1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Kein Wunder, dass mir diese Ohren irgendwie bekannt vorkamen.“
Winnebago hielt das Foto in beiden Händen, die Ellenbogen auf den Tresen seines Buchladens gestützt.
„Soso, du hast das Foto also gemacht.“ grinste Eddie.
Winnebago verzog sein Gesicht, machte eine entschuldigende Handbewegung und fragte „Was ist mit dem Umschlag?“
Eddie holte den zerknitterten Umschlag aus seiner Tasche, strich ihn auf dem Tresen glatt und reichte ihn Winnebago.
„Siehst du, ich hatte Recht. Thailand.“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Umschlag und fügte hinzu „Sieh dir mal die Briefmarken etwas genauer an, der ist aus Thailand.“
Eddie nahm den Umschlag hoch und folgte Winnebagos Rat. Die Schrift war sehr klein und bestand aus für Eddie unleserlichen Hieroglyphen. Winnebago hingegen schien sich sicher zu sein.
Winnebago drehte sich mit dem Foto in der Hand ins Licht. „Du kannst sagen was du willst, Eddie. Diesen roten Kreis um mein Gesicht mag ich ganz und gar nicht.“
„Versuch dich doch einfach mal zu erinnern. Wer war denn damals immer mit uns in Bangkok?“
Winnebago holte seinen Zigaretten unter dem Tresen hervor und steckte sich eine an.
„Da war einer, den alle nur Donkey genannt haben. Der war immer mit dabei.“ Winnebago tippte auf eines der Gesichter „Könnte der da gewesen sein.“
Wieder starrten sie beide auf das Foto und warteten auf irgendeine Eingebung. Aber es kam keine.
„Wie hieß der wirklich?“
„Das weiß ich doch nicht mehr, Donkey eben.“
„Sag mal“ grübelte Winnebago, „die Armee hat doch sicher irgendwo Archive, in denen man solche Informationen finden könnte?“
„Selbstverständlich. Ich stelle mir gerade vor, wie ich das Pentagon anrufe und nach einem Typ namens Donkey frage. So ein Spitzname dürfte im Pentagon eine Art Sammelbegriff sein.“
Winnebago grübelte weiter „Wir könnten ja versuchen, unseren alten Hauptmann zu finden. Der kann sich ganz bestimmt besser erinnern als wir.“
„Du lieber Himmel, Winnebago. Da wüsste ich auch nicht, wo ich mit der Suche anfangen könnte.“
„Bin mir sicher, dass der es noch zu etwas gebracht hat. Der war so ein richtiger Karrieresoldat. Sollte nicht allzu schwer sein, den zu finden.“
„Vielleicht ist das wirklich gar keine so schlechte Idee. Schließlich müssen wir ja irgendwo anfangen.“
„Ja“ nickte Winnebago, „das müssen wir dann wohl.“ Für ihn hatte die Angelegenheit natürlich erheblich an Bedeutung gewonnen, seit er sein eigenes Gesicht mit dem roten Kreis darum vor sich gesehen hatte. “Hauptmann Austin hat sicher irgendwo seine Spuren hinterlassen.“
Den Rest der Woche gab sich Eddie beflissen und widmete sich seinem Tagesgeschäft so gut es ging. Aber die Fotos gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf und es fiel ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Am Freitag schließlich gegen vier Uhr nachmittags gab er endgültig auf und verabschiedete sich ins Wochenende.
Das House of Shields lag in der New Montgomery Street etwas südlich der Market Street und war eingerichtet wie eine alte Lounge. Im Inneren roch es zu Eddies Freude immer noch ein wenig nach Zigarren und es war dort so gemütlich wie in einem alten Pantoffelpaar. Trotz seines martialischen Namens hatte das House of Shields nichts mit mittelalterlicher Kriegsführung zu tun, wenn auch einige der Stammgäste so aussahen, als hätten sie Prinz Eisenherz noch persönlich gekannt. Vielmehr hatte ein Mann namens Shield die Lounge um die Jahrhundertwende eröffnet und ein großes Schild über den Eingang gehängt, auf dem stand:
IN DIESEN RÄUMEN SIND ZEIT UND ALLTAG VERGESSEN
Eddie mochte das. Allerdings hing das Schild schon seit vielen Jahren nicht mehr an seinem Platz, in Anbetracht des heutigen Alltages hatte es wohl zu sehr an Wirkung eingebüßt. Eddie mochte auch die Pianistin mit ihrem viel zu starken Make-up. Sie musste wohl um die Fünfzig sein, trug ein Ballkleid aus Taftseide und spielte „Our Love Is Here To Stay“ auf einem mäßig gut gestimmten alten Steinway Flügel. Wenn nicht viel los war, was meistens der Fall war, breitete sich Eddie mit seinen Unterlagen an der Theke aus, nippte an einem Bier oder einer Cola Light und verabschiedete sich langsam ins Wochenende. So war das eben in San Francisco.
Als er sein Studium abgeschlossen hatte dachte Eddie, die ganze Welt läge ihm zu Füßen. Doch dann entdeckte er die guten kalifornischen Weine für sich, die schon für ein paar Dollar zu haben waren; die herrlich frischen Krabben, die an der Fisherman’s Wharf direkt vom Kutter verkauft wurden, jedenfalls bis sich diese in eine Touristenattraktion verwandelte und die echten Fischer mit ihren echten Kuttern die Flucht ergriffen. Der Geschmack von frischem Sauerteigbrot, dessen Duft aus Sammy’s Bakery die ganze Powell Street erfüllte. Der muffige alte Buchladen auf Freemont Street, in dem es genauso roch, wie bei seiner Großmutter auf dem Dachboden; und natürlich diese herrlichen Sonnenuntergänge, die die ganze Stadt in ein magisches Licht tauchten, wenn die Sonne zwischen den roten Pfeilern der Golden Gate Bridge langsam im Pazifik versank.
Ehe sich Eddie versah, waren zwanzig Jahre vergangen, wie Sand war ihm die Zeit durch die Finger geglitten und von der Welt, die ihm einst zu Füßen zu liegen schien, hatte er nicht viel gesehen. Aber er mochte seine Stadt eben auch.
„Hey Mann, weißt du, an wen du mich erinnerst?“ hörte Eddie eine Stimme seitlich hinter sich sagen. „An diesen Schauspieler, du weißt bestimmt schon wen ich meine…“
Eddie drehte sich um zu einem Mann in einer braunen Lederjacke, der ihn von oben bis unten musterte. Er war nicht sonderlich überrascht. Wann immer ihn jemand so ansah, und das geschah für seinen Geschmack viel zu oft, wiederholte sich diese eine Konversation.
„Du siehst aus wie…“ der Mann wackelte mit seinem Zeigefinger in Eddies Richtung „Bruce Willis. Genau, das ist es. Wie Bruce Willis! Hat dir das schon mal jemand gesagt?“
Der Kerl blickte Eddie triumphierend an und drehte sich dann kurz zu seiner Freundin um, einer schmallippigen dünnen Frau, die an einem der Tische auf ihn wartete.
Na sowas, dachte Eddie. Klar, das höre ich jetzt ganz sicher zum allerersten Mal.
Eddie zog seine Augenbrauen hoch und nickte dem Mann mit ausdruckslosem Gesicht über die Schulter zu. Dann drehte er sich um und widmete seine gesamte Aufmerksamkeit der vor ihm stehenden Cola Light. Er wusste, dass er die Dinge damit eigentlich nur noch schlimmer machte, denn genauso hätte es wohl auch Bruce Willis in einem seiner Filme gemacht. Aber eben diese Doppeldeutigkeit amüsierte Eddie auch irgendwie.
Der Barhocker neben ihm wurde zurück geschoben und zu Eddies Überraschung nahm Kelly Wuntz darauf Platz.
Es war jetzt drei Tage her, seit Eddie ihn gebeten hatte, ihm bei der Suche nach Hauptmann Harry Austin behilflich zu sein. Er hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sich Wuntz mit irgendeiner brauchbaren Information bei ihm melden würde. Schon deshalb nicht, weil seine eigenen Nachforschungen in San Francisco und Umgebung völlig ergebnislos geblieben waren. Austin war seit seinem Ausscheiden von der Marineinfantrie in 1975 wie vom Erdboden verschluckt.
Wuntz hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck, aber noch bevor Eddie etwas sagen konnte, legte Wuntz den Finger auf seine Lippen und schüttelte heftig den Kopf um Eddie unmissverständlich mitzuteilen, dass er seine Klappe halten solle. Eddie blickte sich in der Bar um, sah aber niemanden, der nahe genug bei ihnen war, um mithören zu können. Außerdem hätte er ja auch nur ‚Hallo Wuntz, wie geht’s dir?‘ gesagt.
Wuntz glitt von seinem Barhocker und bedeutete Eddie ihm zu folgen. Selbst für den alten Ermittler Kelly Wuntz war dieses Verhalten reichlich sonderbar. Mehr aus Neugier beschloss Eddie sein Spiel mit zu spielen und folgte ihm an der Bar entlang, die Treppe hinauf und in die Herrentoilette. Wuntz begann damit, den gesamten Toilettenraum auf eventuelle Mithörer zu inspizieren, doch es stellte sich heraus, dass sie allein waren.
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