»Steht morgen alles in meinem Bericht. Besser gesagt, heute. Nach der Autopsie. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen…«.
Der Arzt hatte die unterste Stufe schon erreicht, als ihn Berndes aufhielt. »Kommen Sie, Jonas! Werfen Sie uns in Ihrer unendlichen Güte ein paar Brocken hin.«
Der Pathologe seufzte laut, ging aber nicht weiter. Schließlich drehte er sich widerwillig um.
»Nun gut, wenn ich dann endlich schlafen gehen kann: Der Tod ist etwa vor ein bis zwei Stunden eingetreten, grob geschätzt. Arbeitsmittel: wahrscheinlich ein Messer oder ein anderes scharfkantiges Instrument ähnlicher Art. Todesursache ist übrigens nicht der Verlust der Männlichkeit, auch wenn dieser nach einer Weile infolge des Blutverlustes zum Exitus geführt hätte, sondern akutes Herzversagen.« Er funkelte Berndes an. »Genug Brocken? Alles andere dann später.« Sprach’s und war verschwunden.
Berndes sah ratlos zu Jürgens, der ihm grinsend zuzwinkerte:
»Der scheint Sie ja echt zu mögen, Chef! Aber keine Angst: Sie werden gleich verstehen, was er gemeint hat.«
Damit federte er die letzten Stufen hinauf, öffnete die erste Tür links der Treppe, stand dort Spalier und bedeutete seinem Vorgesetzten mit einer fließenden Bewegung seines Armes, einzutreten.
Der Anblick war grotesk.
Die Leiche von Alexander Brinkmann lag rücklings auf dem Bett, Arme und Beine gespreizt und jeweils mit Seilen an einen Bettpfosten gebunden. Der Gestank nach Kupfer und rohem Fleisch war atemberaubend. Das Gesicht des Toten war verzerrt, die glasigen Augen aufgerissen, der Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Zwischen den Beinen und im Brustbereich jeweils riesige Blutlachen. Berndes glaubte etwas Metallisches in der Unterleibsgegend zu erkennen, aber er war sich nicht sicher, weil das Blut keinen klaren Blick erlaubte. Er ging näher heran und zuckte zurück. Sah wie um Hilfe suchend Jürgens an. Setzte an:
»Sagen Sie mir, dass das nicht das ist, was ich denke, dass…«.
»Wenn Sie meinen, dass man ihm den Schwanz abgeschnitten hat-«.
»Jürgens, verdammt! »
»Tschuldigung! … die Genitalien abgeschnitten, dann haben Sie recht.«
»Herrgott, das meine ich nicht. Das, was da rausguckt… ist das ein Kreuz?« Berndes war fassungslos.
»Ja, ist es. Jemand hat ihm ein Kruzifix in den Arsch geschoben. Bis zum Anschlag.«
Jürgens räusperte sich, als er den wütenden Blick seines Vorgesetzten sah. »Tut mir Leid, Chef. Wegen der Ausdrucksweise, meine ich. Aber da können sie schon mal mit einem durchgehen… und das ist ja noch nicht alles.«
Berndes sah ihn nur an.
»Das Abschneiden der Genitalien und das Penetrieren des Afters mit dem Kreuz … da hat er noch gelebt. Gestorben ist er erst, als ihm das Herz herausgeschnitten wurde.«
Jürgens verstummte, ließ das bei Berndes sacken.
»Und wo ist sein Herz jetzt?« Berndes‘ Stimme hatte jede Resonanz verloren.
»Und sein verdammter Schwanz dazu?«
»Wir wissen es nicht, Chef. Der… Schwanz liegt im Abfalleimer. Das Herz ist spurlos verschwunden.«
Akutes Herzversagen, dachte Frank Berndes indigniert. Einen komischen Humor hatten diese Pathologen.
»Kerner fing systematisch an, Angela zu demontieren«. Peter lachte humorlos. »Er drehte die Tatsachen einfach um. Erzählte beiläufig davon, dass er ihre Arbeit sehr schätzte und eigentlich mehr als zufrieden mit ihr sei.« Das eigentlich dehnte Peter unnatürlich aus.
»Leider würde sie Arbeit und Freizeit nicht so richtig trennen können. Er machte dubiose Andeutungen, dass sie versucht habe, eine Gehaltserhöhung zu erschleichen. Wenn nachgefragt wurde, wie das ausgesehen habe, sagte er nur, er sei ein Gentleman und würde demzufolge schweigen.«
»Das ist frech«, sagte Liebrich trocken. »Aber jedes Mal bleibt ein bisschen hängen. Richtig?«
»Richtig. Können Sie sich vorstellen, wie es aussah, als Angela sich mit ihrer Forderung nach einer Gehaltserhöhung an die Leitung wandte?«
» Das hat sie getan? Das ist irgendwie auch dreist, oder?«
»Das ist Angelas Sinn für Fairness. Kerner hatte es ihr versprochen und sie hatte es verdient. Sie war gut. Punkt.«
Liebrich konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ich glaube, ich fange an, deine Angela zu mögen.«
»Jedenfalls war das nur ein Mosaiksteinchen in Kerners Intrigenpuzzle. Er zog alle Register. Unterlagen verschwanden plötzlich, Aufzeichnungen von Angela waren unvollständig, als sie sie der Leitung präsentieren wollte. Dateien auf ihrem Rechner wurden gelöscht. Ihr Zugang zum Netzwerk wurde gesperrt – und jedes Mal sah es so aus, als läge der Fehler bei ihr.«
»Warum hat sie nicht gekündigt?«
»Weil sie nicht einfach weglaufen kann. Sie kann es nicht. Angela ist so. Sie hatte sich etwas aufgebaut, etwas erreicht – und zwar aus eigener Kraft. Warum sollte sie das aufgeben? Weil ihr Chef ihr das Leben zur Hölle machte? Das ist kein Grund. Jedenfalls nicht für Angela.«
Peter spülte sich die mittlerweile trocken gewordene Kehle mit einem Schluck Bier, steckte sich erneut eine Zigarette an, sah versonnen dem Rauch hinterher, bevor er weitersprach.
»Sie müssen verstehen, wie Angela strukturiert ist. Arglist, Intrigen, Lügen… das sind Fremdwörter für sie. Sie ist der offenste, ehrlichste Mensch, den ich kenne. Nur…« Peter zuckte mit den Schultern.
»… was eigentlich eine menschliche Stärke ist, ist gleichzeitig ihre größte Schwäche. Es macht sie angreifbar. Sie erwartet von allen anderen Menschen dasselbe, glaubt an Gerechtigkeit. Jedenfalls war das damals noch der Fall. Sie war im Recht, denn Kerner war der, der ein falsches Spiel trieb, nicht sie. Also war Kerner derjenige, der gehen musste. So einfach, so logisch, so falsch.«
»Weil die Institutsleitung ganz anderer Meinung war, nehme ich an.«
»Natürlich. Kerner war unersetzlich. Die größte Koryphäe auf seinem Gebiet. Sie konnte nur verlieren.«
»Sie haben sie entlassen?«
»Soweit kam es nicht«, nahm Peter den Faden wieder auf. »Es war eine Frage der Zeit, aber Kerner unternahm einen letzten Versuch. Er muss mittlerweile wie besessen davon gewesen zu sein, Angela zu kriegen. Jedenfalls kam er zu ihr, um ihr einen Deal vorzuschlagen. Er sagte, sie stünde ihm zu. Er-«
»Sie stünde ihm zu? Das ist krank, das ist widersinnig«, unterbrach Liebrich entrüstet. »Natürlich ist es das. Er hatte jede Verhältnismäßigkeit verloren. Offensichtlich kam es nicht oft vor, dass er einen Korb bekam. Ich glaube, er war schon immer latent geisteskrank. Genie und Wahnsinn sollen doch Hand in Hand gehen. Ein schmaler Grat, auf dem solche Leute wandeln…«.
»Und den Kerner durch Angelas Verweigerung überschritten hat«, ergänzte der Alte.
»Ja. Anders ist das Folgende nicht zu erklären. Er kam also zu ihr, sagte, sie stünde ihm zu, denn er habe sie erschaffen, habe sie zu dem gemacht, was sie sei. Durch ihn habe sie die Chance bekommen, sich in ihrem Job zu beweisen. Sein Genie sei es, das auch auf sie abgefärbt habe. Er habe sie groß gemacht und er würde sie auch wieder ganz kleinkriegen. Es sei an ihr, ihre Dankbarkeit zu zeigen – dann könne alles andere wieder in Ordnung kommen. Lauter so durchgeknalltes Zeug. Angela sagt, er hätte dabei ausgesehen wie Jack Nicholson in ‚The Shining‘.«
»Ich kann mir vorstellen, wie ihre Antwort ausgesehen hat.«
»Das bezweifele ich.« Peter konnte sich ein erneutes Grinsen nicht verkneifen. »Sie ließ ihn nah an sich herankommen, wiegte ihn in dem Glauben, er hätte es geschafft. Und gerade, als sich Triumph in seinem Gesicht breitmachte und er seine Arme um sie legen wollte, hat sie ihm das Knie mitten in seine Kronjuwelen gerammt.«
»Deine Angela erstaunt mich immer wieder«, schmunzelte Liebrich und hob anerkennend die Augenbrauen.
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