Weiter drauf, da! Da du Teufel! Und da!
Eine Hand legte sich auf meine Schulter.
„Ich glaub', du kannst aufhören, Freund. Wir haben es besiegt.“
Keuchend starrte ich Sven an. Unter einem Riss in seinem Helm sickerte Blut hervor und der Überwurf auf seiner linken Schulter hing in Fetzen. Aber seine Augen strahlten in ruhigem Triumph. Immer noch flimmerte es vor meinen Augen. Ich hatte pochendes Kopfweh und in meinem Fuß brannte stechender Schmerz. Durch den flimmernden Schleier sah ich, dass die Dunkelheit verflogen war. Kat kniete am Boden und presste ihre Hand gegen den rechten Ellenbogen. Lyana hockte neben ihr und hielt ihr den ausgestreckten, blutenden Arm. Mit blassem Gesicht murmelte Kat ihren Heilzauber. Sven deutete mit dem Schwert auf den Boden vor uns.
„Komisches Ding, das da. Hab ich noch nie gesehen, so was.“
Vor uns lag eine graue Haut auf verbranntem Boden. Sie sah aus wie die leere Hülle eines mageren, langgliedrigen Wesens. Die langen, knotigen Finger und Zehen endeten in scharfen Krallen. Mindestens ein Dutzend Pfeile steckten in der ledrigen Haut. Sie war an mehreren Stellen aufgeplatzt.
Es war mir völlig egal, wogegen wir gekämpft hatten. Ich fühlte mich ausgewrungen und leer. Triumph konnte ich keinen empfinden. Ich spürte überhaupt nichts. Selbst die heftigen Schmerzen waren, als gehörten sie einem anderen. Trotz des starken Stechens in meinem Fuß humpelte ich zu Kat herüber.
„Geht's?“ fragte ich sie.
Sie biss sich auf die Lippen vor Schmerz. „Ich denke, es kommt wieder hin. Wenigstens ist der Arm nicht ganz abgerissen.“
„Oh...“
Lyana sah mich besorgt an. „Setz' dich lieber hin, bevor du der Länge nach hinschlägst!“
„Och...“ Ich wollte etwas erwidern, aber sie hatte recht.
Vorsichtig setzte ich mich auf den Boden und streckte das Bein mit dem verletzten Fuß aus.
„Haben wir nichts gegen Schmerzen dabei?“ murmelte ich.
Ich wollte nicht schon wieder ohnmächtig werden.
Es dauerte eine Weile, bis Kat sich so weit erholt hatte, dass sie Svens und meine Wunden mit ihrem Heilzauber behandeln konnte. Schließlich nahmen wir Waffen und Rucksäcke und zogen uns an den Rand der Steilküste zurück, einen Steinwurf abseits der grauen Haut, aus der eine heiße, schäumende Flüssigkeit in den Boden sickerte. Übelkeit erregender Gestank ging von der ledrigen Hülle aus. Über ihr flirrte die Luft.
Wir ließen einen Wasserschlauch kreisen. Sven holte eine lederne Trinkflasche aus seinem Rucksack, entkorkte sie und nahm einen großen Schluck. Dann reichte er sie mir.
„Da, nimm - nach der Viecherei!“
Es war Branntwein. Ich schluckte eine gute Portion herunter und nickte Sven dankbar zu. Der Branntwein durchglühte meinen Körper und schickte eine Welle wohliger Gefühle durch meinen schmerzenden Kopf. Ich nahm noch einen Schluck.
„Hab ich mir vor Aufbruch im Keller abgefüllt,“ grinste Sven grimmig. „Ich dachte, wenn man im Winter reist, kann man so was gebrauchen.“
Ich reichte Kat die Lederflasche. „Auch einen Schluck?“
Sie roch daran und setzte sie an die Lippen. Sie verzog kurz das Gesicht, schluckte, dann sah sie Sven erleichtert an.
„Das ist jetzt genau das Richtige!“ Ein wenig Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück.
Lyana trank ebenfalls, dann goss sie sich Branntwein in die hohle Hand und rieb ihr blutverkrustetes Gesicht ab.
„Wenn ich wüsste, dass wir damit das Schlimmste dieser Fahrt hinter uns haben, wäre ich richtig glücklich,“ meinte sie unheilvoll.
***
Kat, Sven und ich blickten aufs Meer hinaus, um nicht das Schlachtfeld ansehen zu müssen. Lyana ging zwischen den Wolfsleichen umher und sammelte Pfeile ein. Als sie fertig war, schulterten wir unser Gepäck und machten uns den Hang hinauf auf den Weg. Obwohl wir hungrig waren, konnte keiner von uns einen Bissen anrühren. Wir wollten rasten und essen, sobald wir den grausigen Ort hinter uns gelassen hatten.
„Und was war das jetzt?“ wollte Sven wissen, als wir an der grauen Lederhaut vorbeigingen.
Wo die Flüssigkeit aus dem Leichnam die Erde getränkt hatte, schlugen blaue Flammen aus dem Boden. Stechender Gestank hing in der Luft.
„Was weiß ich,“ meinte Kat. „Ein Dämon, ein Teufel aus der Hölle!“
„Nein, wirklich!“ beharrte Sven. „Was war das?“
„Woher sollen wir das wissen?“ gab Kat schroff zur Antwort. „An sich dürfte es so etwas überhaupt nicht geben.“
„Es war ein Dämon,“ sagte ich. „Ein Schattengeschöpf, ein untotes Wesen. Ligeia hat mich vor den Schatten gewarnt, die uns auflauern würden.“
Auf der Kuppe stiegen wir über umgeknickte, kreuz und quer liegende Baumstämme. Wir blieben nah am Rand der Steilküste, weg von der dunklen Höhle. Lyana blieb stehen und sah sich um.
„Hier hat ein Kampf stattgefunden. Vor nicht langer Zeit. Es kann nur ein paar Wochen her sein.“
„Woran siehst du das?“ wollte Kat wissen.
„Da sind Spuren vom Wölfen und von den Klauen dieses Monsters - und Stiefeltritte. Und hier ist Blut in den Boden gesickert. Hier drüben auch.“
Ich konnte nur einen dunklen Fleck im braunen, niedergedrückten Gras erkennen.
„Ich sehe keine Toten,“ meinte Sven.
Ich überlegte. „Vielleicht hat der Dämon sie in seine Höhle geschleppt.“
„Er müsste sie getragen haben,“ meinte Lyana. „Schleifspuren finde ich keine.“
„Oder über die Klippe geworfen,“ murmelte Kat.
Ihr Blick fiel auf etwas im Gras und sie kniete nieder.
„Wie viele haben hier gekämpft?“ wollte Sven wissen.
Lyana blickte sich auf der Kuppe um. „Ein einzelner Mann. Es scheint ein sehr heftiger Kampf gewesen zu sein.“
„Ein einziger Mann?“ rief Sven. „Lange kann der Kampf nicht gedauert haben!“
Kat kauerte am Rand der Klippe am Boden. Sie beugte sich über etwas vor ihr im Gras. Über ihre Wangen rannen Tränen.
Ich ging zu ihr und kniete mich neben sie. „Was ist da?“
Sie stieß einen schluchzenden Schrei aus. Entsetzt sah ich sie an. Ihre Finger schlossen sich um etwas, das sie aus dem in den Boden getrampelten Gras geklaubt hatte.
„Andreas!“ schluchzte sie. „Andreas!“
Lyana und Sven kamen heran. Behutsam nahm ich Kats Hände in meine. In ihrer Handfläche lag ein flaches metallenes Pillendöschen an einer zerrissenen Halskette.
„Es ist seines,“ weinte Kat. „Ich erkenne es wieder. Er trug es immer um den Hals.“
„Bist du sicher? Es kann ja auch ein Ähnliches sein,“ fand ich.
Sie schüttelte schluchzend den Kopf. Ihr Körper bebte. „Es ist seines. Auf der Rückseite sind seine Initialen!“
Plötzlich schrie sie gellend auf. „Andreas! Er ist tot! Er ist die Klippe herunter gestürzt! Der Dämon hat ihn in seine Höhle geschleppt und zerrissen! Bei den Göttern, Andreas!“
Sie sprang auf.
„Nein,“ behauptete Lyana. „Da hinten führen Fußspuren den Hang hinunter. Er ist dem Dämon entkommen.“
„Du lügst!“ schrie Kat. „Das sagst du nur, um mich zu trösten. Er ist tot, ich weiß es!“ Sie warf sich an den Rand der Klippe und starrte hinunter.
„Andreas!“ schrie sie wie von Sinnen.
Lyana packte sie an der Hand und zog sie zurück. „Komm mit, ich zeig' es dir.“
Willenlos ließ Kat sich von ihr zum gegenüberliegenden Hang führen.
„Hier sind seine Stiefelspuren, siehst du?“
„Nein!“
„Schau halt genau hin! Dort drüben der schmale dunkle Fleck im Gras, siehst du den? Da hat er das Blut von seinem Schwert abgewischt.“
Langsam zog Lyana die schluchzende Kat den Hang herab. „Und hier, siehst du die weißen Stofffetzen? Da drüben ist Blut auf den Boden getropft. Er hat sich offenbar einen Verband zurechtgeschnitten und angelegt.“
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