In die Freundesbeziehungen mischten sich teils belebend, teils störend verschiedene Liebeswirren. Natalie Beer hatte sich zuerst in Stankjewitsch verliebt, und als sie bemerkte, daß ihre Neigung unerwidert blieb, in einem Aufschwung der Seele ihn mit ihrer Freundin Ljubow Bakunin bekannt gemacht, in der er, nach ihrer Meinung, das gesuchte Ideal finden würde. Nach der Bekanntschaft mit Michael lud dieser die Freunde ein, und Stankjewitsch und Bjelinski verlebten glückliche Monate auf dem Gute. Stankjewitsch verlobte sich wirklich mit Ljubow, Bjelinski entbrannte leidenschaftlich für Alexandra, die jüngste Schwester. Beide empfingen einen unauslöschlichen Eindruck von dieser Familie in dieser Umgebung. Bjelinski sah zum ersten Male die Harmonie und Schönheit des Lebens, die er ersehnt hatte, in reifer Wirklichkeit vor sich. Vielleicht gab es viele große Güter in Russland mit Wäldern und Strömen, gastlichen Herrenhäusern und weiten Blicken in eine unergründliche Natur; hier aber begegnete man dem alles krönenden menschlichen Geist als der Blüte und Frucht, in den die aromatischen Säfte aus unzähligen Quellen münden. In dem Benehmen und den Gesprächen des Vaters und der Kinder war jene Kultur zu spüren, die darin besteht, daß alles Unwesentliche, so angenehm, nützlich und bequem es sein mag, nur um des Ewigen willen geschätzt wird, mit dem es verbunden ist. Der alte Bakunin, durch Erblindung, die ihn traf, als er etwa sechzigjährig war, noch würdevoller und gleichsam geheiligt, hatte als junger Mann dem Kreise der Dekabristen nahegestanden, ohne daß es ihn je zu Taten gedrängt hätte. Einst hatte er seinen Leibeigenen eine Verfassung geben wollen, da sie selbst sie aber als Neuerung ablehnten, jeden Versuch zu Veränderungen aufgegeben. Älter werdend, neigte er ausgesprochen zum Bestehenden, worin ihn seine Frau bestärkte. Mit der Urbanität eines großen Herrn übte er Duldung gegenüber freier Meinungsäußerung in seinem Hause, vorausgesetzt, daß der Gast seinerseits sich im selben Geiste bewege. Bjelinski jedoch, der Arme, Leidende, den die Liebe noch linkischer machte und den das Glück und die Harmonie des Hauses ebenso verletzte, wie sie ihn entzückte, sprach ketzerische Ansichten zuweilen mit einem rohen Nachdruck und einer Absichtlichkeit aus, die den alten Herrn empörten. So handelte es sich einmal bei Tische um die Französische Revolution, die eine Art Maßstab für die Gesinnungen bildete. Der alte Bakunin zürnte seinem Sohne, daß er und mit ihm seine Freunde den Frieden seines Hauses trübten. Es kam so weit, daß die Kinder den Eltern als ein feindlicher Haufe gegenüberstanden, angeführt von Michael unter der Fahne der neuen Religion. Sein Evangelium wurde auch von den jüngeren Brüdern angenommen, welche in Twer auf die Schule gingen und sich dort unaussprechlich langweilten, von Heimweh nach dem geliebten Dorf erfüllt. Sie beschlossen, von Michaels Ideen begeistert, den verhaßten Zwang abzuwerfen und zu ihm nach Moskau zu entfliehen, wo sie dem vorauszusehenden Zorn des Vaters Trotz bieten würden. Als die Großmutter, welche in Twer wohnte und eine Art Aufsicht führte, von ihren Plänen unterrichtet, ihnen ihr Betragen strafend vorhielt, kündigten sie ihr förmlich den Gehorsam auf. Nicht mit Unrecht sahen die erschrockenen Eltern in Michael die eigentliche Ursache dieser Schülerempörung. Michel schrieb denn auch den Brüdern einen Brief, in dem er ihnen klarmachte, sie hätten ihn mißverstanden, in ihrem Alter müsse man noch gehorchen; allein der Brief war unleugbar viel kürzer und weniger eindringlich als die, in denen er Freiheit und Liebe predigte.
Man könnte meinen, Michel hätte eine Verbindung zwischen seinem Freunde Bjelinski und einer seiner Schwestern begünstigen müssen, gerade im Gegensatz zu seinen Eltern; das war aber nicht der Fall. In Märchen erscheinen zuweilen gewalttätige königliche Väter, die ihre Töchter so frevelhaft lieben, daß sie sie keinem Manne geben wollen. Etwas von diesem herrischen Gefühl war in Bakunins Liebe zu seinen Schwestern. Warwara hatte zu einer Zeit, als Michael noch jünger und sein Einfluß weniger entscheidend war, geheiratet, aber sie hörte bald auf, ihren Mann zu lieben. Obwohl er seiner Frau treu anhänglich war, deren Selbstquälerei und religiöse Skrupel ihm gewiß das Leben mit ihr nicht leicht machten, war es für Michel ausgemacht, daß seine Schwester von diesem tieferstehenden Menschen befreit werden müsse. Die lichte Atmosphäre von Kultur, die das Bakuninsche Haus durchdrang, erfüllte augenscheinlich Warwaras Mann, der nicht in einem solchen aufgewachsen sein mochte, mit Bewunderung; er betrachtete sie wohl als ein übergeordnetes Wesen, das an sich zu fesseln er schon allerlei Opfer bringen müsse. Warwara konnte sich im täglichen Umgange mit einem Manne, der ihr nichts zuleide getan hatte und der durch sie litt, nicht dem Mitgefühl für ihn entziehen und auch wohl nicht dem Bewusstsein, ihm gegenüber im Unrecht zu sein; Michael kam dergleichen nicht in den Sinn. Eine Verpflichtung seiner Schwester, in der einmal eingegangenen Ehe auszuharren und sie so gut wie möglich zu gestalten, anerkannte er nicht; ihm galt als höhere Pflicht, sich dem erniedrigenden Einfluß eines gewöhnlichen Mannes zu entziehen. Ihm genügte als Grund schon, daß sie ihn nicht liebe; aber hätte sie ihn geliebt, würde er noch mehr darauf gedrungen haben, daß sie ihn verließe. Warwara ging nicht so weit, machte nur das eine zur Bedingung, daß ihr Mann ihre Religion nicht antaste, von der er offenbar nichts verstand und nichts verstehen wollte; man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß in diesem Zwist der nachgiebige und versöhnliche Mann religiöser war als die auf diesem Punkte so heikle Warwara. Michel anderseits war nichts so verhaßt als das übliche Versumpfen im gedankenlosen Wohlleben; er erregte jene Stürme, damit lieber etwas zerbreche, als daß Stagnation eintrete; warf er doch sogar Bjelinski gelegentlich vor, er laufe Gefahr, ein Bonvivant ohne Ideale zu werden. Dazu kam nun aber seine brüderliche Eifersucht. Kaum bildete sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Schwestern und Bjelinski, als sein Benehmen ungleich, unerklärlich beleidigend gegen den Freund wurde, der in seinem Vaterhause zu Gaste war; erst als Tatjana, der er besonders nahestand, ihm erwiderte, daß sie weder zu Bjelinski noch zu einem anderen Manne eine Neigung habe, beruhigte er sich wieder. Übrigens erwiderte Alexandra die Liebe Bjelinskis nicht, und dieser heiratete später eine andere, ohne daß er je den Zauber hätte vergessen können, den die Schwestern in Prjamuchino ausübten. Als Bjelinski später Michel sein kränkendes Betragen vorhielt, gestand dieser alles zu und erklärte es durch seine Eifersucht mit so viel Freimut und Herzlichkeit, daß er den Zürnenden vollständig entwaffnete.
Einzig gegen die Verlobung der ältesten Schwester Ljubow mit Stankjewitsch hatte er nichts einzuwenden; vielleicht weil er Stankjewitsch so überaus hochstellte, vielleicht weil Ljubow ihm weniger nah verbunden war als die anderen, vielleicht aber auch, weil Stankjewitsch bald erkannte, daß sein Gefühl nicht stark genug war, um eine Heirat darauf zu gründen. Die Süße und Lieblichkeit der armen Ljubow hatte auf die Dauer nichts Anregendes für ihn; es mag sein, daß sie ihm zu ähnlich war: Sie war es ja jedenfalls darin, daß sie beide zu frühem Tode an der Schwindsucht bestimmt waren. Er brachte den Mut nicht auf, das Herz des zarten Mädchens zu zerreißen, und half sich dadurch, daß er ins Ausland reiste und durch Briefe mit ihr verbunden blieb, es der Zukunft und dem Zufall überlassend, die Verwickelung zu lösen. Es geschah durch ihren Tod; sie starb, ohne erfahren zu haben, daß der Geliebte sich längst von ihr gelöst hatte.
Die Flucht des Freundes Stankjewitsch ins Ausland wurde für Michel ein lockendes Vorbild; er hätte sich ihm am liebsten sofort angeschlossen, wenn er die Mittel dazu aufgebracht hätte, die sein Vater ihm nicht geben zu können erklärte. Mit Mühe wurde Warwara die Reise ermöglicht, während welcher sie sich besinnen sollte, ob sie die Ehe wieder aufnehmen oder endgültig lösen wollte. In Italien traf sie mit Stankjewitsch zusammen, der inzwischen erkrankt war, und pflegte ihn bis zu seinem Tode. Zwischen dem Sterbenden und ihr flammte eine Liebe auf, von der es ungewiß bleibt, ob sie sich schon früher vorbereitet und das Verhältnis mit Ljubow gestört hatte.
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