Lyana fuhr mit der flachen Klinge des Waidmessers über das Bauchfell des Tierkadavers. „Dieses pechschwarze Fell, die roten Augen, die überlangen Reißzähne - das kommt mir ganz unnatürlich vor. Die Wölfe, denen ich im Süden begegnet bin, waren grau oder graubraun...“
„Egal,“ meinte Sven grimmig. „Hauptsache, wir sind sie los.“
***
Die Nacht durch hielten wir abwechselnd Wache. Ich behielt mein Schwert in der Hand, als ich mich schlafen legte. Die ganze Nacht über zeigte es ein schwaches blaues Glühen. Ich fand keinen Schlaf, obwohl ich todmüde war vom Marschieren und der durchgestandenen Gefahr. Ich wälzte mich in meiner Wolldecke hin und her und wartete auf die Morgendämmerung. Immer wieder riss ich die Augen auf und starrte auf mein schwach leuchtendes Schwert. Tief in der Nacht ertönte in weiter Ferne ein einsames Heulen. Aber es näherten sich keine Wölfe mehr.
Gegen Morgen musste ich doch eingeschlafen sein, denn als ich die Augen auftat, prasselte ein kleines Feuer vor dem Felsüberhang. Lyana hockte davor und kochte Tee. Neben mir gähnte Sven und reckte sich. Kat lag in ihre Decke gerollt. Die Luft war feucht und es war empfindlich kalt. Unser Atem stieg als weißer Dunst auf. Unterhalb des Lagerplatzes zogen Nebelschwaden vom Meer heran.
Ich kroch zum Feuer und ließ mir von Lyana einen Becher Tee reichen. Mit klammen Fingern schlürfte ich den heißen Kräutertee. Sven setzte sich neben mich und nahm ebenfalls einen Becher. Kat schlief noch.
Wir sprachen wenig. Mit einer Hand tastete ich nach meinem Schwert und nahm es auf. Es glühte blau.
„Wir sollten machen, dass wir aus diesen verdammten Bergen herauskommen.“
Ich stand auf und weckte Kat, die mein „guten Morgen“ mit Flüchen beantwortete. Sie setzte sich mit verbiestertem Gesicht ans Feuer und kaute lustlos ein Stück zähes Brot. Wenige Schritt entfernt lag der Wolfskadaver, den wir am Abend nicht weggeschafft hatten. Keiner von uns hatte Appetit. Wir aßen gerade genug, um uns für den Marsch zu stärken. Dann rafften wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg über die Bergflanken längs der Küste.
Im Lauf des Vormittags lichtete sich der Nebel, doch es blieb kalt. Der stürmische Wind vom Vortag hatte nachgelassen. Aus einer grauen Wolkendecke fiel feiner Regen. Ein Wald aus alten Kiefern breitete sich über Abhänge und zerklüftete Erhebungen, die wir überstiegen, der von tiefen Einschnitten durchbrochenen Küstenlinie folgend. Immer wieder verlegten umgestürzte Kiefernstämme uns den Weg. Dazwischen breitete sich das Geäst junger Eichendickichte aus. In windgeschützten Senken standen dichte Haselsträucher, die uns zu mühsamen Umwegen zwangen.
Nach zwei oder drei Stunden Wandern, immer wieder unterbrochen von der Suche nach Wegen durch das Dickicht, war ich erschöpft wie nach einem vollen Tagesmarsch. Klamme Kälte kroch durch meine feuchten Kleider, meine Hände und Füße fühlten sich taub an. Wir stapften nur noch langsam voran. Missmutig starrte ich durch den nicht enden wollenden Bergwald längs der Küste. Kat blieb stehen.
„Sind wir wenigstens die Wölfe losgeworden?“ fragte sie mich. „Lass mal dein Schwert sehen.“
Ich zog meine Klinge.
„Nein,“ meinte ich grimmig. „Sie kommen näher - oder etwas anderes!“
Die Klinge glühte hell.
Dann hörten wir sie heulen auf dem Berghang über uns, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir erschöpft anhalten würden.
„Weiter!“ stieß Kat hervor. „Vielleicht greifen sie tagsüber nicht an.“
Sven deutete auf den gegenüberliegenden Berghang, der nahezu senkrecht zum Meer hin abbrach. Unten donnerte die Brandung gegen den Fels.
„Dort drüben wird das Unterholz lichter.“
Die Kronen der Kiefern auf dem vor uns liegenden Hang waren braun, viele Bäume waren vom Sturm umgebrochen. Tote Stämme und Äste lagen über den Hang verstreut. Wir beschleunigten unsere Schritte. Als das Geheul erneut ertönte, diesmal hinter uns und nicht weit entfernt, löste Kat ihren Helm vom Rucksackgurt, setzte ihn auf und zurrte ihn am Kinn fest. Ich holte meinen Schild nach vorn. Lyana nahm ihren Bogen und griff in die Gürteltasche nach der Bogensehne.
„Geht schon mal weiter,“ meinte sie. „In einem Augenblick komme ich nach.“
Aber Kat murmelte: „Ich sollte meinen auch aufspannen. Vielleicht treffe ich nächstes Mal besser.“
Mit zitternden Händen spannte sie die Sehne auf. Lyana nahm ihr den Bogen ab, prüfte die Sehne, schüttelte den Kopf und spannte sie erneut auf, während Sven und ich unruhig von einem Fuß auf den anderen traten. Ich spähte nervös umher. Oben auf dem Hang glaubte ich schwarze Schatten zwischen den Bäumen zu sehen, aber vielleicht gaukelte mir meine überreizte Fantasie nur etwas vor.
Als Lyana fertig war, schob ich mein Schwert in die Gürtelschlaufe und wir stiegen zwischen Strauchwerk und umgestürzten, vermodernden Stämmen in die Senke hinab. Mein Puls ging schnell. Kälte und Erschöpfung hatte ich vergessen. Immer wieder sahen wir uns um, aber die Wölfe kamen nicht in Sichtweite. Wir hörten sie heulen und grollen, oben auf dem Hang und hinter uns.
Unten überquerten wir einen steinigen Bach und stiegen auf der anderen Seite durch das Dickicht hangaufwärts. Als wir aus dem Einschnitt herauskamen, lichtete sich das Unterholz. Vor uns lag ein ansteigender Hang mit abgestorbenen und umgestürzten Kiefern. Vertrockneter Farn bedeckte den Boden. Der Hang wurde zur Landseite von einer Felswand begrenzt, die oben auf der Hanghöhe bis hundert Fuß an die Abbruchkante heranrückte.
Während wir hastig den Hang hinaufstiegen, schnaufte Sven: „Seltsam hier - alles abgestorben!“
„Käfer machen so was manchmal,“ meinte Lyana, die mit leichten Schritten neben uns her ging, immer wieder nach den Seiten und zurück spähend.
„Sie fressen sich in Scharen unter der Rinde der Bäume durch und lassen ganze Landstriche absterben - aber wenn es Käfer waren, sollte frisches Unterholz da sein und nachwachsende junge Bäume. Hier ist alles tot.“
Ich blickte mich um. Schon eine Weile lang hatten wir kein Wolfsgeheul mehr vernommen. „Vielleicht sind sie auf der anderen Seite geblieben und wir sind sie los.“
Sven nahm mit geübtem Griff Herodin aus der Halterung.
Er schüttelte den Kopf. „Da drüben kommen sie.“
Von Lyanas Bogen schwirrte ein Pfeil. Zwischen den abgestorbenen Bäumen sprangen schwarze Schatten auf uns zu. Die vordersten waren keine zwanzig Schritt mehr entfernt. Es waren viele. Auf der Landseite wimmelte der Wald von pechschwarzen Bestien. Ihre roten Augen glühten selbst noch bei Tageslicht. Die Zungen hingen aus den aufgerissenen Rachen. Sie sprangen lautlos heran. Einer der vordersten überschlug sich in der Luft und blieb von einem Pfeil durchbohrt liegen. Ein zweiter japste auf und hinkte getroffen zur Seite.
„Da, du Scheißvieh!“ zischte Kat.
Ihr nächster Pfeil verschwand zwischen den Bäumen. Lyana schoss in rascher Folge einzelne Tiere ab, doch über die blutend am Boden Liegenden sprangen andere nach, dunkles Grollen ausstoßend. Ich schleuderte Feuerbälle. Mit lautem Krachen zerplatzten sie zwischen den schwarzen Fellrücken. Wölfe wälzten sich heulend in den Flammen. Und immer noch sprangen weitere durch die Flammen heran. Ihre Augenschlitze glühten.
„Das beeindruckt die nicht!“ keuchte ich. „Was für Höllenteufel sind das?“
Sven sprang mit lautem Schlachtgebrüll vor. Ein gleißender Lichtblitz ging von Herodin aus. Um die Zweihänderklinge tanzten blaue Flammen. Die Wölfe waren da. Ich riss mein Schwert aus dem Gürtel.
Stern meiner Geburt, erbarme dich, hilf uns!
Das Gebrüll einer Kriegerhorde zeigte an, dass Lyana Grugar gezogen hatte. Grollende, geifernde Fangzähne sprangen auf mich zu. Ich duckte mich hinter den Schild und stemmte mich dem Anprall entgegen. Der Stoß ließ mich taumeln. Ein röchelnder, aufgesperrter Rachen. Ich hieb mit dem Schild nach ihm, schlug das Schwert in schwarzes Fell. Klaffende Wunden, dunkelrotes Blut, das Röcheln und Grollen schwarzer Bestien um mich her, der Gestank ihrer Rachen. Ich hieb um mich wie rasend. Das dumpfe Geräusch von Stahl, der in Fleisch dringt, Blut, mein Blut, der Ärmel meines rechten Arms hing in Fetzen, helles Blut troff herab. Ich spürte nichts. Ich sah nur den Rachen, der auf mich zu sprang, stolperte zwischen am Boden liegenden Tierleibern zur Seite.
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