Endlich trauten sich Yan und Ralf zurück, wir setzten uns alle um den Tisch herum, bedienten uns von den belegten Broten, tranken Rotwein dazu und vermieden es uns einander anzuschauen.
Ich brachte nicht viel herunter, obwohl die Brote wirklich lecker waren.
Ich steckte mir eine Zigarette an, nahm noch einen Schluck vom Wein und blickte in die Runde: "Ich warte!"
"Wer fängt an?", fragte Ralf.
Alle drei tauschten unglückliche Blicke - schließlich seufzte David: "Ich werde anfangen. Wir kennen uns noch nicht so lange. Alena, wenn du etwas nicht verstehst, dann frag bitte sofort, wir möchten wirklich, dass du alles weißt und verstehst."
Mein Kommentar war trocken: "Keine Einwände."
David prostete mir mit seinem Glas Rotwein zu, ich erwiderte die Geste, dann fing er an zu erzählen: "Neben dieser Welt, in der du lebst, existiert noch eine weitere, in einer anderen Dimension. Du würdest vergeblich in dem Weltall nach dieser Welt suchen. Vielleicht gibt es parallel dazu noch andere Welten, das wissen wir aber nicht. Uns sind nur diese beiden bekannt, aber auszuschließen ist es natürlich nicht."
Ich unterbrach ihn schon: "Moment mal, bedeutet das, dass die Träume, die ich von euch hatte, in einer Welt stattfanden, die wirklich existiert? Ich war in einer anderen Welt in meinen Träumen?"
David nickte: "Ja. Wir leben in dieser Welt. Es sind zwei getrennte Welten, die aber wenige Menschen in ihren Träumen durchaus besuchen können. Menschen, die Magie begabt sind, können in ihren Träumen die Welten besuchen. Wir eure und ihr unsere."
Yan erzählte weiter: "Du bist im Moment dafür verantwortlich, dass David uns hier besuchen kann. Die Magie in unserer Welt ist nicht allmächtig. Wir brauchen einen Menschen auf der Erde, der uns in diese Welt praktisch führt. Und das warst du. Du hast heute David in unserer Welt besucht und ihm so einen Weg hierher geebnet."
Ich runzelte die Stirn: "Aber ich bin nicht Magie begabt. In unserer Welt gibt es keine Magie!"
Yan lachte: "Weil ihr nicht daran glaubt. Weil eure Welt die Magie vergessen hat. Aber du hast ein Talent dazu. Du musst Magie in dir haben, sonst hättest du nicht von uns träumen können!"
Ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Wollten die drei mich hereinlegen? Ralf stand kurz auf, brachte eine Kerze, zündete sie an und ich betrachtete mir die drei Gesichter im warmen Licht der flackernden Kerze. In keinem einzigen Augenpaar konnte ich einen versteckten Hinweis darauf erkennen, dass sie mich foppen wollten. Sie meinten es tatsächlich ernst!
Ralf erklärte weiter: "Wir haben beide sehr viel Fantasie und Vorstellungskraft. Wir sind impulsiv und sensibel. Ich denke, dass das die richtige Mischung ist. Das ist in der Welt, wo David und Yan herkommen, Magie. Es reicht bereits aus, wenn man durch einen sehr intensiven, realistischen Traum in die andere Welt gelangt und dort einen Menschen trifft. Dadurch schaffen wir für diesen Menschen eine Art Durchgang, lass es mich besser Kanal oder Tunnel nennen, der es dem Menschen in seinen Träumen ermöglicht, hier auf der Erde den Träumer zu besuchen. Es ist für mich nur unerklärlich, warum wir beide von den gleichen Menschen geträumt hatten. Dadurch existieren nun zwei Durchgänge für Yan und zwei für David."
Yan winkte ab: "Es ist genauso unerklärlich, warum es ausgerechnet zwei Menschen in der gleichen Stadt gibt, die diese Begabung haben. Aber ich hab gemerkt, dass das Hereingleiten auf die Erde nun leichter ist, seitdem Alena uns besucht hat."
David nickte.
Ich hatte eine Frage: "Waren dann die Träume, die ich hatte, auf eurer Welt Realität?"
David schüttelte den Kopf: "Nein. Du warst nur wenige Augenblicke dort. Es gibt zwei Traumstufen. Die erste ist die, die alle Menschen erleben. Die zweite ist die, die in unsere Welt führt. Das sind die realen Träume, die tiefen, echten Träume. Aber diese scheinen euch so viel Energie zu kosten, dass es euch nicht möglich ist länger dort zu verweilen. Die meiste Kraft scheint für die Erschaffung des Durchgangs verbraucht zu werden."
Ich unterbrach schon wieder: "Heißt das, dass ihr im Moment auf eurer Welt schlaft und von unserer träumt?"
Alle drei nickten.
Ralf erhob das Wort: "Da Zeit relativ ist und in Träumen sowieso unterschiedlich abläuft, sind beide so oft und lang hier, dass ich für sie eine Wohnung organisiert habe, damit sie sich hier eine zweite Existenz aufbauen konnten."
Ich nickte. Yan hatte die Wohnung in meiner Straße.
Yan schien meine Gedanken zu lesen: "David 'wohnt' bei mir. Aber in letzter Zeit kam er nicht so oft hierher. Bis du ihn wieder gerufen hast."
Ich fragte erneut: "Okay. Soweit habe ich das verstanden - wenn man in dieser Geschichte überhaupt von ‘verstehen‘ sprechen kann. Aber um nochmal auf meine Frage zurückzukommen: Wie viel von meinem Traum von David war 'echt'?"
David lachte: "Ich hab dich in der Ebene stehen sehen, dich in meine Arme genommen und bin mit dir geflogen. Als ich dich abgesetzt und dir gesagt hatte, dass du auf mich warten solltest, weil ich noch etwas zu erledigen habe, war ich nur ganz kurz weg und als ich wieder an die Stelle kam, warst du nicht mehr da."
Ich blickte Yan an: "Und wie war das bei dir?"
Yan lächelte mich an: "Ich hatte dich nur ganz kurz gesehen. Du standest hinter einem Baum, dann verschwandest du wieder."
Ich zog die Augenbrauen zusammen: "Aber woher wusstest du von meinem Traum?"
Alle drei grinsten verschwörerisch, dann antwortete Yan: "Ich konnte deine Gedanken lesen."
Ich fiel aus allen Wolken: "Jetzt auch noch?"
David strich mir beruhigend über meinen nackten Arm: "Nein, nur in unserer Welt. Eigentlich ist es auch uns - Magie Begabten - nicht möglich die Gedanken anderer zu lesen, aber deine waren wie ein offenes Buch. Du hast mir durch deine Magie deine Gedanken regelrecht aufgedrängt. Ich konnte gar nicht anders, als darin zu lesen. Entschuldige, wenn ich dich damit in irgend einer Weise verletzt haben sollte."
"Das ist eine komische Welt", schüttelte ich den Kopf - das war zu viel für mich.
Yan erwiderte meinen Blick: "Nein, sie ist ähnlich aufgebaut wie die Erde. Nur mit dem Unterschied, dass es euch eher wie eine Fantasiewelt vorkommen würde, wenn ihr sie länger besuchen könntet. Dort gibt es Drachen, Einhörner, Elfen, Vampire, Zauberer und viele Geschöpfe mehr, als auf der Erde."
Ich dachte nach. Dann war diese Welt in der anderen Dimension vielleicht der Ursprung der Legenden auf der Erde. Keine erfundenen Geschöpfe in den Köpfen der Menschen, sondern echte Wesen, die in der "Traumwelt" gesehen wurden. Real existierende Wesen - nur in einer anderen Dimension.
Ich hatte noch eine Frage: "Kommt es den Menschen auf eurer Welt denn nicht komisch vor, wenn plötzlich ein Mensch vor euch auftaucht und dann auf einmal wieder verschwindet?"
Yan wiegte den Kopf hin und her: "Die wenigsten wissen von der Erde und deren Besucher. Außerdem hab ich noch nie gehört, dass ein Mensch von der Erde vor den Augen anderer aufgetaucht und wieder verschwunden ist. Es war immer so, wie bei der Begegnung mit dir. Hinter einem Baum hervorschauend und sich wieder versteckend, und dann, wenn man nachschauen wollte, wer sich da versteckt hatte, war keiner mehr da."
Mir fiel noch etwas anderes ein: "Hat ein Bewohner eurer Welt uns bewusst auf der Erde besucht, ohne durch einen Traum 'eingeladen' geworden zu sein?"
Davids Gesicht verdüsterte sich: "Soweit ich weiß, hat das nur eine Person gewagt, in einem magischen Experiment. Allerdings ist dabei etwas schief gelaufen und seitdem soll diese Person auf der Erde leben. Sie hatte den Durchgang zu eurer Welt durch zu viel magische Kraft aufgerissen, dass sie nicht nur mit dem Geist, sondern komplett, mitsamt dem Körper, hierher gezogen wurde. Da auf der Erde aber keine Magie herrscht, konnte diese Person nicht mehr nach Hause. Aber das ist auch gar nicht schlimm."
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