„Du brauchst nicht so laut zu werden.“
Ich habe gar nicht registriert, dass ich angefangen habe ihn anzuschreien. Humpelnd gehe ich ums Bett und lasse mich auf einem Stuhl am Fenster nieder. Ich versuche so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns zu erhalten. Doch kaum bin ich auf der anderen Seite des Raums, steht er auf und kommt auf mich zu.
„Wie ich sehe, hast du schon etwas weggeräumt.“
Ich schaue ihn fragend an, denn mir will nicht in den Sinn kommen, was er damit meint. Aber als er auf die noch blühenden Sträusse deutet, fällt mir sogleich der Groschen.
„Ich konnte sie nicht mehr ertragen. So wie ich dich nicht mehr ertrage. Bitte verlass endlich dieses Zimmer und komm nie mehr zurück!“ Ich drehe mich von ihm weg und hoffe, dass er ohne weiteres geht. Zwar fühle ich mich überhaupt nicht wohl, ihn in meinem Rücken zu wissen, trotzdem bleibe ich beharrlich so stehen und schaue den Rotkehlchen zu, wie sie von einem Baum zum anderen fliegen.
Ich zucke so fest zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre, dass ich fast zu Boden falle. Er dreht mich mit einem eisernen Griff um und die Bilder vom vergangenem Freitag steigen in mir hoch. Ich habe grosse Mühe auf den Füssen stehen zu bleiben.
„Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen erzählst, bist du dran.“
„Verschwinde!“ Mein Körper zittert heftig und die Angst steigert sich ins Unermessliche.
„Zoe, ist alles in Ordnung?“
Völlig erschrocken sehe ich hinter Noah hervor. Ich habe seine Stimme sofort erkannt, aber bin dennoch erstaunt, Alexander in der Öffnung der Tür zu sehen. Noch nie war ich so froh ihn hier zu sehen. Unsere Blicke senken sich ineinander und lassen uns nicht mehr los. Er kommt mit schnellen Schritten auf uns zu und stellt sich zwischen mich und Noah. Ich kann endlich wieder aufatmen und die Angst die ich vorhin noch verspürt habe, verfliegt in einem Flug.
„Es ist alles okay.“
„Wenn du meinst.“ Er dreht sich zu Noah um, der ihn mit einem finsteren Blick mustert. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“
„Das geht Sie rein gar nichts an. Und tun Sie nicht so, als ob ich nicht wüsste, wer Sie sind.“ gibt Noah sarkastisch zurück. „Nur frage ich mich, was Sie hier wollen.“
Noahs Augen wandern meinen Körper auf und ab. „Das ist er also, nicht wahr?“
„Was soll er sein?“
„Der Grund dass du mit mir Schluss gemacht hast. Gibs zu! Hat er dich schon ran genommen und dich so richtig durchgefickt?“
„Hör auf! Du bist ein verdammter Mistkerl. Geh!“
„Damit du dich mit ihm vergnügen kannst?“ Noah sieht mich mit einem herablassendem Grinsen an. Mir wird es ganz elend davon. Wie kann er nur plötzlich so grausam sein? Wie konnte ich ihn nur jemals lieben? Verzweifelt versuche ich gegen die Tränen anzukämpfen, die in meinen Augen brennen.
„Verschwinden Sie auf der Stelle aus diesem Zimmer.“
„Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen.“
„Kuhn.“ Alexander winkt seinen Leibwächtern. „Dieser Herr hier möchte uns verlassen. Führen Sie ihn hinaus und sehen Sie zu, dass er auch wirklich in sein Auto steigt und sich von diesem Areal entfernt.
Einer der Bodyguards kommt auf uns zu und packt Noah an seinem Arm. „Kommen Sie doch bitte mit uns.“
Noah schüttelt den Leibwächter wie ein lästiges Insekt ab. „Ich kann alleine gehen.“ und sieht mich mit einem eisigen Blick an, der mich zu Tode erschrecken würde, wenn Alexander nicht neben mir stehen würde. Mit ausgestrecktem Finger zeigt Noah auf mich. „Versteck dich nur hinter diesem Angeber, du elende Heuchlerin. Aber ich schwöre dir, er wird dich nicht immer beschützen können und dann erwische ich dich.“
Bevor er mich mit seinen Beleidigungen noch mehr erniedrigen und verletzen kann, greift der Leibwächter nach ihm und führt ihn weg.
Ich kann sein Fluchen und sein kaltblütiges Lachen, das im Flur widerhallt, noch weit hören, aber sobald Noah aus meiner Bildfläche verschwunden ist, kann ich mich nicht mehr länger beherrschen und lasse mich gegen Alexanders Brust fallen, der mich sofort in eine starke Umarmung schliesst. Hilflos klammere ich mich an ihm fest. Die Tränen, die ich vorhin noch mühsam verdrängt habe, laufen mir bereits über die Wange und ich weine unkontrolliert an seiner Brust. Es bricht einfach alles aus mir heraus. Alles, was ich in den letzten Tagen versucht habe zu unterdrücken, die Angst, die Wut, die Hilflosigkeit, selbst das Verlorene, steigt in mir auf.
Alexanders Hand streicht behutsam über meinen Kopf und hält mich in seinen Armen, bis ich mich von Noahs groben Worten erholt habe. Erst als ich mich von ihm löse, sieht er mich besorgt an. In seinem Gesicht lese ich deutlich, dass ihm viele Fragen auf der Zunge brennen, auf die er gerne Antworten hätte, aber sich eisern zurückhält.
Er führt mich zu meinem Bett, woraufhin ich mich völlig ermattet darauf lege. Zu meinem Erstaunen setzt sich Alexander nicht auf einen Stuhl, sondern streckt sich hinter mir aus und hält mich ganz fest an sich gedrückt, mit seiner Brust an meinem Rücken. Eigentlich sollte mir das nach all den wüsten Vorfällen nicht gefallen, doch das Gegenteil ist der Fall. In diesem Moment kann ich mir nichts Tröstenderes vorstellen, als genauso hier zu liegen. Seinen warmen Körper ganz nah an meinem wahr zu nehmen.
Einige Zeit bleiben wir in dieser Position. Ich geniesse seine starke Umarmung, so wie sein Atem, der leicht meinen Hals liebkost. Ich wage es nicht, mich zu bewegen, denn ich befürchte, dass diese Geborgenheit in sich zusammenfällt, sobald ich nur meine Hand etwas nach oben hebe. Still bleibe ich zusammengerollt an ihn gekuschelt liegen und höre seinem Atem zu, der ganz gleichmässig zu sein scheint.
„Wer war das?“
Ich habe mich schon davor gefürchtet, aber mir war schon von Anfang klar, dass dieses Gespräch unausweichlich sein wird. Obwohl es mir gleichgültig sein könnte, was Alexander von mir und all dem was hier passiert ist, denkt, möchte ich ihn nicht zurückweisen.
„Noah.“
„Dein Ex?“
Mein Herz krampft sich zusammen. „J...ja.“
„Was hat er dir angetan?“
Warum muss er mich diese Frage stellen? Ich kann und will ihm nicht die Wahrheit erzählen. Ich brauche Zeit, um mich all dem zu stellen, was mir widerfahren ist. Ausserdem befällt mich eine Angst, dass sich Alexander von mir zurückzieht, wenn er das tragische Ereignis zwischen mir und Noah, in seiner ganzen Tragweite erfährt.
„Nichts.“ flüstere ich kaum hörbar.
„Warum willst du es mir nicht sagen?“ Alexander dreht mich vorsichtig auf meinen Rücken und sieht mich mit einem finsteren Blick an, den ich noch nie an ihm gesehen habe. Was denkt er nur von mir? Ich möchte mich aus diesem Gespräch davonstehlen, aber Alexander hält mich eisern fest. Sein Körper drückt halb auf meinen Brustkorb, während er mich eingehend mustert. Dabei machen sich meine gebrochenen Rippen schlagartig bemerkbar und der Schmerz breitet sich in Windeseile in meinem ganzen Körper aus.
„Bitte lass mich los. Meine Rippen...“ hauch ich.
Völlig verschreckt lässt Alexander mich los und springt auf. „Es tut mir Leid, Zoe. Habe ich dir wehgetan? Das wollte ich nicht. Ehrenwort.“ Er starrt mich an, als hätte er mich soeben geschlagen. Er ist so fürsorglich und lieb. Er hat es nicht verdient, dass ich ihn so belüge, wie bisher, aber auch wenn ich ihm alles erzählen möchte, kann ich es einfach nicht. Langsam erhebe ich mich und setzte mich ebenfalls hin. All die aufgestauten Gefühle stürzen auf mich ein und schwirren wie ein Schwarm Bienen wild in meinem Kopf herum. Ich brauche unbedingt einen Moment, um mich wieder zu sammeln und flüchte ins Bad.
„Zoe?“
„Gib mir einen Augenblick, bitte.“ Ich kann ihn nicht ansehen, denn er soll meine Tränen nicht sehen. Kaum ist die Tür hinter mir verschlossen, sinke ich an der Wand hinunter auf den Boden und lasse meinen zurückgedrängten Tränen freien Lauf. Mein Körper wird ständig von meinen tiefen Schluchzern, die nicht enden wollen, durchzuckt.
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