Ich drehte mich langsam um, mit einem Lächeln auf den Lippen, das schließlich, als ich die Drehung beendet hatte, zu Eis gefror. Ich hatte den Mann noch nie gesehen, aber ich kannte ihn, ich wusste nur nicht woher! Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen ging es ihm genauso.
Er fasst sich als erster und sagte kurz: "Entschuldigen sie bitte, aber ich glaub, ich habe sie mit jemandem verwechselt."
Ich lachte unsicher: "Komisch, ich dachte auch im ersten Moment, dass ich sie kennen würde. Ich weiß nur nicht woher."
'Wieso bin ich so ehrlich zu ihm?', wunderte ich mich.
Der Mann war nicht bereit, das Ganze als harmloses Versehen abzutun: "Habe ich sie vielleicht schon einmal im Fernsehen gesehen? Ich kann mich wirklich nicht persönlich an sie erinnern, aber vielleicht hatten sie einen kurzen Auftritt in einer Serie?"
Diese Art von Anmache fand ich wirklich ziemlich plump, aber ich beschloss es locker zu sehen: "Das ist zu viel der Ehre. Nein, das kann nicht sein."
Wo war auf einmal meine Schlagfertigkeit hin? Sah der Mann zu gut aus? War seine Stimme zu erotisch tief? Verlegenheit machte sich breit und Fußgänger um uns sahen bestimmt schon die Rauchwolken über unseren Köpfen, weil jeder sich Gedanken machte, wie er nun möglichst unspektakulär aus dieser Situation herauskommen konnte.
Ich fasste als erste den Entschluss, diesen augenblicklichen Zustand nüchtern zu beenden: "Nichts für Ungut. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag."
Er verabschiedete sich mit einem Lächeln und wir gingen unserer Wege, aber ich ertappte mich dabei, wie ich noch ein paar Mal verstohlen den Kopf nach ihm drehte und weiter grübelte, woher ich diesen Mann kannte. Einmal erwischte ich ihn auch dabei, wie er sich nach mir umdrehte.
Normalerweise hätte ich das Ganze spätestens nach wenigen Minuten als persönliche Spinnerei meinerseits abgetan, aber da es dem Mann genauso wie mir ergangen war, gelang es mir nicht, meine Gedanken völlig zu ignorieren.
Ich versuchte mich zu erinnern, aber es gelang mir nicht, den jungen Mann, der etwa in meinem Alter war, irgendwo einzuordnen.
Ich ging zu einem kleinen Springbrunnen, setzte mich auf den Rand, zündete mir eine Zigarette an und rauchte nachdenklich, bis ich mir fast die Finger am Filter verbrannte. Dann gab ich es auf, weiter darüber nachzudenken. Erfahrungsgemäß kam ich schneller an mein Ziel, wenn ich nicht mehr nachdachte, sondern meine Gedanken anderweitig treiben ließ - sonst würden meine grauen Gehirnzellen einen Kurzschluss erleiden, so sehr konnte ich mich in eine Sache verrennen.
Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Kaum war ich in meiner Wohnung angekommen, hatte ich die merkwürdige Begegnung vergessen. Der frühe Abend ging für mich sehr geruhsam zu Ende und nachdem ich noch ein wenig Musik gehört, ein Glas Wein getrunken hatte, legte ich mich in mein Bett und schlief sofort ein.
Der Rest der Woche verging wie im Fluge, das Wetter war weiterhin wie im Bilderbuch sonnig und warm und alle Menschen waren fröhlich und schienen nur Gutes im Sinn zu haben. Wehe, das Wetter würde wieder schlechter werden...
Ich sah dem Wochenende zufrieden entgegen, denn das Wetter schien sich zu halten. Am Freitag lag ich dann faul am Strand des kleinen Baggersees der Stadt, an dem ich mich immer erfrischte. Mein vor mir liegender dreiwöchiger Urlaub versprach Entspannung und Erholung pur! Ich hatte mich gerade gemütlich auf den Bauch gedreht, als ich wieder diesen Blick zwischen den Schulterblättern spürte. Wie elektrisiert fuhr ich auf und hinter mir stand der gleiche Mann, den ich in der Stadt getroffen, aber schon längst vergessen hatte!
"Alena?" sah er mich fragend an.
Ich stand erschrocken auf: "Woher wissen sie meinen Namen?"
In der Stadt hatte ich ihn nicht genannt. Plötzlich durchfuhr mich eine Erinnerung, wie ein Blitz schoss sie durch meinen Körper, ein schmerzhafter Stich kroch in meine Eingeweide und ich sah den Traum, den ich mittags vor wenigen Tagen hatte, vor meinem inneren Auge vorbeiziehen:
Ich stand alleine in der Küche. Es war ein sehr großer und freundlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, mehrere Gläser befanden sich darauf, so, als ob sie jemand kurz zuvor benutzt hatte. Die Arbeitsplatte rechts von mir war groß und hell. Weiße Fließen rundeten das Gesamtbild ab. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster, die Sonne wärmte mich. Doch sie wärmte nur meinen Körper, denn ich spürte eine eisige Kälte in mir. Verzweiflung! Vor mir saß ein Mann in einem Rollstuhl und sagte mir, dass er mich umbringen würde. Er und ich wussten nicht wieso, aber wir wussten beide, dass es geschehen würde. Es war die Gewissheit, dass es geschehen würde, die die eisige Kälte in mir verursachte. Es war grotesk. Ich hätte versuchen können zu fliehen, denn auch die Tatsache, dass er zwischen mir und der Tür stand, die meine letzte Rettung gewesen wäre, hätte mich nicht mutlos werden lassen sollen. Ich hätte es versuchen sollen, aber ich tat es nicht. Etwas in seinen Augen, die nicht irre aufblitzten, ließen mich dieses Vorhaben gar nicht erst weiter in Gedanken fassen.
Er sagte einfach: "Alena, komm her."
Nicht drängend, nicht böse, einfach nur sanft und sachlich. Ich ging langsam zu ihm, kniete vor ihm nieder. Er hielt ein gewaltiges Messer in der Hand und setzte es vorsichtig an meiner Kehle an.
Ich flehte ihn an: "Nein."
Doch er nickte nur traurig, ernst. Ich stand schnell auf, warf mich zurück an die Wand, spürte die kalte, raue Oberfläche des Putzes, drückte mich Hilfe suchend daran. Der Mann bewegte sich nicht. Er wusste, dass ich kommen würde, wieder zu ihm kommen würde. Ich kannte ihn nicht, aber ich wusste, dass er mein Mörder werden würde.
Er nannte mich wieder bei meinem Namen: "Alena."
Ich fing an zu weinen: "Nein. Bitte! Tu es nicht. Ich habe solche Angst vor den Schmerzen."
Ich ging wieder zu ihm, wandte mich wieder ab. Obwohl er mich noch nicht verletzt hatte, spürte ich Schmerzen an meiner Kehle. Meine Angst vor dem Tod war gering, aber die vor den Schmerzen, die das gewaltsame Hinübergleiten in den Tod begleiten würden, war groß. Dann atmete ich ganz ruhig, hatte mich gefasst. Ich ging auf dem Mann zu, kniete vor ihm nieder, war bereit. Er setzte die kalte Klinge so an meiner Kehle an, als ob er versuchte, mir so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen. Dann schnitt er meine Haut ganz leicht an. Jetzt war ich auf den endgültigen Schnitt vorbereitet – der Schmerz konnte kommen. Ich sah ihm erst in die hellgrünen Augen, dann schloss ich meine Augen langsam, spürte den ziehenden, tiefen Schmerz, als er mir von rechts nach links die Kehle durchschnitt.
Ich schüttelte den Kopf, keuchte, der Mann vor mir, den ich auch schon in der Stadt getroffen hatte, war der Mörder im Rollstuhl! Meine Traumperson. Und ich war seine. Wir hatten den gleichen Traum erlebt - jeder aus seiner Sicht!
"Wie...wie hast du mich wieder erkannt?", fragte ich.
"Ich habe dich schon damals in der Stadt erkannt, aber da du nicht reagiertest, gar kein Erkennen signalisiert hattest, da dachte ich, dass ich mich geirrt hatte. Aber als ich dich heute wieder sah, da war kein Zweifel mehr möglich. Ich habe dich in meinem Traum...getötet. Und du existierst nicht nur in meinem Traum."
Seine Augen leuchteten. Es war unmöglich! Ich verstand es nicht, doch der Mann vor mir war tatsächlich der Mörder in meinem Traum!
Die Sonne brannte plötzlich heißer, Schweiß lief mir von der Stirn herab und ich wischte ihn gedankenlos mit dem Handrücken weg. Es konnte nicht möglich sein, ich hatte noch nie von so etwas Verrücktem gehört. Doch der junge Mann war genauso nachdenklich. Es gab keinen Zweifel.
Ich wollte mich dem stellen: "Nun gut, da haben wir etwas erlebt, das es eigentlich nicht geben dürfte. Wie ist dein Name?"
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