Thomas Hoffmann - Gorloin

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"Allen warnenden Anzeichen zum Trotz waren wir nach Norden gegangen, dem schlimmsten Ort entgegen, den ein Mensch sich vorstellen konnte. Wir waren nicht umgekehrt, als wir es noch gekonnt hätten. Jetzt hatte die Falle sich geschlossen. Vor uns lag eine tote Bergwüste und in ihrer Mitte in den Ruinen einer zerstörten, vorzeitlichen Zwergenstadt das brennende Auge, wachend, suchend, und alles tötend, was in den Umkreis seines Blicks geriet. Aber ein einziger Blickwechsel mit Sven machte mir klar, dass sich die Falle um ihn schon lange geschlossen hatte…"
Im dritten Band der dreiteiligen «Leif Brogsohn»-Erzählung wird die Gemeinschaft der Gefährten auf die Zerreißprobe gestellt. Doch aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz gibt Leif nicht auf. In einer Welt voller Krieg, Verrat, zerbrechender Freundschaften und Verzweiflung kämpft Leif Brogsohn um die Liebe seines Lebens.
Nach Atem ringend kam ich beim Felsplateau vor dem Höhleneingang an. Die Luft vibrierte von magischer Strahlung. Kat hielt mir die Hand entgegen und zog mich auf den Felsvorsprung. Wir drängten uns an die Bergwand neben dem rußgeschwärzten Höhlenschlund. Unten im Tal loderte ein Flammenmeer. Eine fürchterliche Schwäche überkam mich. Einen Augenblick dachte ich, ich könnte mich nicht mehr halten und müsste in die Flammen stürzen.
"Es hat keinen Sinn mehr," sagte Kat.
Niemand widersprach ihr.
Verzweifelt sah ich sie an. «Wir können nicht zurück! Der Steig ist weggebrochen!»
Sven seufzte. Er klinkte Herodin aus der Halterung. Inmitten der vor feindlicher Magie flirrenden Luft verstrahlte das Schwert einen warmen Glanz. Lyana starrte mit angstgeweiteten Augen von einem zum anderen. Kat sah mir in die Augen. In ihren Augenwinkeln blinkten Tränen.
"Ich hätte so gern den Hof in den Bergen mit dir gebaut – mit euch beiden," flüsterte sie.
Einen Moment lang waren da nur sie und ich.
"Ich liebe dich, Kat," flüsterte ich.
Dann zog ich mein Schwert.

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Thomas Hoffmann

Gorloin

Roman

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Quellenverzeichnis

Impressum neobooks

1.

Sonnenlicht glänzte auf der verschneiten Ebene zwischen dem nebelverhangenen Moor im Westen und der steil aufragenden Hochebene im Osten. Im schräg einfallenden Nachmittagslicht ragten die Tafelfelsen im Norden schwarz und abweisend aus der Ebene auf. Den Tafelfelsen entgegen stapften vier Flüchtende durch den gleißenden Schnee. Sie führten einen Packesel mit sich.

Abenteurer hatten wir sein wollen. Wir hatten geglaubt, als Auftragsleute des Burgherrn von Dwarfencast zu Reichtum und Wohlstand kommen zu können. Doch all unsere Unternehmungen hatten uns nichts eingebracht, als Entbehrungen und Todesgefahr. Wir konnten froh sein, dass wir noch am Leben waren nach den Höllenfahrten, die hinter uns lagen. Und der Auftrag, zu dem Zosimo Trismegisto uns diesmal ausgesandt hatte, war ein Sternenfahrtskommando, wie nur ein Wahnsinniger es sich ausdenken konnte.

Meine Stiefel knirschten im Schnee. In den Schneemassen, die der Sturm vor einer Woche über das Land gebracht hatte, kamen wir nur mühsam voran. Unruhig blickte ich den noch zwei, drei Wegstunden entfernten Tafelfelsen entgegen. Zwischen den Felstürmen würden wir außer Sichtweite des Moors sein.

Das Moor. Wenn ich zu den treibenden Nebelfeldern hinüberblickte, die sich im Westen zu weiten Nebelbänken verdichteten, beschlich mich Angst. Dort war ihr Reich. Dort lag die Hütte im Moor, in der Ligeia mich in blutigen Ritualen in die schwarze Magie initiiert hatte, in der sie Nächte im dunklen Liebesrausch mit mir verbracht hatte. Dort hatte ich ihr schwören müssen, ihr die archaischen Zaubersprüche aus Kurmuk Dakar zu bringen, der Stätte des brennenden Auges hoch im Norden.

Ihre Stimme klang mir im Ohr: Was auch immer geschieht, Leif, kehre auf jeden Fall zu mir zurück!

Nicht weit von hier lag die Stelle, an der Ligeia uns bei der Rückkehr von unserer ersten Fahrt abgefangen und um ein Haar im Moor ertränkt hätte zur Strafe dafür, dass ich mich nicht an ihre Befehle gehalten hatte. Sie wusste , dass wir auf der Flucht waren. Auf der Flucht vor ihr und den wahnsinnigen Forderungen unseres Dienstherrn, der ebenfalls verlangte, dass wir ihm die uralten Gralszaubersprüche aus Kurmuk Dakar beschafften. Aber obwohl wir nur Gerüchte kannten über die Stätte Gorloins, des brennenden Auges, hatten wir genug über diesen Schreckensort erfahren, um ihn um nichts in der Welt jemals betreten zu wollen. Ligeia wusste, dass wir uns davonmachen wollten. Und doch hatte sie mich ziehen lassen, ohne ein Wort des Widerspruchs, ohne jede Mahnung, ihren Anweisungen zu gehorchen.

Wir waren auf der Flucht, schon immer, seit Svens und meiner Flucht aus dem Piratendorf Brögesand und dem abgestumpften Dasein als Totschläger nichtsahnender Handelsmatrosen. Seither verfolgten mich die erschlagenen Seeleute Nacht für Nacht in meinen Träumen und forderten ihr Leben von mir zurück.

Lyana kam an meine Seite und nahm mich an der Hand. In ihren hohen Stiefeln lief die siebzehnjährige Waldläuferin mühelos durch den Schnee. Sie trug lederne Hosen und ein hellbraunes Lederwams mit Fransen an den Ärmeln. Ihr schulterlanges dunkelblondes Haar wurde von einem ledernen Stirnband gehalten. Von ihrer Hüfte baumelte ein glänzendes Schwert. Den Bogen trug sie abgespannt in der Hand. Den Köcher und eine große Umhängetasche hatte sie sich über die Schulter gehängt.

„Wenn der Weg nach Kingerhag zu gefährlich ist, können wir auch einen anderen einschlagen,“ meinte sie in Erwiderung auf meine quälenden Gedanken.

Ich hatte mich an den Umstand gewöhnt, dass sie meine Gedanken lesen konnte. Mittlerweile kam es mir wie selbstverständlich vor, wenn sie auf einen bloßen Gedanken von mir antwortete.

„Wir können über die Berge nach Greifenhorst gehen.“

Es wäre tatsächlich eine Möglichkeit, unsere Flucht hinauszuzögern, die Marschroute in die toten Berge und zum hohen Schneeberg länger einzuhalten. Wir hatten überlegt, nach Kingerhag im Nordwesten zu gehen. Aber selbst Sven, dem König Ertelred den vierten Teil seines Königreichs und die Hand seiner Tochter Hildegard versprochen hatte, war vor unserem Aufbruch unsicher geworden, als wir in der Turmschmiede Dwarfencasts über die Prophezeiung von der Rückkehr Gorloins aus den toten Bergen sprachen.

Ich nickte nachdenklich. Dann sah ich sie verwundert an.

„Gibt es da nicht jemanden in Kingerhag, den du liebst?“

Lyana wurde rot. „Ach, auf Dauer wäre daraus ja doch nichts geworden.“

Sie ließ meine Hand los und lief in die Ebene hinaus.

„Warum hältst du denn seit Neuestem alles gleich für vergeblich?“ rief ich ihr nach. „Du kannst doch gar nicht wissen, was sich noch alles ergibt und was nicht!“

Sie antwortete nicht.

Hinter mir führte Katrina den Packesel Fedurin am Strick. Der Esel war nicht glücklich über die Winterwanderung, aber es blieb ihm nichts übrig, als sich dem Willen seiner selbstbewussten Herrin zu fügen. Katrina ging aufrecht und geschmeidig. Sie war Anfang zwanzig, schlank und wenn es nach Sven und mir ging, die schönste Frau der Welt – oder zumindest, gab ich mir zu, war sie ebenso schön wie Ligeia. Ihr flachsblondes Haar hing zu einem festen Zopf geflochten über ihre Schulter. Ihre schwarze, gefütterte Ledermontur war ihr eng auf den Leib geschnitten. Den Helm hatte sie an ihren Rucksack geschnallt, ihren Rundschild trug sie über den Rucksack gehängt wie ich. Auch sie trug ein glänzendes, schlankes Schwert an der Seite.

Sven ging neben ihr. Die beiden stritten leise über irgendeine Belanglosigkeit. Sven war einen halben Kopf größer und ein knappes Jahr älter als ich. Im Frühjahr nach der Schneeschmelze würde er zwanzig werden. Im Kettenhemd mit dem Wappenüberwurf in den Farben Dwarfencasts, Stiefeln, dem spitzen Helm und dem an den Rucksack geschnallten Zweihänder Herodin sah er aus wie ein Held der Vorzeit auf dem Marsch.

***

Bis zum Abend wanderten wir in nordöstlicher Richtung den Tafelfelsen entgegen. Kat hatte Fedurin mehrere Lagen dicker Lappen um die Füße gewickelt, damit das Tier nicht im Schnee einsank. Nach zwei halbherzigen Versuchen am Morgen, seine grimmige Herrin doch noch zu einer Umkehr zum Turm und zum warmen Stall zu bewegen, stapfte der Esel ihr schicksalsergeben nach.

Die Sonne stand im Westen über dem Nebel und die Felsformationen warfen schwarze Schatten über die Ebene. Je näher wir den Felsen kamen, um so zerklüfteter ragten sie vor uns auf.

Lyana spähte zum ersten Felsenberg empor. „Da sind Ruinen. Möglicherweise Überreste einer alten Burg.“

Sven kam an meine Seite. Er blickte abenteuerlustig in die Runde.

„Wollen wir's uns ansehen? Vielleicht gibt's da was zu entdecken.“

„Die Ruinen da oben erforschen? Nein danke!“ schnappte Kat. „Bestimmt wimmelt's da von bösartigen Geistern, die uns mal eben so zu den Sternen befördern wollen.“

Sven sah sie erstaunt an. „Sonst warst du immer diejenige, die auf jedes Abenteuer los wollte.“

Sie blickte missmutig zur Seite. „Die Abenteuerlust ist mir vergangen. Ich hab die Schnauze voll davon, meine Haut hinzuhalten für nichts und wieder nichts, ohne dass irgendwas dabei für uns rausspringt!“

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