Spät abends im Bett fragte Kat mich: „Findest du das nicht auch furchtbar, dass man alles, was einem lieb und teuer ist, wieder loslassen muss? Dass man nichts behalten kann - es rinnt einem alles durch die Finger davon.“
„Ach, Kat...“
Ich wollte ihr versichern, dass sie sich, egal, was käme, auf mich verlassen könne, aber ich brachte es nicht heraus. Wieder stand mir ihr Blick vor Augen, mir dem sie mich am Vormittag auf dem Weg zwischen Lüdersdorf und Dwarfencast angesehen hatte. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und strich ihr vorsichtig über den Rücken.
Sie seufzte. „Und jetzt müssen wir schon wieder hinaus - keine Kaminabende mehr, kein warmes Bett, nur Kälte, Wind und schlechter Fraß. Und wenn wir Pech haben, Stürme und Schnee für wer weiß wie lange. Und wer weiß, ob wir diesen elenden Gral überhaupt finden.“
„Zusammen kommen wir durch, Kat,“ sagte ich leise.
Im Schein der herunterbrennenden Kerze lächelte sie mich bitter an. „Wenn ich ehrlich bin, mag ich gar keinen Tag länger hier bleiben. Dieses Gemäuer erdrückt mich. Ich will nur weg - egal wohin, irgendwohin, wo es besser ist!“
„Ich komme mit, Kat. Wo auch immer du hingehst - das weißt du!“
„Ach Leif,“ sie verbarg ihr Gesicht an meiner Brust. „Es ist ja in Ordnung. Ich bin nur so furchtbar, so entsetzlich eifersüchtig. Ich kann nichts dafür!“
Ich legte meinen Arm um sie. „Kat, was auch immer geschieht - du bist meine Liebste. Und wirst es immer sein.“
„Ich liebe dich auch, Leif,“ antwortete sie leise.
***
Vor Sonnenaufgang versammelten wir uns in der Schmiede, wo Sven die fertig geschmiedete Waffe an Zosimo Trismegisto übergeben wollte. Fackeln an den Wänden tauchten das Gewölbe in unruhiges Licht. Sven hatte dunkle Ringe unter den Augen, doch seine Körperhaltung drückte Stolz und Zufriedenheit aus. Auf einem Steinsims an der Rückwand lag ein großer, in Lederhäute eingeschlagener Zweihänder. Sven stand davor und wartete auf das Erscheinen des Burgherrn. Wir hörten die Stiefel des Zwergs, noch während er auf der Treppe war. Mit schweren Schritten kam er den Gang herunter. Ohne jede Begrüßung stürmte er auf Sven zu.
„Na, wo hast du dein Werkstück?“ Seine kleinen Augen funkelten unter den buschigen Augenbrauen hervor.
Sven drehte sich zum Mauersims um und schlug wortlos das Ledertuch zurück. Ein kaltes Leuchten brach hervor. Die breite Schwertklinge glänzte silbrig. Zosimo blieb wie angewurzelt stehen. Gebannt starrte er auf das strahlende Schwert.
Kat näherte ihr Gesicht meinem Ohr. „Svens Herodin sieht edler aus,“ wisperte sie.
Sven nickte dem atemlos dastehenden Zwergenkrieger zu.
„Ehok Barrakul,“ sagte er heiser.
„Barrakul ak hogbar,“ antwortete der Zwerg.
Er griff nach dem Schwert und nahm es mit beiden Händen auf.
In demselben rauen Akzent rief er: „Turhok Barrakul torres!“
Ein greller Blitz lief die Schwertklinge entlang. Blauglänzende Runen erschienen auf der Klinge, glühten auf und erloschen wieder. Zosimo hob das glänzende Schwert feierlich über seinen Kopf. Er sagte etwas zu Sven in dem fremden Dialekt und Sven antwortete ihm in der gleichen Sprache. Lyana, Kat und ich beobachteten die Szene mit stummem Staunen. Sven neigte den Kopf und legte die rechte Hand an seine Brust. Der stämmige Krieger sagte etwas zu ihm und Sven kniete nieder. Zosimo berührte mit der flachen Klinge Svens rechte Schulter und sprach laut ein paar Worte. Sven antwortete mit gesenktem Kopf. Als der Burgherr das Schwert hob, stand Sven auf. Die beiden ungleichen Männer wechselten ein paar Worte in der fremden, harten Sprache, dann wandte Zosimo sich um, warf Sven im Gehen einen Satz zu und verließ das Schmiedegewölbe. Sven sah ihm blinzelnd und ungläubig nach.
„Dürfen wir mal wissen, was hier geschieht?“ fragte Kat.
Sven starrte immer noch dem Zwerg hinterher, dessen schwere Stiefel auf der Treppe zu hören waren. Er schüttelte den Kopf, als versuche er, aus einem Traum aufzuwachen.
„Er hat mich zum Ritter geschlagen,“ murmelte er.
Kat stieß einen Ruf des Erstaunens aus. „Er hat was ?“
Sven atmete heftig aus wie nach einer bestandenen Prüfung. Seine Körperhaltung löste sich und er sah uns mit strahlenden Augen an.
„Er sagte, mit dieser Waffe hätte ich mich um Karrakadar verdient gemacht. Sie sei wertvoller als ein Kettenhemd. Er hat mich zu einem Ritter Karrakadars geschlagen, das stehe ihm als Abkömmling eines alten Adelsgeschlechts zu. Die Ritterwürde ist der unterste Adelsstand in Karrakadar, meinte er. Und ich soll ab sofort über meinem Kettenhemd die Farben Dwarfencasts tragen.“
Kat sah ihn mit offenem Mund an.
„Du bist geadelt, Sven...“ stieß sie hervor.
Sie schenkte ihm einen bewundernden Blick, aber gleich darauf zuckte ein spöttisches Grinsen um ihren Mund. „...wenn auch bloß bei den Zwergen!“
„In was für einer Sprache hast du mit ihm gesprochen?“ wollte Lyana wissen.
Sven grinste. „Karrakadarisch. Ich hab 'ne Weile gebraucht, bis ich kapiert hab, dass die Sprache, in der die Zaubersprüche der Waffenmagier gehalten sind, die Zwergensprache ist. Wieland hat es mir nie erzählt.“
Kat ging auf ihn zu und strich ihm mit den Händen über die Brust. „Herzlichen Glückwunsch, mein Ritter!“
Sie küsste ihn. Sven zog sie an sich und die beiden küssten sich leidenschaftlich. Lyana und ich sahen uns an.
Ich fragte mich, ob wir sie allein lassen sollten, aber Sven und Kat ließen von einander ab und Sven sagte: „Zosimo hat uns in die Ahnenhalle befohlen, die große Säulenhalle im Weinkeller. Er will noch ein Wort mit uns sprechen, bevor wir aufbrechen.“
***
Auf der Treppe ins untere Kellergeschoss murmelte Sven mir leise zu: „Entschuldige, dass ich deine Frau geküsst habe.“
Ich flüsterte wütend zurück: „Sven, jetzt hör aber auf mit dem Schwachsinn!“
„Nein, ich mein' das ernst, Freund.“
„Du bist ja so blöd, du weißt gar nicht wie sehr!“
Sven sah mich an, als wollte er mir eine gepfefferte Antwort geben, aber er presste nur die Kiefer zusammen und schwieg.
Wir traten aus dem Treppenhaus in die Säulenhalle. Zosimo war nicht da. Langsam schritten wir durch die Halle nach vorn, wo die Vitrine mit der Chronik der Trismegisto stand.
„Inzwischen werden unsere Namen in dieser Chronik für kommende Generationen festgehalten sein,“ meinte Kat.
Sven öffnete die Tür zur Weinstube. „Wie wär's mit einem Weinbrand zum Aufwärmen vor der Fahrt?“
Wir schauten uns gegenseitig an. Warum eigentlich nicht?
„Wir können ja auf deine frisch errungene Ritterwürde anstoßen,“ entschied Kat.
Wir hatten unsere Becher gerade an einem Weinbrandfass gefüllt, als wir Schritte in der Halle hörten. Mit den Bechern in der Hand traten wir in die Halle. Zosimo kam uns entgegen. Hinter ihm folgten Smut und Totter. Smut trug das Kettenhemd und das wattierte Wams über dem Arm, die Sven bereits jeden Tag beim Training getragen hatte. Totter hatte Mühe, mit dem Zwerg und dem Koch Schritt zu halten. Er hielt ein zusammengefaltetes Tuch oder Kleid aus hellgrünem Stoff in der Hand. In der anderen hielt er eine Papierrolle.
Zosimo verzog sein narbenversehrtes Gesicht zu einer Grimasse, die man mit etwas Fantasie für ein Lächeln halten konnte.
„Wir werden gleich miteinander auf gutes Gelingen für eure Fahrt trinken. Aber zuerst will ich dem jungen Helden hier sein Kettenhemd übergeben. Tritt vor, Sven Bredursohn, Ritter von Dwarfencast.“
Smut streifte Sven Wams und Kettenhemd über. Zosimo nahm Totter den hellgrünen Stoff ab und faltete ihn auseinander. Es war ein Überwurf. Vorne auf der Brust war das Wappen von Dwarfencast aufgenäht, die von Weinreben umgebene Flamme. Der etwas verblichene Stoff roch nach Mottenkugeln. Offenbar war das Kleidungsstück lange nicht mehr getragen worden. Zosimo selbst zog Sven den Überwurf über das Kettenhemd. Zufrieden sah er an ihm herunter.
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