»Die findet man aber nicht gerade in den Gelben Seiten«, merkte Peter trocken an.
»Nein«, schmunzelte Liebrich. »Das funktioniert nur über Mundpropaganda. Und hier wird es auch schon haarig. Wenn man jemals die Dienste von Justice in Anspruch nimmt, verpflichtet man sich automatisch zu einer Reihe von Dingen. Zum einen zu absoluter Verschwiegenheit. Außer man stößt auf einen Fall, der in das Anforderungsprofil der Firma passt. Das bedeutet vereinfacht, dass man jemanden kennt, der vollkommen integer sein muss. Jemanden, der ein Problem an der Hand hat, das mit den üblichen Mitteln nicht gelöst werden kann oder konnte.
Dann, und nur dann, darf man dieser Person die Firma empfehlen. Und man tut besser daran, sowohl die Sache als auch die betreffende Person im Vorfeld genauestens zu prüfen. Die haben es nicht gern, wenn du sie mit Bagatellsachen belästigst. Und man bleibt sein Leben lang verantwortlich für denjenigen, dem man die Kontaktdaten gegeben hat. Es ist also essentiell, dass man sich die Leute sehr genau aussucht. Denn im Zweifelsfall hat man mit Konsequenzen zu rechnen.«
»Moment mal«, warf Peter ein. »Wenn Sie uns den Kontakt mit Justice ermöglichen und es stellt sich heraus, dass wir irgendwas getürkt haben, um uns z.B. zu bereichern. Oder um einen unliebsamen Konkurrenten loszuwerden. Dann kriegen Sie den Ärger dafür? Und wie sehen diese Konsequenzen aus?«
»Wir würden beide zur Verantwortung gezogen. Ich und Angela in diesem Fall, denn sie wäre es, die sich an die Firma wenden müsste. Direkt betroffen zu sein, ist eine weitere Grundvoraussetzung. Und ich habe keine Ahnung, wie diese Folgen aussehen. Angemessen hieß es damals, was auch immer das bedeuten mag. Es ist ja nicht gerade so, dass man sich mit anderen »Justice-Kunden« austauscht. Vergesst nicht, das ist und bleibt eine Geheimorganisation.«
»Was hatten Sie mit denen zu tun?«, fragte eine sichtlich konsternierte Angela.
»Darüber möchte ich nicht reden. Ich darf es, streng genommen, auch nicht. Ein weiterer Punkt im Bedingungskatalog. Nur so viel: Ich war ein sehr, sehr junger Polizist und wusste mir nicht anders zu helfen. Mein Großvater gab mir damals die Kontaktnummer, als er meine Verzweiflung nicht länger ertragen konnte.«
»Aber das ist Ewigkeiten her, Herr Liebrich. Angenommen, ich mache von dem Angebot Gebrauch: Woher weiß ich, dass die Kontaktdaten noch aktuell sind?«, fragte Angela weiter.
»Sie sind es, glauben Sie mir.« Liebrich sah sie ganz ruhig an, seine Sicherheit wirkte überzeugend.
»Sie haben es schon einmal weitergegeben«, folgerte Peter.
»Zweimal, um genau zu sein. Das letzte Mal vor einigen Jahren. Und mehr darf ich nicht sagen. Das gilt für euch übrigens genauso, selbst wenn Angela nicht diesen Weg geht. Alles, was ich euch erzählt habe, darf niemals verbreitet werden. Ich hoffe, das ist euch klar.«
»Wir werden das Geheimnis bewahren. Sie müssen entschuldigen, aber das alles hat etwas ... von schlechtem Kino«, suchte Angela nach Worten. »Ich kann die ganze Geschichte noch nicht so recht fassen. Warum sollte ich diesen Leuten trauen? Wie kann ich sicher sein, dass die die richtigen Entscheidungen treffen? Das ist alles sehr verwirrend.«
»Sie werden einige Ihrer Fragen beantwortet bekommen, wenn Sie sich entschließen, die Organisation zu beauftragen – und wenn die annehmen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass diese Leute ihre Mission sehr ernst nehmen. Es hat meines Wissens niemals auch nur den Hauch einer Erwähnung dieser Gruppe gegeben. Nicht hinter vorgehaltener Hand, nicht in der Klatschpresse, nicht einmal im Internet, dem Tummelplatz aller Verschwörungsfetischisten. Wenn die Mist gebaut hätten, wäre das wohl kaum der Fall, oder? Wenn sich buchstäblich jeder an die Vorgaben hält und nichts, rein gar nichts nach außen dringt, dann kann das nur eins bedeuten:«.
»Dass alle Welt zufrieden ist«, beendete Peter den Satz für den Alten.
»Exakt. Enttäuschte, unzufriedene Kunden fühlen sich nicht an die Abmachung gebunden, die wollen ihren Frust rausschreien, die wollen anprangern. Aber nichts dergleichen. Es ist gerade so, als würde es Justice nicht geben. Und um noch eine Prise eigene Erfahrung dazuzugeben: Die zwei Menschen, denen ich die Kontaktdetails gegeben habe, grüßen mich immer noch, wenn sie mich sehen«.
»Gut, nehmen wir das mal so hin. Was ist noch zu beachten?«, trieb Angela das Gespräch voran.
»Nicht viel. Wenn die Ihren Fall annehmen, verpflichten sie sich, nach bestem Wissen und Gewissen ein Urteil zu fällen. Sie wiederum dürfen in keiner Weise mehr intervenieren – ab dann liegt alles in deren Händen. Außerdem wird Ihnen das Gelübde der Verschwiegenheit abgenommen, wie bereits erwähnt. Und Sie erklären sich einverstanden, im Gegenzug zu der Hilfe, die Sie empfangen, der Organisation einen Gefallen zu tun, wann immer die das verlangt. Einen Gefallen, egal wie der aussieht und ohne zu fragen. Das ist alles. Danach bleibt nur noch die Geheimhaltung... ach, und dieser Gefallen wird in jedem Fall moralisch einwandfrei sein, dazu verpflichten sich die nun wieder. Nicht unbedingt legal, aber nach gesundem Menschenverstand eben nicht anfechtbar.«
»Haben Sie ein Beispiel dafür?«
»Nein, das darf ich nicht nennen. Nur so viel: Ich habe meinen Gefallen etwa zwanzig Jahre später eingelöst – und er hat mir keine schlaflosen Nächte bereitet.«
Wie auf Kommando nahmen alle gleichzeitig einen Schluck aus ihren Gläsern. Als sie diese wieder abgesetzt hatten, sagte Angela entschieden:
»Ich mache es.«
Die beiden starrten sie an, Liebrich mit wissendem Lächeln, Peter eher erstaunt.
»Angie, bist du dir ganz sicher?«
»So sicher wie man sein kann ... Ich denke, das hier ist eine Sache, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert – und ich möchte endlich wieder Vertrauen zu den Menschen haben. Menschen außer dir, Peter, denn dir habe ich immer vertraut. Ich möchte ein für alle Mal das Gift loswerden, das mich innerlich auffrisst. Herr Liebrich wusste damals auch nicht, was auf ihn zukommt. Aber er hat vertraut und offensichtlich hat sich das ausgezahlt, sonst hätte er diese Leute nicht weiterempfohlen. Sonst hätte er uns jetzt nicht dieses Angebot gemacht.«
Und direkt zu Liebrich gewandt:
»Ich vertraue Ihnen , Herr Liebrich. Ich vertraue Ihnen so sehr, dass ich etwas völlig Verrücktes tun werde, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es überhaupt möglich ist. Ich glaube Ihnen, weil ich denke, dass Sie ein guter Mensch sind. Ich vertraue Ihnen und ich fühle mich unglaublich gut dabei.«
Und ich könnte dich lieben, dachte Peter, als er Angela ansah. Ihre erröteten Wangen, die leuchtenden Augen. Die unschuldige Aufregung in ihrem Gesicht, weil es scheinbar doch so etwas wie Gerechtigkeit geben konnte. Man musste nur fest daran glauben.
»Dann lasst uns das besiegeln. Ich verdurste fast«, sagte Liebrich sichtlich gerührt von Angelas Worten. »Und keine Angst, Peter – ich hole die Drinks.«
»Schnell, hier rechts in den Eingang!«
Durch das eigene Keuchen und das Widerhallen seiner Schritte auf dem Asphalt hindurch hört Anton den Warnruf seines Freundes. Ohne nachzudenken, folgt er ihm. Sie kauern sich in die dunkle Ecke, machen sich so klein wie möglich.
Antons Herz rast. Mit weit aufgerissenen Augen sieht er schließlich den Grund für ihr Wegtauchen.
Zwei schwarze Mercedes-Limousinen rasen an ihnen vorbei, halten mit quietschenden Reifen vor dem Block, in dem sich Wolframs Apartment befindet. Sie sind ganze zwei Querstraßen weit gekommen.
»Wie konnten die uns nur so schnell finden?«, fragt Wolfram atemlos. Ohne zu antworten, sieht Anton, wie die Männer des Einsatzkommandos aus den Autos strömen, die Eingangstür einfach eintreten und nach oben stürmen.
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