„Ich wohne mit meinem Mann Freddy und meinen 2 Kindern Monika und Jörg in einem Haus am Ende des Dorfes. Dort habe ich dich neulich auch gesehen.“
Susanne sah sie erstaunt an. Sie zitterte immer noch und wünschte sich, dass man es ihr nicht anmerken würde.
Aber Else merkte es, sah sie lieb an und meinte:
„Susanne, was hast du denn?“
Susanne sah die fremde Frau sprachlos an. Diese aber nahm das Mädchen an die Hand und ging mit ihr in den Laden.
Die Verkäuferin sah das Mädchen und die Frau fragend an. Susannes Stimme war sehr leise und zitterig.
„Ich soll eine Flasche Schnaps für meinen Vater kaufen.“
Weiter kam Susanne nicht, denn die fremde Frau legte Geld auf die Ladentheke und sagte zu der fassungslosen Susanne:
„Ist schon okay, mein Mädchen.“
Susanne bedankte sich schüchtern, nahm die Flasche und rannte los, bis sie abgehetzt vor der Haustür ankam.
Sie ging zu ihrem Vater, der in der Küche saß und stellte schweigend die Flasche Schnaps vor ihm auf den Tisch.
Er sah auf, erblickte die Flasche und schrie:
„Na geht doch, du faules Balg!“ und verzog seinen Mund zu einem breiten Lachen.
Susanne erledigte weiter ihre täglichen Aufgaben im Haushalt, zwar manchmal verspätet, da sie ja auch noch in die Schule und Hausaufgaben machen musste, aber es ging.
Nachdem sie damit fertig war, wollte sie raus. Sie fragte ihre Mutter, die nur murrte:
„Hau endlich ab.“
Susanne atmete auf. Sie dachte, dass das ja nochmal gut gegangen sei! Dieses Mal keine Schläge!
Sie schlenderte wieder zu ihrem geheimen Platz am Rande des Dorfes.
Dort hin, wo alles in Ordnung war.
Dieser Abend verlief so einigermaßen ruhig.
Als sie nach Hause kam, musste sie ihr Brüderchen baden und füttern. Das Baby war ganz ruhig in ihren Armen und sie genoss diese Harmonie. Dabei sang sie leise ein kleines Lied vor sich hin.
Ihre Mutter schaute ihr dabei zu und meinte dann freundlich:
„Das machst du gut mit dem kleinen Peter.“
Susanne fand das Verhalten ihrer Mutter unheimlich. So viel Freundlichkeit war sie einfach nicht gewohnt. Sie fragte sich, warum ihre Mutter auf einmal so ruhig und nett zu ihr war. Irgendetwas stimmt nicht.
Später ging sie in ihr Zimmer. Im Haus war alles sehr ruhig – zu ruhig.
Sie lauschte an der Türe.
Die Eltern saßen zusammen im Wohnzimmer, der Vater mal wieder mit der Schnapsflasche am Hals.
Susanne öffnete leise die Tür. So konnte sie hören und sehen, was Hanna leise zu ihrem Mann flüsterte.
„Meine Schwester hat mir geschrieben. Sie wollen uns morgen besuchen.“
Heinz schrie sofort los, was das Pack denn hier wolle.
Doch Hanna erwiderte nichts. Susanne schloss leise wieder ihre Tür und legte sich ins Bett. Das war es also, warum die Eltern sie in Ruhe ließen, überlegte sie. Und dass ihre Mutter eine Schwester hatte, wusste sie ja gar nicht. Ihre Mutter hatte nie darüber gesprochen. Mit diesen Gedanken im Kopf schlief Susanne erschöpft ein.
Am nächsten Morgen stand sie wie immer in aller Frühe auf, um schnell vor der Schule das Frühstück zu machen.
Ihre Mutter war sehr nervös und gereizt.
„Beeil Dich, Du Faulpelz“ schrie sie plötzlich Susanne an.
„Ich mach ja schon“ , murmelte Susanne leise.
Aber da schlug ihr die Mutter schon mitten ins Gesicht.
„Benimm Dich, Du Göre! Keine Widerworte in meinem Haus!“ schrie jetzt auch noch der Vater und trat Susanne in ihr Hinterteil.
Sie zuckte zusammen. Das war zu viel!
Schnell packte sie mit zitternden Händen ihre Schulsachen und rannte die Treppe herunter aus dem Haus, so schnell sie nur konnte. Ihre Wangen brannten und sie spürte einen stechenden Schmerz im Rücken.
Während der langen Unterrichtsstunden zitterten ihre Hände noch leicht und in ihrem Bauch rumorte es.
Sie war froh, als es endlich zum Schulschluss klingelte, stand auf und verließ, ohne jemanden anzusehen, die Schule. Es zog sie zu ihrem geheimen Ort, wo sich auf die Bank setzte und ihren Tränen freien Lauf ließ.
Ihre Freundinnen sahen ihr besorgt nach, ahnten, wohin Susanne ging und folgten ihr.
Als Susanne aus tränennassen Augen aufblickte, standen ihre Freundinnen vor ihr. Sie umarmten sich schweigend.
Es war schon fast 16.00 Uhr.
Susanne schlich mit gesenktem Kopf nach Hause.
Sie befürchtete, dass es jetzt zuhause wieder Ärger gab, weil sie zu spät war.
Zuhause angekommen, öffnete sie leise die Haustür und was sie dann hörte, ließ ihren Atem stocken.
Sie hörte ihre Mutter lachen und mehrere Stimmen.
Was ist denn hier los, dachte sie verwundert und betrat vorsichtig das Wohnzimmer. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Dort saßen fremde Leute und ein paar Kinder.
Neben ihrer Mutter saß die Frau von gestern, die sich ihr als Else vorgestellt hatte und die ihr den Schnaps für ihren Vater gekauft hatte und lachte.
Ihr Vater und ein fremder Mann unterhielten sich ebenfalls.
Else hielt ein Baby im Arm und sagte gerade:
„Jörg ist jetzt 1 Jahr alt und Monika ist 12 Jahre alt. Genauso alt wie deine Tochter Susanne.“
Das Mädchen Monika hatte kurze blonde Locken und saß ganz still neben ihrer Mutter.
Susanne raffte sich zusammen und sagte mutig „Hallo!“.
Alle verstummten und sahen Susanne an. Auch Susanne hatte blonde Locken, jedoch waren sie viel länger als die des anderen Mädchens.
Der Vater rief:
„Hallo Susanne. Schau mal, wir haben Besuch.“
Die Mutter meinte liebevoll säuselnd:
„Susanne, mein Engel. Das ist meine Schwester Else, ihr Mann Freddy und ihre Kinder Monika und Jörg.“
Susanne blieb der Mund offen stehen.
Mensch, waren ihre Eltern freundlich zu ihr, dachte sie.
Else, die Schwester ihrer Mutter, begrüßte Susanne, aber sie tat dabei so, als sähe sie Susanne zum ersten Mal.
„Schätzchen“, sagte ihre Mutter mit sanfter Stimme, „Deine Hausaufgaben kannst du später machen. Jetzt setz dich mal zu uns und iß mal von dem Kuchen.“
Diese Tonart kannte Susanne nicht. Monika setzte sich zu Susanne. Ihre kurzen Locken flogen bei jeder Bewegung hin und her und sie hatte ein liebes Gesicht.
Beide Mädchen unterhielten sich und verstanden sich prächtig und Susanne wünschte sich, dass dieser Tag nie zu Ende gehen sollte.
Monika und Susanne bekamen beide ihre Brüderchen in die Kinderwagen gelegt und schoben sie in Ruhe spazieren.
Monika erzählte Susanne, dass sie vor zwei Monaten hierher gezogen wären. Weg von der lauten Stadt in dieses Dorf und fragte, was im Dorf so los sei. Susanne plapperte und beide Mädchen gingen lachend nach Hause. Abends verabschiedeten sich alle voneinander und Tante Else und Onkel Freddy sahen Susanne an und meinten:
„Wir wohnen in dem roten Haus am Ende des Dorfes. Du kannst jederzeit kommen, so oft du möchtest.“
Susanne strahlte beide an: „Das mache ich, Tante Else. Ganz bestimmt sogar.“ Susanne war glücklich. Endlich hatte sie jemanden, der ihr vielleicht helfen konnte und sie war nicht mehr so alleine. Und Monika fand sie auch sehr nett!
Susanne räumte den Tisch ab und spülte das Geschirr. Da hörte sie, wie ihr Vater zu ihrer Mutter sagte:
„Jetzt haben wir die auch noch am Hals und das ausgerechnet in unserem Dorf.“ Susannes Mutter erwiderte: „Sie kommen bestimmt nicht so oft.“
Mehr hörte Susanne nicht, denn der Vater verließ den Raum und ihre Mutter brachte den kleinen Peter ins Bett.
Susanne erledigte alles und ging dann ebenfalls ins Bett. Sie wollte die Ruhe so richtig genießen.
Die Monate zogen so dahin, in denen Susanne getreten, geschlagen und angebrüllt wurde, ihre Mutter mal freundlich und mal aggressiv zu ihr war. Sie war sehr beschäftigt, hatte immer noch den Haushalt und zwischendurch auch das Baby zu versorgen, ging für die alten Leute wie gehabt einkaufen und wann immer sie Zeit hatte, traf sie sich mit ihren Freundinnen, besuchte Tante Else und Monika oder zog sich alleine an ihren Lieblingsplatz zurück.
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