Lakencourt sah von weitem diesen Zettel am Baum und ließ den Leo dort anhalten. Einer seiner Schergen holte das Blatt und überreichte es ihm. Er wurde rasend, stieß den Überbringer vom Panzer, obwohl dieser völlig unschuldig war! Krachend viel er in eine Brennnesselhecke, schrie laut auf und blieb liegen. Es musste ihm sicher einige Rippen gebrochen haben.
Lakencourt brüllte wie ein Löwe: „Wenn ich den erwische! Zwergenaufstand in meinem Revier! Ich werde sie alle zermalmen! Gebt mir etwas zu trinken!“ Schon holte ein anderer seiner Lakaien eine Flasche Rum und übergab sie demütig. Der Boss nahm die Flasche und stieß auch diesen vom Turm zu den Brennnesseln. Dann setzte er die Flasche an, um seinen Jähzorn zu besänftigen. Er trank sie in wenigen Zügen vollständig aus und warf sie ins hohe Gebüsch. Dort schrie plötzlich jemand auf; offensichtlich hatte die Flasche wohl einen der beiden Lakaien an den Kopf getroffen, obwohl man niemand in dem Gebüsch ausmachen konnte.
„Weiterfahren!“ brüllte er dann. Aber es passierte nichts. „Warum geht es nicht weiter?“ Seine Stimme schwoll immer mehr an. Dann krabbelte einer aus der Panzerturmluke. Er hatte einen Stahlhelm auf und versuchte sich mit seinen Armen vor einem vermeintlichen Angriff des Chefs zu wehren, wobei er großen Abstand hielt! Mit dünner Stimme teilte er mit: „Die beiden Fahrer liegen da unten in den Brennnesseln! Sie sind die Einzigen, die das Gefährt steuern können!“
Lakencourt fluchte und suchte ein Wurfgeschoss in seiner Reichweite, fand aber nichts.
„Scheißladen!“
Dieser, sein Schrei, war sicher bis auf der Zugspitze zu hören. Dann stand er auf, hangelte sich um den Geschützturm, um in die Luke hinab zusteigen. Sein Lakai mit dem Stahlhelm und der dünnen Stimme war inzwischen von dem Turm gesprungen und rannte durch die Brennnesseln davon.
Daraufhin hörte man den Porsche-Motor aufjaulen und der Panzer fuhr ruckartig rückwärts und legte den schönen Gewürzluiken-Baum um.
Eine Schneise der Verwüstung, genau so breit wie ein Leopard II, war von Seeshaupt bis nach Wolfratshausen zu sehen.
Offensichtlich hatte der Warlord für heute die Nase voll!
Anitra versucht Bilder in Schwabing zu verkaufen
Am Elisabethplatz, Mitten in Schwabing gab es einen privaten Kunstmarkt. Dorthin machte sie sich ab und zu auf, um Bilder von Marcsi und Wassy zu verkaufen. Das Geschäft mit Kunst war alles andere als boomend. Wer hatte schon übrige Kompensationseinheiten in Zeiten, wo das nackte Überleben im Vordergrund stand.
Sie wollte auch etwas beitragen und deshalb machte sie sich auf die mühsame Reise, die jedoch jetzt etwas einfacher war, nachdem die Gleise der Werdenfelsbahn wieder repariert werden konnten und selten, aber immerhin überhaupt, eine Bahn in die bayerische Hauptstadt fuhr.
Sie war nie ohne ihr Rad unterwegs, es sei denn sie ritt mit Ajax aus. Ihr altes schwarzes Herrenfahrrad. Mayr hatte es ihr für viele Kompensationseinheiten verkauft. Das Rad als Zeichen der Unabhängigkeit der Frau. Schon deswegen hatte sie es immer bei ihr. Diesmal hatte sie auch einen kleinen Anhänger angeklickt auf dem Klappstuhl und -tisch sowie einige eingepackte Bilder mit Stricken fest gesurrt waren.
Am Starnberger Kopfbahnhof spannte sie den Anhänger hinter das Rad und trat in die Pedale.
Am Elisabethplatz angekommen, baute sie ihren Stand auf. Heute war sie irgendwie etwas lethargisch und strotzte nicht gerade vor Energie. Dennoch war sie immer auf der Hut und horchte, ob nicht ein besonders dröhnendes Motorengeräusch zu hören war. Alle, die dort verkauften hatten Angst, der Warlord würde auftauchen, um sie zu Abgaben zu zwingen. Was noch die harmloseste Formulierung darstellt. Es gab ausreichend Berichte über die Foltermethoden, wenn diejenigen, die Umsätze erzielten nicht von sich aus kamen, um ihre Abgaben ordnungsgemäß 'anzumelden'.
Sie packte die Bilder aus und war innerlich schon wieder erbost: Städteansichten von Moskau nicht von München. Bilder aus denen die klirrende Kälte des russischen Winters heraus sprang, keine gelben oberbayerischen Löwenzahnwiesen vor dem Hintergrund der weit entfernten lieblichen Alpen und blauem Himmel. Dieses Idyll pur, ja das hätte sie vielleicht in Schwabing verkaufen können.
„Ich habe es dem Wassy schon so oft gesagt!“ murmelte sie vor sich hin. „Aber er hört nicht auf mich! Er will immer nur sich selbst verwirklichen! Aber wir müssen auch von etwas leben. Er dagegen redet vom Ursprung seiner künstlerischen Bestrebungen, seiner malerischen Stimmgabel. Moskau, er habe nie etwas anderes gemalt. Abschiedsszene im Winter im Hintergrund der Kreml. Das soll Frau verstehen!“
Widerwillig packte sie das Bild aus und drapierte es so, das es einigermaßen in gutem Licht stand.
Beim nächsten sagte sie laut zu sich: „Schon wieder schwarz! Immer malt er alles in Schwarz!“ dann etwas leiser: „Kein Wunder fährt er auf meiner schwarzen Reizwäsche immer so ab! So ein verrückter Kerl! Aber wie liebe ich ihn doch!“ Sie lächelte still in sich hinein, verspürte ein bekanntes Ziehen entlang ihrem ‚Y‘, erschrak aber ganz plötzlich und schaute sich ängstlich um, ob ihr jemand hatte zu hören können. Beruhigt, dass sie niemand in ihrer unmittelbaren Nähe war, baute sie ihren Stand weiter auf.
Heute waren fast keine Interessenten zugegen. Sie wartete, unterhielt sich mit andern Marktweibern und fiel mit ihnen in eine großes Sammellamento ein, wie schlecht die Konjunktur und der Markt im Speziellen sei. „Ja früher, als wir noch auf dem Viktualienmarkt waren... das waren noch Zeiten! Da hatten wir immer Kunden und Umsätze! Diese verdammte Katastrophe!“ klagten vor allem die ältesten zahnlosen Weiber.
Vielleicht war ein abnehmender Mond wie gerade heute eine schlechte Phase für gute Stimmung und somit auch Umsatz. Dagegen bedeutet zunehmender Mond meistens das Gegenteil.
Immer wenn sie erfolgreich war, ging sie ins Ali Baba, ein türkisches Restaurant, in der Schillerstraße gleich neben dem Hauptbahnhof. Stolz prangt ein rundes Schild mit dem Hinweis 'seit 1970'. Das war in der Tat eine lange Zeit und weiß der Teufel, wie die Besitzer es angestellt hatten, auch nach der Katastrophe war das Restaurant wieder offen und bot einfache gute türkische Gerichte zu kleinen Preisen an. Nicht nur die überlebenden Migranten aus dem islamisch arabischen Umfeld kamen hier her, nein auch bayrische Rentner, die sich hier eine Mahlzeiten gönnten, weil sie zu faul waren, selbst zu kochen.
Aber heute hatte sie wohl keine Einnahmen, um sich diesen Luxus zu gönnen.
Noch war der Markt in Schwabing 'unbeschützt' d.h. ein Warlord war noch nicht aufgetaucht, um seinen Obolus einzutreiben. Schwabing lag günstig, das sich hier mehrere Reviere trafen. Der Warlord von Freising war im Norden zuständig, der von Rosenheim im Osten und Lakencourt im Süden. Da wollte keiner eine klare Linie markieren, um die anderen nicht zu provozieren. Das wusste natürlich niemand außer den Dreien selbst.
In der Stadt hingegen hatte sich niemand etablieren können. Vielleicht war die Verstrahlung und die Zerstörung zu groß? Vielleicht waren die Straßen nicht ausreichend breit, um mit einem Leopard II Angst einflößend und herrschaftlich aufzutreten?
Dennoch hörte Anitra plötzlich ein lautes Motorengeräusch. Es kam näher und näher, wurde lauter und lauter. Plötzlich klang es, als ob es an der nächsten Straßenecke auftauchen sollte. Kam es aus Richtung Westen über die Schwere Reiter Straße? Sie ließ alle Bilder liegen und Stehen, nahm nur ihr Fahrrad und Anhänger. In panischer Angst radelte sie in die entgegengesetzte Richtung, aus der der Motorenlärm kam.
Plötzlich Musik: Wagners Walkürenritt! Spätestens jetzt flohen alle anderen Marktweiber. Einigen hatten nur noch Zeit, sich in die nächste Hausruine zu flüchten und suchten im Dunkel der Ruinen Schutz.
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