„Habe ich Ihnen wehgetan?“ fragt er mich mit seiner charmanten Stimme.
„Nein.“ Sie nicht, aber jemand anders, fährt es durch meine Gedanken. Ich brauche meine ganze Kraft, nicht in Tränen auszubrechen.
Soll das jetzt immer so weitergehen? Habe ich von jetzt an ständig Angst, wenn mich jemand berührt?
„Was machen die beiden Herren dort in der Ecke? Warum beobachten die uns?“
Er sieht über seine Schulter und nickt den beiden zu. Diese jedoch machen keine einzige Bewegung. Alexander blickt wieder zu mir und schenkt mir seine Aufmerksamkeit.
„Ach die. Die sind nur für meine Sicherheit zuständig.“
„Für Ihre Sicherheit?“
Fast lautlos öffnen sich hinter mir die Aufzugtüren und eine Frau in einem weissen Kittel tritt neben mich. Erst als sie auf meiner Höhe stehen bleibt, wird mir bewusst, dass sie mit mir gesprochen hat. Aber ich habe keine Ahnung, was sie von mir will.
„Frau Berner? Ist alles in Ordnung?“ fragend blickt sie mich an.
„Ja.“
„Sind Sie sich auch sicher?“
„Ich habe sie nur nicht gehört. Das ist alles.“ Sie sieht mich mit einem Ausdruck an, der mir beweist, dass sie nicht überzeugt davon ist, dass alles gut ist.
„Herr Dr. Stevens sucht Sie. Könnten Sie mir bitte folgen?“
„Natürlich.“ Ich wende mich an Alexander, der immer noch vor mir steht. „Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.“
„Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen? Auch wenn es nur in der Kantine von diesem Krankenhaus ist?“
Ich fühle mich geschmeichelt, von diesem bezaubernden Mann zum Essen eingeladen zu werden. Aber was ist mit der Frau, die im Café auf ihn wartet?“
„Ich würde Ihre Einladung gerne annehmen, wenn nicht schon eine Frau im Café auf Sie warten würde. Machen Sie es gut, Alexander.“
Er zieht seine Stirn in Falten und überlegt angestrengt, was ich wohl damit gemeint haben könnte. Ich stehe schon im Fahrstuhl und die Türen schliessen sich langsam, als er zu verstehen glaubt.
„Sie ist nicht meine Freundin oder Frau, wenn Sie das denken.“
Ich trete auf den siebten Stock hinaus. Warum habe ich ihm keine Gelegenheit gegeben, um alles erklären zu können? Vielleicht ist es ja seine Schwester oder Cousine? Wer weiss. Warum bin ich einfach davon ausgegangen, dass es seine Partnerin sein müsse? Umso näher ich meinem Zimmer komme, umso wütender bin ich auf mich selbst. Wiederum habe ich für eine Zeit lang genug von dem männlichen Geschlecht. Zuerst muss ich mit dem umgehen können, was mir Noah angetan hat. Ich habe ihm vertraut und ihn einst geliebt. Nie hätte ich geglaubt, dass er mir so etwas schreckliches, wie vor ein paar Tagen, antun könnte. Wie soll ich je wieder das Vertrauen in einen anderen Mann gewinnen?
„Einen sehr attraktiven Mann haben Sie da kennengelernt.“
„Wie?“
Die etwa fünfzigjährige Krankenschwester, die neben mir hergeht, sieht mich mit einem verschmitzten Lächeln an. „Der Mann von vorhin.“
„Ach so. Ja das ist er.“
„Warum wollen Sie dann die Einladung nicht annehmen?“
Musste diese Schwester alles mit anhören? „Ich bin noch nicht bereit dazu.“ Jetzt ist es die Frau im weissen Kittel, die mich verdutzt ansieht.
„Es geht mich zwar nichts an,...“ Da hat sie verdammt noch mal Recht. „...aber lassen Sie ihn nicht zu lange warten. Es gibt zu viele andere Frauen auf dieser Welt, die diesen Schönling sicherlich auch interessant finden.“
Dann soll doch jemand anderes ihn schnappen. Auch wenn sie es nur gut mit mir meint, gehen mir ihre Ratschläge langsam auf die Nerven. Ich habe momentan weiss Gott genug andere Unannehmlichkeiten zu verdauen, als dass ich mich gleich dem erstbesten Mann an den Hals werfen möchte. Schweigsam gehe ich weiter auf mein Zimmer.
„Frau Berner, wie geht es Ihnen heute?“
„Den Umständen entsprechend.“
Dr. Stevens tritt zu mir und nimmt ein Gerät nach dem Anderen aus seiner Kitteltasche, um mich zu untersuchen. „Soweit ich es äusserlich beurteilen kann, sind sie auf dem besten Weg zur Besserung.“ Er greift nach meiner linken Hand und nimmt die Bandage ab, um sie sorgfältig abzutasten. „Die sieht auch schon ganz gut aus. Ich denke, wir können den Verband weglassen. Wie kommen Sie mit der Krücke zurecht?“
„Mit jedem Spaziergang besser.“
„Es ist nur förderlich, dass Sie sich etwas Bewegung gönnen, aber bitte belasten Sie noch nicht allzu sehr Ihre Beine. Jetzt würde ich gerne noch die gebrochenen Rippen abtasten. Bitte legen Sie sich kurz auf den Rücken.“
Mir wird ganz anders zumute. Nachdem ich weiss, was vorgefallen ist, habe ich plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Was hat der Arzt nun vor? Will er mich berühren? Mein ganzer Körper fängt an zu zittern und ich kann nichts dagegen unternehmen. Hoffentlich bemerkt es Dr. Stevens nicht, wie ich mich anspanne und mich kaum getraue Luft zu holen, während er mein Kopfteil nach unten lässt.
„Entspannen Sie sich. Ich taste nur kurz die verletzten Stellen ab. Sagen Sie mir, wenn es Ihnen wehtut.“
Als ich die Krankenschwester neben meinem Bett bemerke, kann ich mich von meiner inneren Anspannung ein klein wenig befreien.
Er schiebt meinen schwarzen, lockeren Pullover nach oben und begutachtet die blauen Flecken, die auf dem ganzen Körper verteilt, zu sehen sind. Am liebsten würde ich laut herausschreien, er solle seine Finger von mir lassen, als er sie behutsam auf meine Haut legt.
„Autsch!“ Verdammt, tut das weh.
„Entschuldigung.“ Dr. Stevens schiebt mein Oberteil wieder nach unten und sieht mich mit einem überaus bemitleidendem Blick an. „So wie es scheint, braucht die Heilung einiges länger, als ich erwartet habe.“
„Und was soll das jetzt bedeuten?“
„Sie müssen noch mindestens drei Tage hier bleiben.“
Oh nein. Nicht auch das noch. Ich möchte in meine eigenen vier Wände zurück.
„Aber ich kann doch zu Hause genauso gut in meinem Bett liegen, wie hier.“
„Wohnen Sie mit jemandem zusammen?“
„Nein.“ Meine Stimme fängt leicht an zu beben. Wieder muss ich gegen die Tränen ankämpfen. Ich hatte einen Freund, der mich misshandelt hat und von dem ich schwanger war. Jetzt, jetzt bin ich ganz alleine.
„Hier ist rund um die Uhr jemand für Sie da. Machen Sie einen kleinen Spaziergang in unserem Park. Oder gehen Sie ins Café und bestimmt kommt Ihre Verwandtschaft Sie besuchen. Sie werden sehen, die Zeit hier vergeht ganz schnell.“
„Bei diesem scheusslichen Regen und mit der Krücke habe ich keine Lust hinauszugehen.“
„Die Sonne wird sich morgen wieder von ihrer schönsten Seite zeigen. Wie sieht es mit ihren Erinnerungen aus? War Frau Christensen schon bei Ihnen?“
Mein Herz setzt einen kurzen Moment aus. Was soll ich ihm bloss erzählen? Ich starre auf meine Beine, die in eine lockere Trainerhose gekleidet sind. Die Wahrheit?
„Sie war gestern hier und kommt morgen wieder, um ein paar Gedächtnisübungen zu machen.“ Wenigstens musste ich ihn so nicht belügen. Aber kann ich Dr. Christensen etwas vorspielen?
„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg morgen. Ich werde am Donnerstag wieder nach Ihnen sehen.“
Der Arzt verabschiedet sich von mir und verschwindet im Flur.
„Ich bringe Ihnen in wenigen Minuten das Mittagessen. Brauchen Sie noch irgendwas?“ Vor Schreck entflieht mir beinahe ein Schrei. Obwohl ich sie die ganze Zeit gesehen habe, habe ich ihre Anwesenheit vollständig verdrängt.
„Danke, nein.“
„Sie sehen bedrückt aus? Die paar Tage, die Sie hier verbringen müssen, gehen schnell vorüber. Sie werden schon sehen. Und Frau Christensen ist wahrhaftig eine Spezialistin auf ihrem Gebiet. Sie kann Ihnen bestimmt Erinnerungen von Ihrem Unfall hervorlocken.“
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