Ich betrachte abermals die trübe Flüssigkeit, das im Becher, den ich in meiner Hand halte, schwimmt. Dabei denke ich mir, dass es kaum schlimmer werden kann und schlucke das eigenartige Getränk schnell hinunter.
Tatsächlich geht es mir schon nach wenige Minuten besser, nachdem ich das scheussliche Gebräu runtergewürgt habe. Konzentriert erledige ich meine Arbeiten, die ich erst am Mittag durch eine Pause unterbreche, nach jener ich nun wieder voller Elan ans Werk gehe.
Noch bevor ich in meinem Büro bin, kann ich ihn riechen. Sein Duft schwebt unverkennbar in der Luft und verstärkt sich noch mehr, als ich an meinen Schreibtisch trete. Mein Herz fängt schneller an zu schlagen, während mir nur ein Gedanke durch den Kopf rast. Damian war hier. Hier an meinem Platz.
Seit dem gestrigen Vorfall habe ich ihn weder gesehen noch gehört. Und das war gut so. Doch jetzt, wo ich sein Aftershave schmecke, sehne ich mich mehr denn je nach ihm. Ich wünsche mich in seine Arme. Ich möchte seine weichen Lippen auf meinem Mund spüren. Ein jämmerlicher Laut dringt aus meiner Kehle, als ich meine müden Auge reibe und meine Wünsche schnell versuche zu verdrängen.
Was wollte er hier? Möchte er mich vielleicht auch noch auf meine Unfähigkeit ansprechen, wie es Baker getan hat? Wenn das der Grund ist, warum er sich hier aufhielt, dann kann ich nur froh sein, dass ich ihm nicht begegnet bin.
Als Erstes prüfe ich meine E-Mails, nachdem ich den Computer entsperrt habe, was ich immer tue, wenn ich meinen Arbeitsplatz verlasse. Bei der Vierten erstarren meine Finger auf der Maus, nachdem ich den Namen des Absenders gelesen habe. Ich lese ihn ein zweites und ein drittes Mal, bis ich die Nachricht schliesslich mit zittrigen Händen öffne.
Keine Anrede, kein Gruss. Nur ein einzelner Satz, der wie ein Eindringling mitten auf meinem Bildschirm steht.
Ich erwarte dich in meinem Büro. Sofort!
Ein Blick auf die Uhr bedeutet mir, dass er die Mail vor nicht einmal fünf Minuten gesendet hatte und in der Zeit in der ich mir den Kopf darüber zermartere, warum er mich zu sich bestellt, kommt Mira an ihren Platz zurück.
„Da bist du ja. Unser Boss von oben hat dich gesucht.“
„Was wollte er?“ frage ich sie, wobei ich besonders darauf achte, dass sie das Zittern in meiner Stimme nicht hört.
„Das hat er mir nicht gesagt. Aber er wollte wissen, wo du bist.“
„Was hast du ihm geantwortet?“
„Du wärst in der Pause.“
„Okay. Ich bin dann mal oben.“
Als ich mich aus meinem Stuhl erhebe, um mich auf den Weg in die sechsundvierzigste Etage zu machen, entgeht mir ihr besorgter Blick nicht, wodurch ich noch unruhiger werde.
Kaum habe ich auf den Knopf gedrückt, um den Fahrstuhl zu rufen, öffnen sich schon die Türen. Ich steige in den rechteckigen, engen Raum und klammere mich an dem kühlen Handgriff fest, während mich der Aufzug viel zu schnell nach oben bringt.
Rose lächelt mir wie immer aufmunternd zu. Dafür bin ich ihr überaus dankbar. Denn genau diese kleine Ablenkung kann ich jetzt gut gebrauchen, weil sie die Fähigkeit besitzt etwas von meiner inneren Anspannung aufzulösen. „Du kannst gleich weitergehen. Damian erwartet dich schon.“
Ich nähere mich der verschlossenen Tür und bevor ich zaghaft anklopfe, hole ich mehrmals tief Atem.
„Ja, bitte.“ ertönt seine tiefe Stimme.
„Du wolltest mich sprechen?“ frage ich ihn, nachdem ich eingetreten bin.
„Schliess die Tür.“ Er klingt wütend und ich überlege mir, was ich verbrochen haben könnte.
Ich verriegle den Eingang und wende mich wieder Damian zu, der noch immer aus dem Fenster sieht. Ich betrachte seinen wohlproportionierten Körper, der sich unter seinem massgeschneiderten Anzug abzeichnet. Das Verlangen ihn zu berühren, mit meinen Händen über seine Muskeln zu streifen, überkommt mich derart unvorbereitet, dass ich laut hörbar die Luft einziehe.
Wie auf ein Zeichen dreht er sich zu mir um, die Hände in den Hosentaschen vergraben, sieht er mich mit seinen wunderschönen braunen Augen an, was meinen Wunsch von ihm besessen zu werden nur noch mehr anstachelt. Der Zwang zu ihm zu gehen und mir einfach das zu nehmen, was ich mir wünsche, ist beinahe so gross, wie die Angst von ihm zurückgestossen zu werden. Was er mit Sicherheit auch tun würde. Ich habe gesehen, welcher Typ Frau seinem Geschmack entspricht. Und in diese Sorte passe ich leider nicht. Das hat er mir nur zu deutlich klargemacht. Ich bin seine Mitarbeiterin. Weiter nichts.
Abwartend bleibe ich stehen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich in schnellen Bewegungen, während ich darauf warte, bis er mir endlich den Grund verrät, warum er mich in sein Büro gerufen hat.
Es macht mich nervös, wie er mich fixiert. Wie er seinen Blick in meinem versenkt. Sein Gesicht hat einen harten Zug angenommen und seine Augen blitzen mich gefährlich an, als er ein paar Schritte auf mich zumacht.
„Hast du dich gut amüsiert?“ Er spuckt die Worte regelrecht heraus.
„Amüsiert?“ Ich verstehe nicht, was er damit meint.
„Ist wohl spät geworden. Dabei ist anscheinend auch genügend Alkohol geflossen. War der Abend nach dem letzten Pubbesuch fertig oder ging die Feier bei dir zu Hause weiter? Vermutlich hattest du noch eine Privatparty in deinem Bett, nicht wahr?“
Ich öffne meinen Mund, um ihm zu antworten. Aber meine Erwiderung auf seine Anschuldigung bleibt mir im Mund stecken. Angewidert, über das was er mir vorwirft, entferne ich mich einen Schritt von ihm weg. Doch zu meinem Entsetzen folgt er mir und kommt mir sogar noch näher. Ich sehe in seine Augen, die beinahe schwarz sind und die mich von Kopf bis Fuss mustern.
„Was geht dich das an, was ich gemacht habe?“ Ich spüre wie sich ein heftiger Zorn und gleichzeitig eine heillose Verzweiflung in mir ausbreiten. „Was ich in meiner Freizeit mache und mit wem ich meine freien Stunden verbringe, hat dich nicht zu interessieren. Schliesslich frage ich dich auch nicht, wie du deinen Tag mit der Blondine beendet hast. Wie hiess sie nochmals? Ach ja, Susanne.“ Dabei tippe ich mir mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Susanne, die extra aus der Schweiz angereist ist.“
„Halt deinen Mund. Sie ist nur eine Bekannte.“ Seine Stimme ist beängstigend leise. Er hält seine Hände nicht mehr in den Taschen, sondern sind nun an der Seite zu Fäusten geballt.
„Du brauchst es mir nicht zu erklären. Es geht mich nämlich nichts an!“ schreie ich.
„Wen hast du gestern mit nach Hause genommen?“ presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und macht dabei einen Schritt auf mich zu.
„Woher weisst du, was ich letzten Abend gemacht habe?“
„Das ist unwichtig.“ Er bewegt sich weiter auf mich zu. Soweit, bis uns nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen. „Was wichtig ist, wer hat letzte Nacht dein Bett mit dir geteilt?“
„Bist du mir gefolgt?“ Ich lache selbst über meine Frage. „Ach, wie kann ich nur annehmen, ich könnte dir so wichtig sein. Du hattest ja einen überaus attraktiven Gast.“ Ich sehe ihm direkt in die Augen und plötzlich beschleicht mich eine alte Angst. Mein Körper fängt an zu zittern. Panik macht mir das Atmen schwer. „Hast du mir nachspioniert? Oder mein Smartphone geortet?“ Meine Stimme ist kaum hörbar, dennoch kann er jedes Wort genauestens verstehen.
„Ich habe einen Bodyguard damit beauftragt, dich zu beschützen.“ beschämt sieht er weg.
„Beschützen? Vor wem?“
„Das wüsste ich auch gern. Ich erkenne die Panikattacken, die dich immer wieder überfallen. Dann bist du nur noch ein Schatten deiner Selbst.“
„Warum fragst du mich, ob ich letzte Nacht mit jemandem geschlafen habe, da du die Antwort schon längstens weisst?“ Meine Stimme bricht und sehe zu Boden. Mühsam dränge ich die aufkommenden Tränen zurück.
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