Ängstlich schauten sie sich um, keine Stelle im Haus, das wie alle anderen Häuser hier aus Holz gezimmert worden war, ließen sie außer Acht, selbst den Spitzboden nicht, auf dem nur einige Heuballen gestapelt lagen. Doch dann meinten sie, wenn sie während ihrer Schlafenszeit unbehelligt geblieben waren, dann seien sie in diesen Stunden hier tatsächlich die einzigen Menschen. Federvieh, Schweine und andere Tiere waren verschwunden. Dass jedes Anwesen über Haustiere verfügt hatte, bewiesen angebaute Stallungen und Federviehgehege auf den Nachbargrundstücken, die die beiden Flüchtlinge jetzt am hellen Tage gut erkennen konnten. Vielleicht war diese Gegend hier zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, was eine Evakuierung der Bewohner zur Folge hatte, und alles Vieh ist den Feldküchen überlassen worden. Warum jedoch und für wie lange die Bewohner ihre armseligen Häuser verlassen mussten, darüber diskutierten Hasso und Georg nicht, für sie war am vordringlichsten, unentdeckt zu bleiben. Sie beabsichtigten auch nicht, sich eine längere Zeit hier aufzuhalten, wollten nur die hier vorgefundenen Gegebenheiten nutzen, um sich für den Weitermarsch möglichst gut vorbereiten zu können. Dass sie hier einmal gefahrlos ausschlafen konnten, dafür bedankte sich Georg bei Allah. Die Fluchtverhältnisse ermöglichten ihm nicht oft das demütige Niederlegen zum Gebet.
Normale Wohnungsumzüge der Bewohner hatten hier nicht stattgefunden, was die beiden Flüchtlinge schon daran erkannten, dass im Haus und in Ställen anscheinend nichts verändert worden war. Hier hatten Menschen und Tiere, so vermuteten sie, Zwangsmaßnahmen weichen müssen.
In der verrußten Küche, mit gemauerter Feuerstelle, erinnernd an mittelalterliche Darstellungen, fanden sich verschieden große Kessel und Töpfe. Neben der Feuerstelle lagen aufgestapelte Holzscheite sowie zerkleinertes Astwerk. Kleinere Gerätschaften und Geschirr waren in groben Wandregalen untergebracht. Vor der hinteren Längsseite des klobigen Tisches, etwa ein Meter vor der Wand mit den zwei kleinen Fenstern, standen eine tischbreite Holzbank und ihr gegenüber zwei Stühle. Neben der Bank führte eine Tür auf den Hof. Hasso und Georg fanden eine große Schachtel mit noch brauchbaren Streichhölzern vor, was ihnen sehr willkommen war. Und um einiges höher bewerteten sie, als sie im Dämmerlicht der Küche in einer Ecke einen kniehohen, nach oben offenen Verschlag entdeckten, in dem auf einer Unterlage von zusammengelegten Brettern Kartoffeln und Steckrüben in geringer Menge lagerten. Zwei nicht mehr ganz ansehnliche, aber noch nicht angefaulte Weißkohlköpfe sowie einige Hände voll Karotten mit bereits verrottetem Kraut vervollständigten dieses kleine Gemüsedepot. Die beiden Ausgehungerten besahen sich die bereits seit Längerem eingebrachte Ernte, von der ihnen ein leicht fauliger Geruch in die Nase stieg, und beschlossen spontan, dieses Geschenk zu nutzen. Also begannen sie, einen Teil der Köstlichkeiten zu putzen, zu waschen, zu zerkleinern und in einen Topf zu stapeln, dem sie das nötige Wasser aus der Pumpe im Hof zufügten. Messer und andere Besteckteile waren genügend vorhanden, sodass die beiden Köche ihre Arbeiten zügig erledigen konnten. Die herdähnliche Einrichtung wies vier Kochstellen auf, mit einer Anzahl von entfernbaren Eisenringen. Auf eine dieser Kochstellen stand nun der gefüllte Topf, dessen Inhalt bald zu kochen begann. Das Holz unter der Kochstelle brannte prasselnd und hinterließ keinerlei Rauch im Küchenraum, was bewies, dass der gemauerte eckige Schornstein, der vom Ofen aus an der Rückwand emporsteigend durch Küchendecke und Dach stieß, noch sehr gut seiner Aufgabe nachkam. Das alles brachte Hasso und Georg auf die Idee, nebenbei auch ihre Unterwäsche und Oberhemden heiß zu waschen.Und indem die Sachen in zwei großen Eisentöpfen kochten, reinigten sich die beiden mit Pumpenwasser. In einem Nebengelass, angrenzend an den Schlafraum, hatten sie in einer Truhe alte, aber saubere Bettlaken gefunden, die sie als Badetücher benutzten. Jeweils ein trockenes Laken über die nackten Schultern gehängt, fühlten sie sich rundum sauber und wohl. So bekleidet aßen sie von dem Eintopf, der ihnen auch fleischlos schmeckte. Salz war nicht zu finden gewesen, Seife oder ähnliche Reinigungsmittel auch nicht. Und als sie dann einige Stunden später ihre über der Herdwärme getrocknete Unterwäsche angenehm auf der Haut spürten und ihre Mägen gut gefüllt waren, als sie beschlossen, sich noch einmal ausschlafen zu wollen und danach ihren Fluchtplan neu zu überdenken und festzulegen, da wurden sie wieder einmal festgenommen.
Einer Streife der Feldgendarmerie, vier deutsche Kettenhunde und zwei rumänische Polizisten in einem offenen Kübelwagen, war schon von großer Weite der hellgraue Rauch aufgefallen, der aus dem Schornstein des Hauses quoll. Hasso und Georg hatten nicht die Gefahr bedacht, sich durch den Rauch verraten zu können. Sie hatten nicht bedacht, dass die Stadt Braila, noch dazu an wahrscheinlich strategisch nicht unbedeutender Stelle an der Donau, von rumänischem und deutschem Militär besetzt war und gesichert wurde. Es war eine derbe Festnahme, wie jedermann sich denken kann. Für die beiden Deserteure war neu, dass sie umgehend ihre Rucksäcke entleeren mussten, wonach für die Feldgendarmen keine Frage offenblieb; und den Versuch, sich als stumm darzustellen, konnten sich Hasso und Georg ersparen. Sie stopften ihre Sachen wieder in ihre Rucksäcke, wurden hinausgedrängt und in den Kübelwagen gestoßen. Die Fahrt endete vor einem Backsteingebäude in einer Kaserne, die umgeben war von einer hohen Mauer, darauf auseinandergezogene Stacheldrahtrollen. Für eine Kasernenanlage, üblicherweise mit mindestens einem Bataillon belegt, war sie mit drei Blöcken, jeweils nur zweigeschossig, ziemlich klein. Hier waren vermutlich höhere rumänische Stäbe zu Hause gewesen, jetzt hatte hier die SS das Kommando. Auf dem Antreteplatz zwischen den Gebäuden standen ausgerichtet zwei Kübelwagen, vier Mannschaftstransportwagen und einige Kräder. Nach zehn Minuten Wartezeit im Eingangsbereich des Gebäudes übernahmen zwei SS-Soldaten die beiden Verhafteten, führten sie über eine breite Treppe hinunter in das Kellergeschoss und weiter einen langen Gang entlang – links und rechts in geringen, gleichen Abständen Eisentüren. Am Ende des Ganges bezogen Hasso und Georg dann ihre Zelle; etwa zweieinhalb Meter maß sie in der Breite, etwa vier Meter in der Länge. Die Schlafstätten waren zwei auf niedrigen Pfosten genagelte Bretterböden von jeweils eineinhalb Quadratmetern Größe, ohne Decken oder Stroh. Die Rückwand des Raumes wies direkt unter der Decke ein breites Fenster auf, das für ein Hindurchklettern in der Höhe zu niedrig, dennoch mit zwei senkrecht angebrachten Eisenstäben gesichert war. Ein Notdurftkübel stand in der Türecke, eine Waschgelegenheit fehlte.
Drei Tage waren vergangen, ohne dass Hasso und Georg verhört worden waren oder sonst etwas zu überstehen hatten, außer den Kellergestank und ein miserables Essen, aber immerhin, da forderte ein SS-Mann sie auf, ihre Rucksäcke aufzunehmen und augenblicklich auf den Flur hinauszutreten. Der Mann trieb sie nach oben, wo vor dem Eingangsbereich ein Lastwagen wartete, auf dessen überplante Ladefläche sie dann klettern mussten. An den Längsseiten waren abklappbare Bänke installiert. Vier rumänische Feldgendarmen, mit Maschinenpistolen bewaffnet, hatten bereits auf einer der Seitenbänke Platz genommen. Die Bank gegenüber besetzten die beiden Gefangenen. – Während der Fahrt durften Hasso und Georg nicht sprechen, die Rumänen hingegen unterhielten sich dafür umso lauter; sie rauchten ununterbrochen, wobei in gewissen Abständen kameradschaftlich eine Schnapsflasche von Hand zu Hand ging. Es war unverkennbar: Für die gut versorgten Bewacher war es eine dienstlich angesetzte Vergnügungsfahrt. Aber auch an ihre Gefangenen war gedacht worden, denen ein mit Trinkwasser gefüllter Kanister zur Verfügung stand.
Читать дальше