Albert genähert hatte, schien die Vogelmutter weggeflogen zu sein und die kleinen Vögelchen streckten in Erwartung ihrer Rückkehr die Hälse hoch.
Sie fingen an zu piepsen: „Piep, piep!“.
„Das sind ja merkwürdige Sachen“, dachte sich Albert „ Dieser besondere Gartenzwerg, ich glaube ich lasse ihn jetzt am besten in Ruhe.“
Also ging Albert wieder ins Bett und schlief zufrieden ein.
„Ach, jetzt habe ich doch vergesssen ihn zu fragen, ob er reden kann.“ fuhr es ihm noch durch den Kopf. Dann war er eingeschlafen.
Am nächsten Tag passierte wieder etwas eingenartiges. Irgendjemand- war es der Papa, war es die Mama, war es der Onkel oder war es ein angestellter Gärtner – hatte sich im Garten zu schaffen gemacht und begonnen das Gras zu rechen. Wie immer im Mai, hatte das leidige Geschäft der Rasenpflege wieder begonnen.
Es hatte sich also jemand im Garten zu schaffen gemacht und der Rechen war am Zwerg hängengeblieben, sodaß ein Zinken abgebrochen und der Gartenzwerg eine Schramme bekommen hatte.
Außerdem stand er nun nicht mehr ganz sicher....
Aber der Merkwürdigkeiten nicht genug:
Am selbigen Nachmittag hatten drei junge Burschen von draußen den Zwerg gesehen, hatten wohl erkannt, daß es sich um einen alten Gartenzwerg handelte
und sich gedacht: „Den klauen wir! Das ist eine Antiquität. Den können wir verhökern. Das bringt bestimmt ein paar Mark.“
Also waren sie am hellen Nachmittag in den Garten geschlichen und hatten den vermeintlichen Gartenzwerg herausgehieft. Einer hatte ihn, wenngleich mit Mühe, auf den Arm genommen, sich hinten aufs Motorrad gesetzt und weg sind sie gewesen.
Ein paar Tage später schlug Albert die Zeitung auf und las davon wie zwei junge Motorradfahrer verhaftet worden sind, die einem Mann einen Gartenzwerg verkaufen wollten, den sie zuvor aus seinem Garten gestohlen hatten.
„Es mußte wohl der Mann gewesen sein, der den Gartenzwerg schon von mir gekauft hatte.“, dachte sich der kleine Albert amüsiert. Ausgerechnet an den wollten die beiden Burschen den Zwerg verkaufen.
Aber in Wirklichkeit war die Geschichte viel komplizierter, als sie sich eine der beteiligten Parteien hätte vorstellen können und es bleibt fraglich, ob das Puzzle jemals von irgendwem detektivisch zusammengesetzt hätte werden können, wenn nicht ...
Also, die beiden Halbstarken hatten den Eisenzwerg aus Alberts Garten geklaut, wo er gar nicht so leicht zu entdecken gewesen war. Sie hatten das massive Teil zu zweit auf einem nicht zugelassenen, nicht verkehrssicheren Moped abtransportieren wollen. Das Moped ging unter der Last des jugendlichen Fahrers, des gleichaltrigen Sozius, der den Zwerg und sich selbst festhalten mußte – nur Halbstarke schaffen das überhaupt – und dem Gewicht des Eisenzwerges selbst ordentlich in die Knie bzw. senkte sich erkennbar tief in die Federung, so daß der Reifen am Schutzblech streifte und sich am staubigen Boden so in die Breite dehnte, als wäre er platt.
Die Flucht gelang dennoch. Zwar zuerst wackelig und kurvenfahrend, doch dann stabil und immer schneller, steuerte das merkwürdige, illegale Gefährt mit der seltsamen, ebenfalls illegalen, Fracht durch den, natürlich für Fahrzeuge gesperrten, Hindenburg-Park in Richtung Birketle-Siedlung. Der in seiner Geschichte immer mal wieder gepflegte und nach Jahrzehnten abwechselnder Intervalle von Wildheit und Verwahrlosung, hatte im Augenblick wohl seine wilde und verwahrloste Phase zugleich. Was vermutlich daran lag, daß das südlich liegende Birketle, seit Ende des ersten Weltkrieges und noch stärker nach dem zweiten Weltkrieg von einer Bevölkerungsgruppe bewohnt wurde, deren
Angehörige nach den jeweiligen Kriegswirren überwiegend aus dem Elsass hierher gezogen waren und sich regelrecht eingenistet und breit gemacht hatten. Sie nannten sich selbst Jenische und gingen keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, zumindest nicht in den Augen der alteingesessenen Kleinstadtbevölkerung.
Fahrende Leute, die zuerst mit Pferdegespannen, heute mit rostigen und verbeulten Kleinlastern die Landstraßen bereisten und überwiegend Schrott und Altmetalle sammelten - am Rande auch Antiquitäten und anderen verwertbaren Krimskrams suchten. Vielleicht da die Väter oft auf Walz waren, hatten die Mütter die große Kinderschar nicht vollständig im Griff. Teilweise unbekleidet, ohne Schuhe und verrotzelt die ganz Kleinen, rauchend und Bier trinkend, sofern sie dessen habhaft werden konnten, die etwas größeren, mopedfahrend und die Gegend unsicher machend die Großen, führten sie ein freies wildes, nahezu unkontrolliertes Leben. Kleinere Vergehen und Prügeleien waren an der Tagesordnung. Die motorisierten Interessen waren schon in frühester Jugend stark entwickelt. Wenn in einer heimgebrachten Ladung Schrott ein alter Taktor oder ein verbeultes Mottorrad war, so gelang es gar nicht selten, dieses mit allerlei Tricks und handwerklichem Geschick wieder zum Laufen zu bringen. Und wenn der Motor lief und das Vehikel sich bewegte, war die Freude groß und es wurde gefahren und gefahren, durch Park, Feld und Wald. Ob der Auspuff genügend dämpfte oder die Bremsen gingen, war zweitrangig. Ob groß oder klein, man fuhr bis man der Sache überdrüssig, der Tank leer oder ein weiterer technischer Defekt aufgetreten war und man das nun nicht mehr fahrende Untensil einfach in die Hecke warf. So ähnlich war das mit unseren Zwergendieben, wobei Jungs, die sich schon fast oder ganz im Halbstarkenalter befanden, natürlich gegenüber der großen Kinderschar durchsetzen konnten und den ersten Zugriff auf solche Gefährte hatten. Das heißt die weniger kräftigen oder durchsetzungsstarken waren noch mit Basteln beschäftig oder damit, sich originelle Fahrzeuge oder Teile dafür aus den Schrottbergen, die sich rund um die bescheidenen Häuschen oder Hütten oder Wohnwagen oder zu Behausungen umgebauten Kofferaufbauten von Lastwagen reihten.
Das Birketle war kein scharf umgrenztes Gebiet. Lumpen, Fahrzeugteile, alte Reifen verunzierten den nördlich anschließenden Park ebenso wie die umliegenden
Wiesen und den südlich angrenzenden Judenfriedhof – anfänglich. Denn bald mußten die Behörden ebenso einschreiten, wie beim Abfackeln der Isolierungen von Unmengen Kupferkabeln in der südlich gelegenen Kiesgrube oder dem Fahren auf den umliegenden Feldwegen mit wieder in Gang gesetzen ausrangierten Formel-II-Rennwagen oder Panzern ohne Rohr oder ganz gewöhnlichen Autos und Motorrädern aus dem gesammelten Schrott. Obwohl damals noch kaum jemand von Umweltschutz redete, war doch auch die Staubfahne eines kettengetriebenen Panzers, das auspufflose Röhren eines Rennwagens oder der schwarze, giftige Qualm von brennenden Kabelresten, der bis in die Kleinstadt vordrang, schon auffällig, lästig oder gar gefährlich. Das Polizeiauto konnte also des öfteren dort draußen am Birketle beobachtet werden. So auch diesmal, als die Polizei der Anzeige eines gestohlenen Eisenzwerges nachgehen mußte, aufgegeben vor zwei Tagen, von einem Handelsvertreter, der zugleich leidenschaftlicher Zwergensammler war, und den Verlust bemerkt hatte, als er von einer mehrtägigen Reise zurückgekommen war. Die beiden jenischen Halbstarken staunten daher nicht schlecht, als sie gerade auf ihrem Schleichweg durch den Hindenburg-Park angeknattert kamen, durch das Holdergebüsch brachen und den Polizeiwagen erblickten. Konnte das sein? Ihre Dieberei war doch erst wenige Minuten her. Der Diebstahl, das nicht zugelassene und nicht versicherte Moped, ganz zu schweigen von den fehlenden Führerscheinen der minderjährigen Fahrer, lasteten folglich so unmittelbar und so schreckhaft auf dem Gewissen der Jungen, daß sie sich zu sofortiger weiterer Flucht entschlossen, in der Aufregung jedoch den Motor aufheulen ließen, worauf sie sich der Aufmerksamkeit der beiden Polizisten, die sofort ins Auto sprangen gewiss sein konnten. Die Verfolgung zog sich hin. Die Burschen waren geschickt und wagemutig und kannten das Gelände. Fast wäre es ein Spaß gewesen. Doch sie unterschätzten das strategische Können der ebenfalls ortskundigen Polizisten, die allen Abkürzungen zum Trotz, wie beim Wettlauf von Hase und Igel, immer die Rolle des Igels spielen konnten. Am Ende blieb nur noch der letzte Ausweg über unzureichend bekanntes Terrain.
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