»Und in zweiter Linie?«, hakte Peter nach. »Ein Freundschaftsdienst ist eine Sache, das Weitergeben von zweifellos als Verschlusssache eingestuften Informationen eine ganz andere. Ich denke, Sie überschreiten ganz bewusst Ihre Kompetenzen und das hat andere Gründe, als Ihrem Freund einen Gefallen zu tun.«
»Ich fürchte, mit meinen Kompetenzen ist es nicht mehr weit her«, lächelte Gassmann freudlos. »Aber Sie haben Recht, es gibt noch einen zweiten Grund. Ich bin nicht damit einverstanden, wie sich die Situation beim BND entwickelt hat und ich hoffe, Sie werden genug Staub aufwirbeln, um einige Leute zum Nachdenken anzuregen.«
»Weil Hartmann auch an Ihrer Karriereleiter gesägt hat?«, schickte Peter hinterher und sah aus dem Augenwinkel, dass Liebrich wieder den Anflug eines Lächelns im Gesicht hatte.
»Das kann man so stehen lassen«, sagte Gassmann kurz und stand endgültig auf.
Als sie allein waren, herrschte einen Moment Schweigen. Jeder ließ das soeben Gehörte erst einmal sacken und hing den eigenen Gedanken nach. Angela brach schließlich die Stille und richtete sich direkt an den Alten.
»Die Alternative, die Sie ansprachen, Herr Liebrich. Wie genau sieht die aus?«
Liebrich beugte sich ein wenig vor, sah ihr tief in die Augen, seufzte, und begann dann zu sprechen.
»Wenn alle Stricke reißen, wenn alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind. Wenn alle Polizeiarbeit geleistet, wenn alles Menschenmögliche getan ist, um ein Verbrechen aufzuklären und einen Täter zu überführen, und man trotzdem mit leeren Händen dasteht ... Dann gibt es eine Organisation, an die man sich wenden kann, um trotz allem Gerechtigkeit zu erfahren.«
Angela sah ihn ausdruckslos an, wartete. Nach kurzer Pause fuhr der Alte fort.
»Diese Organisation besteht seit ewigen Zeiten, obwohl die Angaben darüber widersprüchlich sind. Wie übrigens alle anderen Informationen auch. Es gibt Meinungen, dass diese Institution schon seit vorbiblischen Zeiten tätig ist, aber wie gesagt sind das alles Spekulationen. Kann ich noch ein Bier bekommen?«
Peter schaute sich nach der Bedienung um, sah niemanden und stand widerstrebend auf, um zum Tresen zu gehen.
»Keine Angst, du verpasst nichts, Junge. Was ich Angela jetzt erzähle, sind Tatsachen, die du längst kennst«, sagte Liebrich, der das Zögern bemerkt hatte.
Peter trank den letzten Schluck seines Biers aus, sah Angela fragend an und machte sich auf den Weg, nachdem ihr Nicken Zustimmung ausgedrückt hatte. Wahrscheinlich will der alte Fuchs einen Moment mit Angie allein haben, dachte er. Um sie besser einschätzen zu können, ohne dass Peter in irgendeiner Form ihre Reaktionen beeinflussen würde? Er wusste es nicht, aber es würde zu dem Taktiker passen. Erst einmal ein genaues Bild aufzeichnen und alles Weitere davon abhängig machen.
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«, wandte sich Liebrich wieder an Angela, nachdem Peter gegangen war.
»Ich habe darauf gewartet«, sagte diese lächelnd. Auch Liebrich hatte wieder diesen Anflug von Belustigung in seinem Gesicht. Er konnte Peter verstehen. Diese Frau hatte etwas.
»Wie genau ist Ihr Verhältnis zu Peter?«
»Das habe ich mich selbst ziemlich oft gefragt in letzter Zeit«, antwortete Angela vage.
»Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich würde Ihnen die Frage beantworten, aber ich kann es nicht. Peter ist wie ein Fels in der Brandung für mich, ist es immer gewesen, seit er in mein Leben trat. Peter ist mein allerbester Freund, mein Seelenpartner, mein Vertrauter... »
»Aber nicht Ihr Geliebter.«
»Nein, nicht mein Geliebter... »
Da war etwas so unendlich Trauriges in ihren Worten, dass Liebrich beschloss, nicht weiter in sie zu dringen, aber Angela redete von selbst weiter.
»Nachdem ich mich von Nickys Vater getrennt hatte, hat es keinen Mann mehr in meinem Leben gegeben. Na ja, einen, aber das hat sich schnell als Flop erwiesen. Der wollte eine Gespielin, aber keine Mutter mit Kind. Nach etwa einer Woche, die wir zusammen ausgingen, hat er Nicky angeblafft, als der ins Wohnzimmer kam, wo wir gerade saßen und er versuchte, mich zu küssen. Ich hab ihn in derselben Sekunde aus der Wohnung geworfen – und aus meinem Leben.«
»Und dann gab es nur noch den Jungen...«
»Ich musste ihm Mutter und Vater zugleich sein und ich war ihm das schuldig, meine ganze Konzentration darauf zu verwenden. Schließlich hatte ich dafür gesorgt, dass sein Vater nicht mehr bei ihm war. Was zwar keinen Verlust darstellte, aber ... jedenfalls gab es gar keine Gelegenheit mehr, jemanden kennenzulernen. Und ehrlich gesagt, hat mir auch nichts gefehlt.«
»Und nach Nickys... nach dem Vorfall mit Kerner war dann ...«
»Nach Nickys Tod«, unterbrach Angela energisch, »war es einfach nicht mehr in mir. Da war kein Platz mehr für romantische Gefühle, da war nur noch Trauer. Und Wut, unendliche Wut. Und Hilflosigkeit. Und ich weiß nicht, wie ich das alles ohne Peter überstanden hätte. Ohne ihn wäre ich längst ...«
Sie ließ den Rest des Satzes ungesagt, aber Liebrich verstand sie auch so.
»Ich habe Angst, Herr Liebrich! Angst davor, Peters Freundschaft zu verlieren, wenn ich mich ganz auf ihn einlasse und es nicht funktioniert.«
»Die Angst kann Ihnen keiner nehmen«, sagte der Alte milde. »Aber Sie werden es nur herausfinden, wenn Sie es versuchen.«
»Ich weiß«, sagte sie fast unhörbar. »Aber Sie fragen eigentlich aus ganz anderen Gründen«, fuhr sie mit normaler Stimme fort. »Sie wollen wissen, ob sich Peter aus guten Gründen solchen Risiken aussetzt. Oder ob es die böse Hexe gibt, die ihn nur ausnutzt, um ihre persönliche Rache zu bekommen. Richtig?«
»Richtig«, schmunzelte ihr Gegenüber. »Der Gedanke war schon da. Sie würden es nicht glauben, wie viel in der Welt passiert, weil eine Frau einen Mann um den kleinen Finger gewickelt hat. Selten umgekehrt ... scheinbar sind es immer Männer, die zu Volltrotteln mutieren, wenn eine Frau sie richtig zu nehmen weiß. Die Kriminalgeschichte ist voll davon.«
»Ich weiß sehr genau, dass Peter eine Menge aufs Spiel setzt. Der Ärger in seinem Job ist mir auch nicht verborgen geblieben. Ich möchte nicht, dass er meinetwegen Schwierigkeiten bekommt, aber ich kann ihn nicht von dem abhalten, was er tun zu müssen glaubt. Er kann unglaublich stur sein, wenn er von etwas überzeugt ist. Er taktiert nicht. Er folgt einfach zielgerichtet seinem Bauch. Oder dem Herzen.«
»Ja, das ist eine seiner hervorstechenden Eigenheiten, negativ wie positiv«, lachte der Alte.
»Es ist etwas, das ich besonders an ihm mag«, sagte Angela bestätigend. »Er ist immer schonungslos ehrlich.«
Ihre Augen glänzten dabei auf eine ganz warme Art und Weise, fiel Liebrichs geschultem Blick auf. Dann war Peter mit den Getränken zurück.
»Setz dich zu uns, mein Junge. Wir sind noch kein Stück weiter in unserer Sache. Aber wir haben die Zeit anderweitig genutzt, nicht wahr, Angela?«
»Haben wir das?«, fragte sie und sah Liebrich direkt an.
Der nickte lächelnd. »Ich bin mir ziemlich sicher. Und jetzt werde ich euch alles erzählen, was ihr wissen müsst. Auf unsere kleine Verschwörung!«
Die drei erhoben ihre Gläser und stießen miteinander an. Dann begann Liebrich erneut.
»Diese Gesellschaft nennt sich Justice Incorporated . Der Ausdruck ist wohl eher auf eine scherzhafte Bemerkung zurückzuführen, hat sich aber irgendwie eingebürgert. Und so unpassend ist er nicht. Die Organisation muss unglaublich straff gegliedert und geführt werden, wie eine gut funktionierende Firma eben. Und sie hat sich Gerechtigkeit auf die Fahne geschrieben, jenes kostbare Gut, das oft genug aus den unterschiedlichsten Gründen auf der Strecke bleibt. Politische Entscheidungen, Verfahrensfehler, bestochene Zeugen ... es gibt unendlich viele Voraussetzungen, warum das so kommen kann. Und dann ist der Zeitpunkt für Justice Inc gekommen.«
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