Wir wollen die historischen Wirtschaftsweisen hier unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit analysieren. Eine nachhaltige Lebensstrategie soll aber nicht mit der spezifischen Strategie der Nischenanpassung gleichgesetzt werden. Auch Strategien der Nischendominanz können nachhaltigen Charakter haben, wenn sie zu einem stabilen Gleichgewichtsverhältnis von Mensch und ökologischer Umwelt führen. Der Preis dieses Gleichgewichtsverhältnisses ist zwar eine reduzierte Komplexität der ökologischen Systeme, nachhaltige Gesellschaften zeichnen sich aber durch das Bestreben aus, dieses Gleichgewicht als eigene Überlebensbedingung stabil zu halten. So sind tabuisierte Handlungen wie Jagdverbote für Muttertiere mit Jungen, aus Beobachtung der Naturprozesse gewonnene Kulturvorschriften wie Fruchtfolgen (einschließlich Brachphasen) in der Landwirtschaft oder rituelle Speisevorschriften (Verbot des Verzehrs bestimmter Tiere und Pflanzen) Beispiele für Maßnahmen nachhaltiger Gesellschaften, um harmonische Lebensbedingungen in der ökologischen Nische zu sichern. Mit dem Aufkommen industrieller Wachstumsökonomien werden die Strukturen der Nachhaltigkeit weitgehend verdrängt. Damit haben wir auch die Institutionen und Riten verloren, mit denen wir uns in traditionellen Gesellschaften der Natur gegenüber zumindest im Zaum halten konnten. Doch was mit dem Anspruch auf Autonomie des Menschen gegenüber der Natur auftrat, entpuppte sich bald als unerwartete Eigendynamik einer lauthals proklamierten Freiheit, die auch vor ihren Urhebern keinen Respekt kennt. Der menschliche Macht- und Herrschaftsanspruch wendet sich heute gegen seinen ureigensten Schöpfer - gegen den Menschen selbst - gleich einer äußeren, fremden Macht. Die Krise der Natur, entlarvt sich als Krise unserer Strategie der Nischendominanz. Sensible Poeten, Lebensreformer, Alt-Yogis und Blumenkinder, die schon vor Jahrzehnten das gute Leben jenseits der industriell gestanzten Alltagswirklichkeiten suchten, wurden, wo sie auftauchten, zu Objekten von Hohn und Spott der egofixierten, karrieresüchtigen Zauberlehrlinge des Industrieimperiums, die sich noch im Besitz der magischen Formel wähnten. Erst mit dem Aufbrechen der ökologischen Krise mehrt sich die Zahl der Menschen, die sich von der Unwirtlichkeit der Städte und dem entfremdeten industriellen Arbeits- und Lebensrhythmus abgestoßen fühlen und sich nach Einbettung und intimen Beziehungen mit der Natur sehnen. Viele verknüpfen die Hoffnung auf eine Vereinfachung des Lebens in einer ländlichen, natürlichen Umgebung mit der Suche nach einem inneren Lebensweg, einer „ Heimkehr in die Ursprungsmitte ”[126], von wo sie der Moloch der modernen Zivilisation vertrieben hat. Analysieren wir im Folgenden nun die ökologischen Lebenszusammenhänge der frühen menschlichen Gesellschaften, um zu sehen, ob bzw. wie diese Gemeinschaften ihre Lebenspraxis im Kreislauf der Natur gestalteten. Gehen wir also zurück in eine Zeit, in der sich das Ego aus den Bindungen an die primitive Natur des Körpers gerade zu lösen beginnt, in der sowohl das Erwachen zu einer Individualität als auch der gleichzeitige Verlust des paradiesischen Zustandes träumerischen Verweilens in der großen Kette des Seins die Gestaltungskräfte einer neuen Nischenstrategie formieren.
1. Jäger- und Sammlergesellschaften: Gleichgewicht im Zustand der uroborischen Verschmelzung
Während 99% der menschlichen Geschichte waren die Tätigkeiten des Jagens und Sammelns die grundlegenden energetischen Aufwendungen, um den Lebensunterhalt der Menschen zu bestreiten.[127] Nur wenige Jäger- und Sammlergesellschaften - wie die Eskimos oder die stark bedrohten Indianerstämme im Amazonasgebiet - haben bis heute überdauert. Solare Energie ist in der Frühzeit die Ressourcenbasis dieser Gesellschaften. Sie ermöglicht das Leben der Pflanzen und der Tiere, die von den Pflanzen leben, sowie der Raubtiere, die von den pflanzenfressenden Tieren leben. Ökologische Systeme tendieren stets zu einem Gleichgewichtszustand zwischen verfügbaren pflanzlichen Nahrungsreserven, pflanzenfressenden Organismen und Raubtieren, und es scheint, dass schon die frühen Menschen intuitiv um diese Zusammenhänge wussten. Die ersten Menschen sind Jäger und Sammler. Ihre materielle Lebensgrundlage bildet gespeicherte solare Energie in Form von pflanzlicher und tierischer Nahrung. Besonders die Jagd prägt die Lebensform und die Entwicklung von Sprache, Kultur und gesellschaftlicher Organisation. Das Herdenwesen entwickelt die „ Gemeinschaftlichkeit in Blut, Sprache, Sitten ”.[128] Oft ist behauptet worden[129], dass besonders die kalorienreiche tierische Nahrung die Entwicklung des Gehirns beschleunigt und damit die Überlebenschancen vergrößert habe. Allerdings waren in der Ernährung der frühen Menschen auch Nüsse wichtig; und diese enthalten wesentlich mehr Kalorien als die meisten Fleischsorten.[130] Es gibt auch Überlegungen, dass es gerade der Verzehr von Fleisch und das Töten anderer Wesen waren, die den aggressiven Überlebenswillen angestachelt und damit eine auf Dominanz gerichtete Nischenstrategie nachhaltig gefördert haben. In den Jäger- und Sammlergesellschaften ist mit primitiven Werkzeugen verrichtete menschliche Arbeit das Hauptinstrument, um Nahrungsquellen zu erschließen. Ursprünglich war die Arbeit geschlechtsspezifisch geteilt: Die Männer gingen der Jagd, dem Fischfang und der Fertigung von Werkzeugen nach, die Frauen dem Sammeln von Pflanzen, der Konservierung von Nahrung (sofern sie betrieben wurde) und der Herstellung von Transportbehältnissen.[131] Aus dieser ursprünglichen, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entwickelt sich nach und nach eine zunehmende Spezialisierung, bis hin zur Entwicklung besonderer Handwerke. Werkzeuge, Arbeitsteilung und Sprache werden so zu Instrumenten, um Umweltressourcen immer effizienter zu erschließen und zu nutzen. Dabei haben allerdings bewusste Effizienzüberlegungen im heutigen Sinne, also als Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, bei den Jägern und Sammlern so gut wie überhaupt keine Rolle gespielt.
Marshall Sahlins[132] vertritt - im Gegensatz zur verbreiteten anthropologischen und ethnologischen Auffassung - die These, dass die Jäger und Sammler keinesfalls arm waren oder unentwegt harte Fronarbeit des nackten Überlebens willens leisten mussten. Er behauptet (auch unter Verweis auf Beobachtungen an heute noch lebenden Jäger- und Sammlergemeinschaften in Australien[133]), dass diese Menschen normalerweise nicht sehr hart arbeiteten. Nicht mehr als 4-5 Stunden täglich wurden für die Aneignung und Zubereitung von Nahrung verwendet. Die meisten dieser Tätigkeiten waren körperlich nicht sonderlich anstrengend und wurden mit Sicherheit nicht als unangenehme Arbeit oder notwendiges Übel betrachtet. Es war eine Ökonomie der begrenzten, spezifischen Ziel e, das heißt die Menschen jagten und sammelten nur für den unmittelbaren Bedarf. Vorratshaltung war nur wenig verbreitet, da Nahrungsreserven in Hülle und Fülle vorhanden waren. Die Jäger und Sammler schöpften also ihre ökonomischen Möglichkeiten bei weitem nicht aus und ließen folglich Teile der vorhandenen Arbeitskraft und der erreichbaren Ressourcen durchaus bewusst ungenutzt. Diese Menschen lebten in der ersten Wohlstandgesellschaft der Welt, weil sie alle ihre materiellen Bedürfnisse leicht befriedigen konnten. Sahlins nennt die Lebensweise dieser Menschen den Zen-Weg zum Wohlstand, der das unbegrenzte Wachstum der Bedürfnisse nicht kennt. Die Jäger- und Sammlergesellschaften lebten im Wohlstand , weil sie die verwirrende Vielfalt von Erzeugnissen nicht kannten. Knappheit, als Verhältnis zwischen Mittel und Zweck, war ihnen unbekannt. Ihre Bedürfnisse waren knapp und im Verhältnis dazu, hatten sie der Mittel übergenug. In dieser Hinsicht waren sie der pointierte Gegensatz des homo oeconomicus , jener Witzfigur der Schulbuch-Ökonomie, dessen unbegrenzte Bedürfnisse stets mit knappen Mitteln kollidieren und der so schon den Stoff zur Fabrikation der skurrilsten Theoriegebilde der Ökonomie geliefert hat. Das Wirtschaftsziel dieser Ökonomie ist die Maximierung von Muse und Freizeit. Vielleicht hatten diese Menschen mehr Zeit für Muse zur Verfügung als jede andere Gruppe in der Geschichte der Menschheit. Weil Neid und Gier vor allem dort gedeihen, wo ein anderer permanent über Mittel verfügt, die einem selbst fehlen, kann man vermuten, dass gerade aufgrund der wenig ausgeprägten Besitzstrukturen eine freundlichere emotionale Befindlichkeit vorgeherrscht haben mag.
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