„Zeit wofür?“ Ich hebe meinen Kopf und sehe in die grauen Augen der älteren Frau, die mir zärtlich zulächelt.
„Damit er mit seinem ganzen Herzen für dich frei sein kann.“
„Warum sagst du das?“
„Ich kenne ihn gut genug, um zu sehen, dass er genauso durcheinander ist wie du.“
Tränen rollen über meine Wangen. Tränen die ich nicht mehr aufhalten konnte und noch bevor ich sie abwischen kann, ertönt ein Gong, der die Ankunft des Fahrstuhls anmeldet.
Eine äusserst attraktive, junge Frau mit blonden Haaren, die zu einem kurzen Bob geschnitten sind, tritt in den Empfangsbereich und begrüsst Rose, dann mich mit einem Akzent, der mich an meinen eigenen erinnert.
„Hallo Susanne.“ begrüsst Rose sie. „Damian wird gleich bei dir sein. Ich werde ihn sofort über dein Erscheinen informieren.“
„Gut. Ich werde einfach so lange warten.“ Sie setzt sich auf einen der grossen, weichen Sessel auf denen ich erst vor wenigen Wochen auf Damian gewartet habe und nimmt sich ein Magazin zur Hand.
Ich nehme nur am äussersten Rand wahr, wie Rose die Besucherin bei Damian anmeldet. Viel zu sehr werde ich durch das Aussehen dieser Frau in den Bann gezogen. Etliche Fragen huschen durch meinen Kopf, während ich ihre manikürten Fingernägel, ihr dezent geschminktes Gesicht und ihre wohlgeformte Figur betrachte.
Ein heftiger Schmerz durchzuckt mein Herz, als ich seine kraftvolle Stimme höre. Wie gefühlvoll er sie anspricht und zärtlich anlächelt. Sie, nicht mich. Mich hat er nicht einmal zur Kenntnis genommen.
„Hallo Susanne.“ Er geht auf die Frau zu, die im Vorraum wartet und die er auf Schweizerdeutsch anspricht. Dicht vor ihr bleibt er stehen, bevor er sie fest in die Arme nimmt und einen Moment, der sich mir anfühlt wie eine Ewigkeit, umschlungen hält.
„Überrascht?“
„Nein. Ich habe dich nur nicht so früh erwartet. Schön dich zu sehen. Wie war dein Flug?“
„Hätte nicht besser sein können. Danke, dass du mir deinen Jet zur Verfügung gestellt hast.“ Dabei streicht sie sanft über seine Arme.
Ich kann den Blick einfach nicht von ihnen lösen. Von jenen beiden, die so vertraut und selbstverständlich miteinander umgehen, dass es keinen Zweifel gibt, dass sie sich schon seit langer Zeit kennen.
Die Tränen die ich eben noch angestrengt zurückgedrängt habe, stehen schon wieder in meinen Augen. Ich drehe mich niedergeschlagen um, um den Anblick, den sie mir bieten nicht mehr mitansehen zu müssen.
„Haben Sie nichts zu tun?“ Damian reisst mich aus meiner Starre und ich zucke augenblicklich unter seinem herrischen Tonfall zusammen. Ich blinzle schnell die Tränen weg, die noch immer verräterisch in meinen Augen stehen und drehe mich zu ihm um. Sein schonungsloser Blick ist geradewegs auf mich gerichtet. Sein Mund ist zu einem schmalen Strich gezogen, während sein Gast triumphierend lächelt.
Verlegen stottere ich herum: „Äh, i...ich habe nur eine kurze Pause gemacht.“ Meine Augen huschen von Damian zu seiner Blondine, weiter zu Rose, die mich mitfühlend betrachtet.
Er wirft einen Blick auf seine Rolex. „Die ist bestimmt schon längstens vorbei.“
„Ja.“ antworte ich kurz.
„Rose bringst du uns bitte einen Kaffee?“ Er legt seine Hand auf den Rücken seiner Besucherin, führt sie sanft in sein Büro und schliesst die Tür hinter ihnen.
„Ich werde dann mal wieder an die Arbeit gehen.“
„Es tut mir leid.“
„Dir braucht gar nichts leid zu tun. So ist es nun mal, oder? Schliesslich ist er ein sympathischer, verführerischer junger Mann, der weiss, wie er mit seinem Charme die Frauenwelt erobern kann. Er hat Geld, Macht und kann alles bekommen, was er will.“
„So ist er nicht.“
„Nein?“ frage ich sie mit hochgezogenen Brauen und steige in den Aufzug ohne mir ihren Einwand anzuhören.
In meiner Mittagspause war ich solange durch die belebten Londoner Strassen marschiert, wie mich meine Füsse auf meinen hochhackigen Stiefeln tragen konnten. Die kalte Luft brannte schmerzhaft in meiner Lunge. Aber diese Folter hiess ich herzlich willkommen, sowie die stechenden Füsse nach meinem langen Marsch. Es lenkte mich von meinen niederschmetternden Gedanken und Gefühlen ab, die in meinem Herzen wüteten, seit ich die oberste Etage von Meyer Enterprises verlassen habe.
Als ich dann wieder an meinem Arbeitsplatz sass, war ich selbst überrascht, wie gut sich meine Psyche von den Erniedrigungen, die ich heute Morgen über mich ergehen lassen musste, erholt hatte. Ich konzentrierte mich völlig auf meine Aufgaben und kam erstaunlich gut voran. Erst als das Tageslicht schon längst der Dunkelheit gewichen ist, fuhr ich meinen Computer hinunter, schnappte mir meine Sachen und ging nach unten ins Erdgeschoss. Ich wollte mich gerade auf den Weg zur nächste U-Bahn Station machen, da hörte ich hinter mir, wie jemand meinen Namen rief. Es war Mira mit einer Gruppe Mitarbeiter von Meyer Enterprises, die auf mich zukamen und mich dazu ermunterten, mit ihnen durch die Clubs zu ziehen. Zuerst hatte ich Einwände, doch schliesslich gewannen ihre Überredungskünste. Und ich war froh, dass sie es geschafft haben, mich zu überreden. Es war schon sehr lange her, seit ich mich das letzte Mal amüsiert habe. Also liess ich mich einfach wieder einmal gehen und genoss das Leben.
Jetzt liege ich in meinem Bett und drehe mich um mich selbst. Der Alkohol, den ich in mich gekippt habe, war vielleicht etwas zu viel, was ich morgen auch sicherlich bedauern werde, aber heute war es genau das, was ich brauchte. Für einen ganzen Abend hat mich meine jämmerliche Vergangenheit in Ruhe gelassen. Auch Gedanken an Damian, der bestimmt in den letzten Stunden seinen Gast aus der Schweiz durchgevögelt hat, verbannte ich aus meinem Gehirn. Nur gerade jetzt, wo ich meine Augen schliesse und sich alles um mich herum bewegt, sehe ich ihn ganz genau vor mir, wie er mich heute Morgen vor seinem Büro mit einem kalten Blick ansah und sich sein Gesicht zu einer eisernen Maske verhärtete, während seine Hand auf dem Rücken dieser Susanne lag.
Endlich lasse ich den Tränen freien Lauf, die schon so lange in mir waren. Sie rinnen über meine Wangen und benetzen mein Kissen, das ich eng umschlungen halte, wie eine Ertrinkende auf hoher See. Ich weine leise in das weiche Polster, bis ich schliesslich in einen unruhigen Schlaf falle.
In meinem Kopf pocht es immer noch, auch nachdem ich bereits zwei Tabletten gegen Kopfschmerzen eingenommen habe. Allmählich bereue ich es, gestern so tief ins Glas geschaut zu haben. Ich massiere mit sanften Kreisbewegungen meine Stirn, um den stechenden Schmerz dahinter zu vertreiben, obwohl es nichts nützen wird.
„Hier. Das wird dich auf Touren bringen und deinen Kater im Nu verschwinden lassen.“ Mira streckt mir ein Glas mit einer undurchsichtigen, übelriechenden Flüssigkeit hin.
Angewidert verziehe ich meinen Mund, als ich daran schnuppere. „Was soll ich damit?“
„Nach was sieht es denn aus? Trinken, natürlich.“
„Und du?“
„Mir geht es blendend. Du hattest wohl etwas nachzuholen?“ Wissend lächelt sie mich an. „Du hast ganz schön viel in dich reingekippt. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
„War ich so schlimm?“
„Schlimm? Nein. Wir waren nur etwas überrascht.“
„Wir.“ murmle ich vor mich hin. Wie peinlich habe ich mich wohl benommen? Ich kann mich nur noch vage an den vergangenen Abend erinnern.
„Keine Bange, du hast dich nicht blamiert, wenn du dich das soeben gefragt hast. Und jetzt trink das da.“ Sie zeigt auf das Glas in meiner Hand, während sie an ihren Schreibtisch geht und mich nochmals prüfend ansieht. „Aber gegen deine verschwollenen Augen wirkt das Wundermittel leider nicht.“
Ich war selbst erschrocken über meinen Anblick, als ich heute Morgen in den Spiegel blickte und mein Ebenbild kaum wiedererkannte. Mein Gesicht war ganz rot vom vielen weinen und um die Augen hatte ich schwarze Ringe. Ich verbrachte etliche Minuten im Bad, um mich frisch zu machen und trug dabei so viel Make-up und Schminke auf, dass sich nun mein Gesicht wie eine Maske anfühlt. Doch wenigstens erfüllt das ganze aufpeppen seinen Zweck.
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