»Sie haben es gemacht, weil sie es machen können. Verstehst Du das nicht?«
Elster schloss die Augen, tat so, als würde er schlafen.
»Du bist ein Arschloch, Karl Elster. Gib mir wenigstens ein paar Infos, wenn du ansonsten zickst wie ein Waschweib.«
»Folgende Infos, und das sind die letzten, die du von mir kriegst: Da ist irgendein Bandenkrieg am Gange… und sie haben irgendwann beschlossen, sich unsere blöde Observation nicht mehr gefallen zu lassen, so einfach ist das. Die haben sich mich ausgeguckt. Ich hab diesen Bastard verdammt gut gesehen, als er an meinem Auto vorbeigegangen ist. Der hat mich abgeschätzt… wie ein Boxer den anderen.«
»Und der Mord?«
»Irgendeine andere Gang, die selbst gern die Sahnetörtchen haben will ... das war reiner Zufall.«
»Der Tote?«
»Na wer wohl? Pastenko…. Zur Hälfte. Also mehr die untere. Ist nicht mehr so viel von ihm da. Michailovich muss am Überkochen sein.«
»Warum? Plötzliche menschliche Gefühle?«
»«Mann, Peter, du bist so ein armer Wichser. Vielleicht gibt es das auch unter denen. Die waren so was wie Freunde, was weiß ich? So was wie wir mal …«.
»Warum gerade, als Du mal von der Leine gelassen warst. Als Vater Peter nicht dabei war?«
»Mensch, ich hau dir eine rein, jetzt ... und wenn es das Letzte ist, das ich tue. Du hast dich zu einem echten Scheißkerl entwickelt. Und jetzt entwickele ich mich gerade zu jemandem, der dich nicht mehr braucht.«
Peter beschloss, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und es dabei zu belassen. Irgendwie schien alles auseinanderzufallen. Er war auf dem Weg aus dem Polizeidienst heraus ein weiteres Stück gegangen – und wusste trotzdem nicht, wo er stand.
»Pass auf dich auf…«. Das war schwach und er spürte, wie Karls Blick sich in seinen Rücken bohrte, als er die Tür hinter sich zuschwingen ließ.
Peter schlurfte wie betäubt die Treppen herunter, statt den Lift zu nehmen.
Draußen steckte er sich eine Zigarette an. Es wehte ein kräftiger Wind, aber es gab keinen Regen. Eigentlich gab es gar kein Wetter. Es war schwarz und kühl, ohne jedes Flair. Es passte zu dem, was Peter empfand.
Sein Handy klingelte. Er sah auf das Display, erkannte, dass der Anruf von Karl kam und zögerte. Dann drückte er den »Abweisen« Knopf. Er hatte das dringende Bedürfnis nach einem Drink. Und er musste jetzt Angela sehen.
Karin musste selber lachen. Sie trampelte die Treppen mehr herunter, als sie sie lief. Doch ein Tropfen zu viel. Angela hatte ihr ein Taxi vorgeschlagen, aber das war wohl mehr als Blödsinn. Dieser Idiot von Kerner – pah. Nichts, was eine Karin Kabrinsky nicht in den Griff bekommen würde. Ihr Auto stand schließlich gleich um die Ecke. Um welche Ecke?
Scheiße. Karin war ernsthaft verwirrt. Es war kalt, es war dunkel. Und ihr gottverdammtes Auto war nicht da. Sie ergab sich in die Situation. Zu viel Wein, zu wenig Durchblick. Es war wohl sowieso keine gute Idee, noch zu fahren. Sie griff zum Handy, drückte auf die einprogrammierte Nummer für die Taxizentrale und wartete. Das Freizeichen kam und wie immer kam es zu oft. Sie wartete, fragte sich, was denn jetzt wieder los war. Setzte sich auf den kalten Boden. Irgendwo war eben noch der Mond über ihr gewesen, das wusste sie, aber wo? Dicke Wolken hingen am Himmel. Der Himmel über Berlin. War das nicht ein Filmtitel? Karin suchte fast panisch ihr Erinnerungsvermögen durch, fand den Punkt einfach nicht. Wim Wenders? Wie hieß der andere? Der, der auch selbst spielte. Irgendwo aus dem Norden. Hark Bohm? Plötzlich fiel ihr alles wieder ein. Es ging um zwei Engel, gespielt von Otto Sander und Bruno Ganz. Sie liebte die beiden, aber sie hasste Wenders. Zu deutsch, zu schicksalsschwanger. Zu pathetisch. Zu langatmig. Paris, Texas. Das war doch der Film, der Nastassja Kinskis Karriere ein jähes Ende bereitet hatte. Aus genau diesen Gründen. Scheiße, sah dort der Mond auch so mickrig aus?
Sah der Mond immer aus wie diese kleine Scheibe? Verdammt, das musste die frische Luft sein. Sie war um einiges betrunkener, als sie gedacht hatte. Karin war plötzlich unsicher. Und sie hatte ihre trunken absurde Frage offensichtlich laut ausgesprochen.
»Suchen Sie den Mond?«, fragte der Mann, der plötzlich vor ihr stand. »Ich kann ihn spüren. Er kommt gleich wieder…«
Das war verrückt. Sie sah auf, konnte das Gesicht des Mannes aber nicht erkennen.
»Ich hoffe, du bist dann weg«, sagte Karin und macht eine wegwerfende Handbewegung.. Aber irgendwie war ihre Energie in den letzten Stunden versickert, sonst wäre ihre Reaktion auf einen völlig Fremden, der wirres Zeug redete, anders ausgefallen.
»Ich hol ihn dir, den Mond«, lächelte Thomas Kerner. Dann schlug er ihr seine Rechte mitten ins Gesicht. Sie spürte erst nichts außer totaler Überraschung. Erst mit dem zweiten und dritten Hieb kamen auch die Schmerzen.
Peters Handy klingelte wieder, als er im Taxi auf dem Weg zu Angela war. Das Display zeigte, dass der Anruf von Karl kam. Er zögerte, dann nahm er den Anruf an.
»Ja?« Peter wurde hin und hergeschaukelt, als der Fahrer die Kurven in atemberaubendem Tempo nahm. Er hatte seinen Dienstausweis vorgezeigt und den eingeschüchterten Taxifahrer angewiesen, so schnell wie möglich zu fahren. Ein Bulle unter Einfluss von Alkohol, der seinen Status ausnutzte, um schneller zu seiner Herzensdame zu kommen. Er wusste, dass es nicht richtig war. Es war ihm egal.
»Eins wollte ich dir noch sagen, Peter!«
Karls Stimme klang angestrengt und so leblos wie ein Musikstück, aus dem man die Bassspur entfernt hatte.
»Wenn du noch nicht völlig das Interesse an deinem Job verloren hast, dann lass dir was einfallen! Und zwar was Gutes! Lorenz hat dermaßen getobt, dass ihn die Krankenschwester aus dem Zimmer gejagt hat. Der schmeißt dich hochkant raus, wenn du nicht mit einer halbwegs glaubwürdigen Erklärung ankommst ...«
Peter ließ das einen Augenblick sacken. Es war keine Überraschung für ihn, er hatte damit gerechnet. Dann wurde ihm also die Entscheidung abgenommen. Auch gut, dachte er und ein Hauch Bitterkeit durchbrach seine sorgsam aufgebaute Lethargie.
»War’s das jetzt?«, fragte er schließlich in die entstandene Stille hinein.
Am anderen Ende konnte er Karl tief durchatmen hören. Es klang wie ein resigniertes Seufzen und in Gedanken sah er den alten Freund die Augen verkippen und den Kopf schütteln.
»Fuck you, Peter Johnson!«, sagte Karl nur und legte auf.
»Ja. Fuck You Too, Pal!«. Peter sagte es tonlos ins Leere.
Alles hatte seine Grenzen. Auch das Bewusstsein, selber Mist gemacht zu haben. Peter war nicht bereit, den reuigen Büßer zu geben. Nicht jetzt! Fuck you, Karl. Fuck you, Lorenz! Fuck you all …
Er schob das ungute Gefühl, den Anflug von Bedauern und schlechtem Gewissen beiseite und starrte angestrengt auf die Straße.
»Fahr schneller!«, raunzte er schließlich den Fahrer an.
Aber Karls Worte hallten immer noch nach, wie das Echo einer Melodie, die kein anderer hört. Verdammt, darum konnte er sich später kümmern. Jetzt hatte Angela oberste Priorität. Sie und Kerner.
Der Wagen schoss um die Ecke, dann waren sie auch schon in Angelas Straße. Die Scheinwerfer des Taxis erfassten eine Gestalt am Straßenrand, die über etwas - oder jemanden - gebeugt war. Als sie sich aufrichtete und zu ihnen umdrehte, konnten sie erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde sein Gesicht vom Lichtstrahl erleuchtet. Peter glaubte, in einen Albtraum gerissen worden zu sein, als er das diabolische Grinsen in einem zur Fratze verzerrten Gesicht erblickte. Dann machte der Mann einen Schritt auf sie zu. Der Fahrer riss den Wagen in einer verzweifelten Reaktion herum, machte eine Vollbremsung. Mit blockierenden Rädern schleuderte das Taxi nach links, krachte gegen die Bordsteinkante, wurde zurückgeschleudert und kam schließlich zum Stehen. Peter, durch den Aufprall gegen den Vordersitz gepresst, handelte instinktiv. Den Gurt abzustreifen, die Tür aufzureißen und sich aus dem Taxi zu katapultieren, passierte in einer einzigen fließenden Bewegung.
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