„Du warst als Technischer Feldwebel bei der Kompanie A im Fünften Bataillon. Du hattest den Auftrag, die Evakuierung der amerikanischen Botschaft in Saigon zu unterstützen. Du hast das Botschaftsgelände mit einem der letzten Hubschrauber verlassen.“
Eddie spürte, wie die Angst wieder in ihm aufstieg. Bisher war er nur etwas verwirrt gewesen über diesen unerwarteten Besuch. Allmählich aber fügten sich die einzelnen Ereignisse zu einem Gesamtbild zusammen. Erst die beiden Fotos in der Post, dann der Zeitungsartikel über den entsetzlich zugerichteten Harry Austin, und jetzt das hier. Die Zusammenhänge wurden unübersehbar.
„Was weißt du noch über die Operation Voltaire, Eddie?“
Ehrliche Ahnungslosigkeit. „Operation was ?“
„Dein letzter Auftrag vor deiner Evakuierung aus Saigon, Eddie. Erinnerst du dich nicht mehr?“
„Von einer Operation Voltaire habe ich in meinem ganzen Leben noch nie ein Wort gehört. Während meiner gesamten Militärzeit habe ich an keiner einzigen Operation teilgenommen, die einen halbwegs intelligenten Namen hatte. Unsere Operationen hießen ‚Maiglöckchen‘ oder ‚Karpfen Fünf‘ oder so etwas Ähnliches.“
Reidy machte eine abwiegelnde Geste.
„Du warst jedenfalls zur Operation Voltaire eingeteilt, Eddie. Lass mich deinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen. Es ging darum, die Gold- und Währungsreserven der Bank of Vietnam vor dem Vietcong in Sicherheit zu bringen.“
Über was um alles auf der Welt redet dieser Kerl?
Eddie wählte seine Worte jetzt sehr vorsichtig: „Stimmt, wir haben das Botschaftsgelände abgesichert und die Evakuierung der Leute überwacht.“ Sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf läuteten, aber er wusste wirklich nicht, was er sonst hätte sagen sollen. „Das ist wirklich alles, woran ich mich erinnern kann.“
Eddies Antwort gefiel Reidy offenbar ganz und gar nicht. Schließlich legte er die Karten auf den Tisch.
„Das gesamte verbliebene südvietnamesische Staatsvermögen ist während der Evakuierung Saigons verschwunden. Wir suchen es.“
Das war natürlich in der Tat eine interessante Geschichte, die den Einsatz des Secret Service erklärte. Leider verstand Eddie noch immer nicht, was das alles mit ihm zu tun hatte.
„Oje, wieviel ist denn weggekommen?“ erkundigte sich Eddie mit geheuchelter Betroffenheit.
„Nach heutiger Schätzung etwa 400 Millionen US Dollar.“
Jetzt konnte Eddie nicht mehr anders, er musste laut loslachen. Seine Besucher hingegen konnten sich einmal mehr gar nicht amüsieren.
Herrgott im Himmel nochmal. Meinten die das alles wirklich ernst?
„Und jetzt, nach über 20 Jahren, sind irgendwelche Leute morgens aufgewacht und haben festgestellt, dass die ganze Kohle fehlt?“
„Allgemein wurde angenommen, dass die Kohle, wie du es nennst, in dem Durcheinander der Evakuierung zurückgelassen wurde und den Nordvietnamesen in die Hände gefallen war.“
Reidy grinste ein wenig als er sprach und das verstärkte Eddies Unwohlsein erheblich.
„Nachdem die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Vietnam im vergangenen Jahr wieder aufgenommen wurden, stellten wir jedoch fest, dass die Vietnamesen völlig ahnungslos waren. Das Finanzministerium hat daraufhin eine Sonderkommission gebildet, die sich jetzt um diese Angelegenheit kümmert.“
Eddie machte mit der Hand eine ausschweifende Geste durch sein schäbiges Büro „Naja, Sie können sich gern bei mir umschauen. Wenn Sie glauben, hier irgendwo 400 Millionen Dollar zu finden, dann wird Sie bei ihrer Suche jetzt wirklich das Glück verlassen.“
„Vielleicht auch nicht.“ Reidy lehnte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf Eddies Schreibtisch. „Das Pentagon hat bestätigt, dass du am 27. April 1975 von Hauptmann Harry Austin zum Offizier vom Wachdienst vergattert worden bist. Deine Aufgabe war es, zwei Straßen entfernt von der Botschaft ein Lagerhaus zu bewachen. Und genau in diesem Lagerhaus hatte Austin das vietnamesische Geld verpackt und fertig zum Abtransport untergebracht.“
Reidy beugte sich jetzt so weit zu Eddie vor, dass er das Pfefferminzbonbon in seinem Atem roch, das er kurz vor seinem großen Auftritt noch gegessen haben musste.
„Von den letzten Soldaten, die ihren Dienst an diesem Lagerhaus versehen haben, warst du der ranghöchste, Eddie“ sagte er.
Reily ließ sich abrupt in seinen Stuhl zurück fallen, breitete die Arme aus und grinste breit.
Eddie versuchte fieberhaft, all diese Informationen mit seinen eigenen spärlichen Erinnerungen an Saigon in Einklang zu bringen.
„Sag uns doch einfach, was du damals mit der Kohle gemacht hast, Eddie Dare.“
Winnebago nahm einen letzten tiefen Zug aus seiner Camel und schnippte den Stummel über den Gehweg in einen Gully. „Und was hast du ihnen geantwortet?“ fragte er, als sie die Union Street überquerten.
„Die Wahrheit natürlich. Ich habe ihnen gesagt, dass wir die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen sind, Leute von der Mauer des Botschaftsgeländes in Saigon zurück auf die Straße zu schubsen und dass ihre Informationen schlicht Scheiße sind. Wir haben auf kein Geld aufgepasst.“
„Haben das sie dir geglaubt?“
„Natürlich nicht.“
Eddie und Winnebago liefen die Columbus Avenue hinunter in Richtung North Beach, dem italienischen Viertel der Stadt, dessen Zentrum der Washington Square ist.
„Ich kann mich auch nicht daran erinnern, irgendwelches Geld bewacht zu haben. Glaub‘ mir, ich weiß genau wie Geld aussieht und das wär‘ mir aufgefallen.“
„Der Secret Service sieht das anders.“
Eddie vergrub die Hände in den Taschen seiner Lederjacke. Sie überquerten den Washington Square und hielten direkt auf die St. Peter and Pauls Cathedral zu, deren Türme Eddie irgendwie an eine kitschige Hochzeitstorte erinnerten.
„Die Frage ist, wer Recht hat, Winnebago. Wir oder die.“
„Was zum Teufel soll das denn heißen?“
„Ich meine, vielleicht wissen wir ja tatsächlich irgendetwas, von dem wir gar nicht wissen, dass wir es wissen, weißt Du?
„Um Himmels willen, Eddie! Wer von uns beiden hat sich eigentlich in den letzten zwanzig Jahren das Hirn weich gekifft, du oder ich?“
„Ich meine das ernst. Denk doch mal nach. Vielleicht haben wir damals in Saigon tatsächlich etwas von der Sache mitbekommen. Weil wir aber gar nicht wussten, worum es eigentlich geht, konnten wir es nicht einordnen…“
Eddie beobachtete den aufkommenden Nebel, der das vor ihnen in der Bucht von San Francisco liegende Alcatraz bereits verschluckt hatte und sich jetzt langsam landwärts schob. Erste Schwaden krochen bereits wie Tentakel über die Fishermen’s Wharf und erreichten die Columbus Avenue. In ein bis zwei Stunden, vermutete Eddie, würde die Stadt vollkommen eingehüllt von dieser weißen Wolke. Dann würden nur noch die Spitzen der Hochhäuser zu sehen sein.
Der berühmte Nebel von San Francisco passte irgendwie perfekt zu dieser Stadt, fand Eddie. Er gab den Menschen die Chance, sich von den schrillen Farben zu erholen von denen sie überall umgeben waren. Alles wurde blasser, unschärfer, die Wahrnehmung veränderte sich. Es war derselbe Schleier, der über diesen beiden verdammten Fotos lag, jedes Mal, wenn Eddie sie betrachtete.
„Wir waren doch nur das Kanonenfutter, Winnebago. Die meiste Zeit über hatten wir doch überhaupt keine Ahnung wo wir waren, und den Rest der Zeit wussten wir nicht was wir taten.“ Eddie versuchte, seine Erinnerungslücken zu entschuldigen.
Er senkte den Kopf und sprach leise weiter. Er fühlte sich nicht wohl bei dem was er sagte, aber irgendwie lag es auf der Hand.
„Vielleicht war es so und wir wussten es einfach nicht. Vielleicht waren wir tatsächlich in der Nähe dieses verdammten Geldes, nur, gesagt hat uns das natürlich keiner.“
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