»Was soll das?! Also so viel weiß ich selber dann doch noch. Wo das Herz liegt, hab‘ ich nicht vergessen!«, sagte Charly.
»Das soll meinen Gegnern Angst einflößen und mich daran erinnern wie vergänglich das Leben ist. Das Herz symbolisiert den Tod. Wenn es aufhört zu schlagen, ist man verreckt und beginnt zu verwesen. Es spornt mich an, auf mich selber und auf meine Gegner zu achten und so…Ahhhh. Das Tut weh!«, Epi unterbrach seine Rede vor Schmerzen, als Charly damit begann, seine Bauchwunde mit einer Pinzette zu säubern.
»…so alt werden wie du es bist. Das wollte ich sagen. Aua. Doc, ich muss schon sagen, du weißt wie man jemanden quälen kann. Du wärst ein richtig guter Polizist geworden.«
Epi lächelte verkrampft und biss sich auf seine Lippen, die dadurch leicht zu bluten begannen.
Charly entfernte mit der Pinzette die restlichen, von außen kaum sichtbaren, Zweige und Schmutzpartikel aus Epis Bauch. Dieser verzog keine Miene und zog mit seiner Hand eine Zigarette aus seiner Uniform. Danach steckte er sich zunächst die Zigarette in den Mund. Anschließend zückte er ein silbernes Feuerzeug in Form eines Minirevolvers und zündete die Zigarette in seinem Mund an. Das Feuerzeug ließ er auf den Boden fallen.
Danach zückte er aus seiner ausgezogenen Uniform einen kleinen Flachmann, legte die Zigarette auf den Boden und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Als Charly in seine Augen blickte, war er von dem Überlebenswillen des Mannes verblüfft. Seine Augen glühten wie die eines Tigers; wie die eines Tigers in Gefangenschaft, der nur darauf wartete wieder in die Freiheit zu gelangen und zu leben. Charlys Augen folgten dem Verlauf des Zigarettenqualms, der langsam von einer kleinen Brise verweht wurde.
Nach einiger Zeit verlor Epi langsam das Bewusstsein. Charly säuberte die Wunde und nähte sie anschließend routiniert zu. Auch wenn er sich nicht erinnern konnte, war Charly ab diesem Moment der festen Überzeugung so etwas schon einmal gemacht zu haben. Als er den Verband angelegt hatte und die Blutung gestillt schien, stand er auf.
Während Epi immer noch schlief, blickte Charly auf den Revolver, der auf dem Boden lag. Er hob ihn auf, zögerte kurz und richtete ihn dann mit beiden Händen auf Epi. Charlys Hände zitterten. Epi lächelte leicht im Schlaf. Sein Blick wirkte unschuldig.
»Als ob er in seinem Leben noch nie einem anderen Menschen Schaden hinzugefügt hätte«, dachte sich Charly.
Charly fühlte sich unwohl und als er merkte, wie ihm immer schwindeliger wurde, senkte er den Revolver und legte ihn an die Stelle auf dem Boden, wo er sich zuvor befunden hatte. Mit den letzten Kraftreserven schleppte er sich zurück in den umgebauten Bestattungswagen und legte sich an jenen Platz, wo er vor dem Unfall aufgewacht war. Aus der Ferne vernahm er das Geräusch von Sirenen, die sich der Lichtung näherten. Zu müde, um sich zu fürchten, schloss Charly langsam seine Augen und schlief ein.
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»Wach auf! Wir sind gleich da!«, sagte eine tiefe männliche Stimme. Charly merkte, wie ihm in die Seite gestoßen wurde. Er öffnete seine Augen. Er saß auf dem Beifahrersitz eines Polizeiwagens und erblickte in der Ferne ein großes weißes Schloss, welches von außen die Kontur eines gigantischen Sarges hatte. Verschwommen sah Charly verschiedene Erhebungen auf den jeweiligen rechteckigen Türmen des Schlosses, die er nicht zuordnen konnte. Er schaute mehrmals blinzelnd neben sich und sah eine kleine Gestalt in schwarzer Uniform, die einen schwarzen Helm trug.
»Geht es dir gut? Du sag mal, hast du beobachtet wie Captain Epi es vollbracht hat, sich selber zu verarzten? Ich meine damit, dass so etwas doch sehr kompliziert sein muss, oder?«
Die Stimme der Person war sehr tief und basslastig. Charly schüttelte den Kopf.
»Ich bin jetzt erst aufgewacht. Und wer ist Epi?«, fragte Charly unschuldig, aber sichtlich nervös.
»Epi ist der Typ, der es wohl geschafft, sich eine tiefe Wunde am Bauch selber zu nähen. Das ist noch niemanden hier gelungen, weil kaum ein Mensch mehr außer den Ärzten über große medizinische Kenntnisse verfügt. Es grenzt schon ein Wunder, wie er das alleine geschafft hat. Das hat er uns zumindest zu Protokoll gegeben, als wir euch vorhin abgeholt haben. Und was ist eigentlich mit Truppenführer Ryan und seinem Onkel passiert? Wir haben zwei gute Polizisten verloren und jeder hier würde gern wissen, was da draußen geschehen ist.«
Die Gestalt mit dem Helm schaute Charly an, während dieser versuchte, den Blick nicht zu erwidern und zu schweigen anfing. Charly fühlte sich beobachtet, auch wenn er nicht wissen konnte, ob die Gestalt unter der Verkleidung ihn wirklich anstarrte. Er drehte sich nach hinten, doch er erblickte keine weitere Person auf der Ladefläche des Wagens. Die beiden waren allein.
»So etwas können meistens nur noch Ärzte. Na gut, zugegeben, auch diese machen das heute so gut wie gar nicht mehr«, sagte die Gestalt. Charly vernahm ein leicht aufgesetztes Lachen, welches unter dem Helm zu hören war.
»Also, du weißt wohl nichts darüber. Hm. Egal. Wenn einer so etwas schafft, dann Epi. Vermutlich war es ja wirklich selber. Er ist ein wahrer Überlebenskünstler«
Der Wagen näherte sich immer näher dem Schloss. Nun war Charly in der Lage die Silhouetten auf den Türmen des Schlosses zu erkennen. Es waren große Holzkreuze, die mit weißer Farbe lackiert und in mindestens sechs Metern Höhe über den Türmen angebracht waren. Je länger er auf die Kreuze blickte, erkannte Charly, dass sich etwas an ihnen befand. Die Gestalt neben ihn drehte ihren Kopf erneut in Charlys Richtung.
»Wenn du belegen könntest, dass Epi die Unwahrheit sagt, dann würde er auch dort landen.«
Erst jetzt verstand Charly, dass Menschen an diese Kreuze genagelt worden waren. Er schwieg, fokussierte seinen Blick auf die Kreuze und versuchte der Gestalt nicht ins Gesicht zu schauen, das sich hinter dem Helm mit dem großen verspiegelten Visier verbergen musste.
»Epi behauptet, dass er Truppenführer Ryan erschießen musste, da dieser versucht hatte, seinem Onkel zu helfen«
Charly schwieg weiterhin und kratzte sich am Hinterkopf. Er schaute auf seine Finger, die allesamt nicht mehr mit Blut verschmiert waren.
Der Polizeiwagen näherte sich immer weiter dem weißen Schloss. Eine riesige geteerte Zugbrücke wurde heruntergelassen. Charly schaute in den Rückspiegel des Polizeiwagens und sah eine große Kolonne von Polizeiwagen mit gelben Sirenen, die ihrem Wagen hinterherfuhren. Der Reihe nach überquerten alle Wagen die Brücke, die über einen sehr tiefen und fünf Meter weiten Graben führte, dessen Boden dank eines großen Nebelschleiers nicht zu erkennen war.
Der Wagen fuhr anschließend durch eine Hauptstraße bis zur höchsten Ebene des Schlosses, welches viele gläserne Wohnungen und Gebäude enthielt. Durch das Fenster sah Charly viele Zivilisten, die durch die Straßen und Gassen flanierten.
Als der Wagen anhielt, stieg die Gestalt mit dem Helm aus dem Wagen. Erst jetzt nahm Charly war, dass die Person, verglichen mit den anderen Polizisten, die er zuvor gesehen hatte, sehr klein war. Sie humpelte zudem leicht und zog ständig ihr rechtes Bein nach, welches ein wenig über den Boden zu schleifen schien.
Charly schaute sich um und atmete durch die inzwischen ganz heruntergekurbelte Fensterscheibe tief ein. Er spürte, dass er diesen Ort zuvor schon einmal gesehen hatte und versuchte eilig aus dem Wagen auszusteigen. Doch es ging nicht. Die Beifahrertür war verriegelt. Charly blickte aus dem Fenster. Plötzlich stand Epi in krummer Haltung vor ihm und grinste Charly zynisch an. Danach verzog er vor Schmerzen leicht das Gesicht, legte seinen Zeigefinger senkrecht auf seine Lippen und zwinkerte Charly zu. Er öffnete die Tür des Polizeiwagens mit einem Schlüssel. Überall um den Wagen herum standen weitere Polizisten.
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