sah hinauf zu dem Fenster, an dem sie selbst so oft gesessen – richtig, da saß wie damals Herr Engels, die kurze Pfeife im Munde und den mächtigen Bart streichend. Von Zeit zu Zeit pfiff er dem Dompfaffen vor, und das gelehrige Tier wiederholte gewissenhaft.
„Vom hoh'n Olymp herab ward uns die Freude –“
klang es deutlich zu Dolores herüber, und einem ihrer gewöhnlichen Impulse nachgehend, huschte sie dem Gesträuch entlang der offenen Tür des Türmchens zu und blitzschnell die steile, finstere Treppe hinauf.
„Fröhlich erschallet der Jubelgesang –“
tönte es drinnen, und leise öffnete sie die eisenbeschlagene Eichentür. Ein betäubendes Gekläffe tönte ihr entgegen, denn dazu hielt Knieper, der Dächsel und stetige Begleiter Engels, sich einmal für verpflichtet. Seine spezielle Freundin, die Hauskatze Ida, mit der er in schönster Eintracht lebte und damit bewies, dass man nicht wie Hund und Katze zu leben braucht, fuhr erschrocken aus ihren Träumen auf dem Sofa auf, dehnte aber bald beruhigt ihr samtschwarzes Fell auf dem gewohnten Lager und blinzelte die Eingetretene mit ihren bernsteingelben Augen wohlwollend schnurrend an. Nur Knieper setzte seine gebellten Fragen nach der Identität dieses Abendbesuches fort und wollte sich durch Dolores' lachendes:
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