1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Es war ein großes Haus und seit über zwanzig Jahren mein Zuhause. Als wir noch als Familie hier wohnten, hatte ich in den Nächten, in denen ich allein zu Hause war, öfter Angst vor Einbrechern. Dieses Gefühl war verschwunden, es hatte sich in Luft aufgelöst. Woher das wohl kam? Ich wusste es nicht, aber es fiel mir auf.
Eine Freundin kam mit Räucherwerk und wir reinigten alle Räume damit. Rissen mitten in der Nacht alle Fenster auf, um die alten Gespenster auszutreiben. Ich lernte mein Zuhause neu kennen und lieben und füllte nach und nach alle Zimmer mit meiner Energie. Es war wie ein Erobern und neu in Besitz nehmen. Es machte mir Spaß, abwechselnd in allen Räumen zu schlafen, nur mein früheres Schlafzimmer sparte ich noch aus. Es war eine gute Zeit. Ich konnte mich an jeder winzigen Kleinigkeit des Alltags erfreuen. Ich genoss meine neue Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich wollte. Ob ich von der Arbeit nach Hause fuhr oder noch einen Spaziergang machte, ins Yogastudio ging oder noch im Café saß, ich musste niemandem Rechenschaft ablegen. Es fühlte sich unglaublich leicht an. Es passierte mir anfangs sogar, dass ich, wenn ich spontan meine Pläne änderte, kurz den Impuls hatte, zu Hause nachzufragen, ob das in Ordnung wäre. Zwischendurch hatte ich Momente der Sorge, wie ich dieses große Haus weiterhin finanzieren sollte und wie ich mir generell meine Zukunft vorstellen sollte. Doch das hielt nicht lange an, ich war so erfüllt von meinem neuen Leben, dass ich Zweifeln und Ängsten nicht viel Platz einräumte.
Ich machte jede Menge Sport und liebte meine Yoga-Stunden und die Geschmeidigkeit meines Körpers, die ich in der Bewegung so intensiv wahrnehmen konnte. Meditierte, machte lange Bergwanderungen und war viel in der Natur unterwegs. Ich blühte im wahrsten Sinne des Wortes auf und erhielt viele Komplimente für mein strahlendes Aussehen. Die positiven Rückmeldungen in meinem Umfeld bestärkten mich in meinem Drang, Neues auszuprobieren. Die Frau von der Eheberatung war eine Malerin und sie hatte mich mit ihrem Slogan „Farbe ins Leben bringen“ inspiriert. Ich meldete mich zu einem Kurs für abstrakte Malerei an. Eine vollkommen neue Erfahrung für mich. Ich mochte Kunst und es gefiel mir, Bilder zu interpretieren, aber niemals hatte ich daran gedacht, selbst welche zu malen. Vollkommen neue Welten eröffneten sich mir. Rückwirkend erscheint es mir vollkommen verrückt, wie sehr ich mich selbst beschränkt hatte. Eines meiner ersten Bilder hatte einen gelb-orangenen Hintergrund und in der Mitte des Bildes einen großen schwarzen Fleck, den man als Insel oder als großes Loch interpretieren könnte. Ich war nicht sehr überzeugt vom Ergebnis meines künstlerischen Ausdrucks, eher etwas belustigt. Doch der Meister meines Kurses meinte, dass es eine sehr interessante Arbeit sei und für eine Anfängerin eine sehr mutige Aussage habe. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft - für die Malerei nicht für den Meister!
Dies hört sich jetzt vielleicht so an, als wäre ich die glücklichste Frau auf Erden gewesen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es gab auch einsame Abende, an denen die Zweifel an mir nagten, ob das jetzt das Leben ist, das ich mir erträumt hatte. Neben diesen vielen neuen Erfahrungen und meinen zahlreichen Aktivitäten, war ich am Ende des Tages alleine. Das, was ich anfangs so genossen hatte, war irgendwann nicht mehr ganz so großartig. Ich schlief schlecht und wenn ich nachts wach lag, sehnte ich mich nach einem warmen Körper, der bei mir lag. Meine Gedanken wanderten dabei wieder des Öfteren nach Italien. Luca. Es ließ mich nicht los und ich hatte auch wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Wir schrieben uns manchmal und still und heimlich hatte ich angefangen, mir Hoffnungen zu machen, ihn auch außerhalb der Arbeit wieder zu sehen. Ich hatte mit der Trennung von meinem Mann zwei Schritte vorwärts gemacht und war jetzt dabei, wieder in das gleiche alte Muster zu verfallen. Insgeheim träumte ich von einem tollen Mann an meiner Seite, der mir mein Leben versüßen sollte. Meine Gedanken kreisten um die Frage, was ich tun musste, um genau den in mein Leben zu locken. Meine Tochter hatte leider Recht, als sie sagte, Frauen in der Midlifecrisis haben größere Aussetzer als 15-jährige Teenager. Bei denen erwartete man zumindest nicht, dass sie auch ihr Hirn zum Denken verwenden. Wenn ich zurückdenke, kann ich nur den Kopf schütteln über meine Naivität.
Was für ein Jammer. Es ist wohl wirklich so, dass der Mensch nur in der Krise zu lernen vermag.
Sie glaubt nicht an sich selbst und deshalb sucht sie einen Mann, den sie vergöttern kann. Einen, in dessen Schatten sie meint, erstrahlen zu können. Vielleicht auch einen, in dessen Schatten sie nicht strahlen muss. Und das wiederum hält sie nicht aus. Wie oft sie dieses Spiel noch wiederholen muss, bis sie endlich begreift, um was es geht, wird sich noch zeigen.
Ich könnte mir die Haare raufen, möchte sie schütteln und schubsen! Sie hört doch die Komplimente, die man ihr macht, sie sieht doch selbst ihre leuchtenden Augen im Spiegel. Doch wieder sind große unbewusste Kräfte am Werk. Verhaltensmuster, die tief verankert sind und bewirken, dass sie nicht zulässt, dass ihr eigenes Licht leuchtet. Sie betrachtet ihren Körper und denkt, eigentlich viel zu schade, um nicht von einem Mann geliebt zu werden, dabei traut sie sich gar nicht, sich ganz hinzugeben. Sie ist sich selbst nicht genug und sieht nur die Fähigkeiten und Talente anderer Menschen. Solange sie nicht merkt, dass sie in anderen Menschen nur erkennen kann, was sie selbst in sich trägt, wird sie immer wieder die gleichen Fehler machen und ihr Leiden wird nicht aufhören. Was ist dieser Frau widerfahren, dass sie gar kein Selbstvertrauen hat. Ich weiß, dass sie von mir nicht sehr viel Unterstützung erfahren hat, aber kann es sein, dass ich total versagt habe?
Er kroch wieder in all meine Gedanken. Bei jeder kleinen Handlung malte ich mir aus, wie ich ihm davon erzählen würde, welche Worte ich verwenden und wie toll er mich finden würde. Es fällt mir schwer, die folgende Episode zu erzählen. Doch diese Abgründe gehören dazu, sie sind Teil dieser Geschichte. Luca hatte ein Fest geplant und mich dazu eingeladen. Es sollte eine Grillparty im Grünen werden und er hatte vor, dort auch zu übernachten. Er meinte, ich sollte nur die Sachen mitbringen, die ich für die Nacht brauchte, für einen Schlafplatz würde er sorgen. Natürlich wollte ich hinfahren. Ich war verrückt genug, für ein Sommerfest mit ihm die weite Strecke nach Italien zu fahren, obwohl dort heftige Gewitter angesagt waren. Ich weiß sehr wohl, dass eine Stimme in mir sagte: „Fahr nicht! Du wirst nicht finden, was du dir erhoffst.“ Doch ich wollte nicht hören und fand mich super abenteuerlustig, als ich am späten Nachmittag ins Auto stieg und losfuhr.
Ich wurde freudig begrüßt, doch Luca schien irgendwie nervös zu sein. Ich war selber angespannt und versuchte, es mit Lachen zu überspielen. Es waren nur wenige Gäste gekommen, weil die Regenwolken schon am Himmel standen. Nichtsdestotrotz wurde der Grill angeheizt, gelacht und getrunken. Das liebte ich so sehr dort, dieses vollkommen Unkomplizierte. Es regnete, na und, wir lassen uns doch davon nicht abhalten, eine fröhliche Party im Freien zu feiern! So weit so gut. Ich lernte ein paar seiner Freunde kennen und unterhielt mich mit Kollegen. Und dann kam meine Befürchtung auf einem Rad angefahren. Eine italienische Sportskanone mit langen dunklen Haaren, noch dunkleren Augen und einem glockenhellen Lachen. Kein junges, unerfahrenes Mädchen, sondern eine schöne Frau mit Ausstrahlung. Sie passte ins Beuteschema und es war klar, dass sie nicht nur als gute Freundin von Luca da war. In mir zog sich alles zusammen. Eine vollkommen absurde Situation und ich wünschte mir, die Erde würde sich auftun und mich verschlingen. Er stellte uns vor, indem er unsere Vornamen nannte. Nichts weiter, keine Erklärung dazu. Ich war steif wie ein Stock und fühlte mich wie eine Verliererin, ohne dass ich in den Ring gestiegen war. Der einzige Kampf, der hier stattfand, war in mir und es ging darum, meine Haltung zu bewahren. Oh mein Gott, wie schämte ich mich vor mir selbst. Wie abgrundtief blöd konnte man eigentlich sein? Nicht blöd, sondern klein und ohne jeden Funken von Stolz, dies traf es wohl eher.
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