1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Ganz am Anfang gab es auch kurze Ausflüge auf ein sehr gefährliches Terrain – die Herstellung von Schwarzpulver. Das Verbrennen einer größeren Menge im elterlichen Küchenherd und deren Wirkung hat mich vor weiteren Experimenten dieser Art bewahrt. Nur noch einmal kam ich auf solche Experimente zurück, als ich eine größere Menge Pikrinsäure erhielt – ich war aber sehr vorsichtig und arbeitete nur mit kleinsten Mengen, z. B. mit dem hochempfindlichen Bleipikrat.
Über die Gefährlichkeit solcher Experimente wurde ich durch meinen Vater vorgewarnt. In seiner Jugend hatte er einmal Nitroglyzerin hergestellt, die Flasche an einen Apfelbaum im elterlichen Garten gehängt und mit dem Luftgewehr heruntergeschossen. Dabei barsten alle Scheiben an der Hinterfront des Hauses.
Höhepunkt im kindlichen Streben nach mineralogischen Entdeckungen war im September 1955 der Fund einer großen Pegmatitschliere mit viel schwarzem Turmalin in einem kleinen, aufgelassenen und verwachsenen Steinbruch auf Hebolds Kuppe zwischen Oppach und Neusalza-Spremberg zusammen mit den Klassenkameraden Hartmut Michold und Jochen Domschke. In diese Zeit fällt auch die einzige Begegnung mit Willi Hennig auf einer Waldlichtung in der Nähe des Turmalinschurfes. Er erzählte uns (wahrscheinlich zusammen mit Walter Fiebig) begeistert über seine biologische Arbeit. Seine Art war extrem freundlich, wohlwollend, einfühlsam und auch irgendwie ansteckend. Die kurze Begegnung ist in mir tief verankert als sonniges Plätzchen in der Erinnerung geblieben.
Ende Mai 1957 fand ich beim Baden in einem kleinen abgesoffenen Steinbruch unweit von unserem Turmalinschurf einen steil stehenden, ostwest-streichenden Aplit-Gang im Granodiorit. In drusenartigen Hohlräumen dieses Aplits befanden sich großblättrige Eisenglanzkristalle und einige nahezu farblose kleine Quarzkristall-Doppelender, sogenannte Schwimmer. In diese Zeit fallen auch die ersten zaghaften analytischen Untersuchungen: Bestimmung von Eisen mittels der Berliner Blau- und der Rhodanid-Reaktion, sowie der Nachweis von Nickel im Pentlandit von Sohland an der Spree als feuerrotes Nickeldimethylglyoxim. Dieses Wort hat sich bis heute fest eingeprägt. Lange Zeit konnte ich auch die Strukturformel dieser Komplexverbindung aus dem Schlaf aufzeichnen. Auch das schon länger praktizierte Mikroskopieren wurde vom botanischen auf das anorganische Reich ausgedehnt. Die ersten Präparate waren dünne Spaltstücke von Eisenglanz (Hämatit), die unter dem kleinen Kosmos-Mikroskop durch ihre blutrote Farbe und die orientiert angeordneten feinen nadelförmigen Ausscheidungen faszinierten.
Im Sommer 1956 lernte ich in einem Ferienlager in Stalinstadt, dem jetzigen Eisenhüttenstadt, Rolf Reinicke aus Lauba kennen. Er war auch ein begeisterter Sammler von Mineralen und Fossilien. Bis zum Ende der Grundschulzeit haben wir uns dann häufig getroffen. Sein Interesse galt hauptsächlich den Fossilien. Nicht weit von seinem Elternhaus gab es eine Sandgrube mit reichlich vorkommenden Silur-Geschieben aus dem Raum um Gotland mit einem beachtlichen Fossilinhalt. Er hatte aber auch ein paar schöne Beryll- und Topaskristalle unbekannter Herkunft und einige Rauchquarzstufen aus den Königshainer Bergen. In der Nähe des alten Sportplatzes hinter der ehemaligen Gaststätte „Hamburger Hof“ in Lauba verläuft ein Quarzgang mit zum Teil schönen großen Kristallen, die auch in viele Hausgärten des Ortes gelangten. Im Sommer 1957 oder 1958 haben wir am Rande des Sportplatzes eine große Platte mit vielen Quarzkristallen geborgen. Sie war sehr groß und nicht für die eigene Sammlung geeignet. Rolf Reinicke hat diese Platte dem Heimatmuseum in Löbau geschenkt. Sie liegt noch heute dort, etwas unglücklich, im Treppenbereich.
Unsere Wege trennten sich am Ende der Schulzeit. Nach dem Abitur studierte er Geologie in Greifswald und war später 28 Jahre als Wissenschaftler im Stralsunder Meeresmuseum tätig und beschäftigte sich über 40 Jahre mit Bernstein, organisierte viele Bernstein-Ausstellungen, ist Landschaftsfotograf und Autor zahlreicher Bild-Text-Bände über Bernstein und die Ostseeküste.
Einen nachhaltigen Eindruck für meine persönliche Entwicklung hinterließ Ende Juli 1957 ein Besuch der mineralogischen Sammlung in der Brennhausgasse in Freiberg mit Hans-Jürgen Seifert. Stunden verbrachten wir in der Sammlung – wir wurden sogar eingeschlossen. Erst am späten Nachmittag bemerkte man uns. Wir hatten das gar nicht realisiert. Die nächtliche Rückfahrt per Fahrrad mit schweren Rucksäcken, gefüllt mit Material von den Halden der Alten Elisabeth und vom David-Schacht, gestaltete sich mehr als abenteuerlich. Auch eine erste Pyknit-Probe habe ich von dieser Tour mitgebracht. Erst am frühen Morgen des nächsten Tages erreichten wir, völlig erschöpft, die elterlichen Wohnungen nach einer über 150 km langen Tour von der Jugendherberge in Geising über Altenberg, Rehefeld, entlang der Mulde mit einem Zwischenstopp in Freiberg, über Dresden und Bischofswerda. Fahrradfahren hatte ich gerade ein paar Monate vorher gelernt.
Mit dem Frühjahr 1957 begannen dann auch regelmäßige Radtouren in die Königshainer Berge zu den dortigen Pegmatiten. Der mineralogisch ergiebigste Steinbruch war damals der von Hilbersdorf. Schriftgranitische Verwachsungen und Stücke blaugrünen Amazonits mit kleinen, aufgesetzten, fast schwarzen Rauchquarzkristallen zogen mich in ihren Bann. Wie ist so etwas entstanden? Eine vorläufige Antwort gab uns Fersmann in seiner „Verständlichen Mineralogie“. Wir besuchten diesen Bruch und die Nachbarsteinbrüche bis 1958 mehrmals. Sogar am 31. Dezember 1957 waren wir, trotz schneeglatter Straße, mit dem Fahrrad dort. Von dieser Sammelfahrt habe ich eine große Pegmatitstufe mitgebracht. Diese steht nun, nach Umwegen über einen Sammler aus Karl-Marx-Stadt (jetzt wieder Chemnitz), in der Sammlung des geologischen Institutes in Freiberg im Humboldt-Bau, wo sie mindestens bis Ende des Studiums dort zu sehen war. Auf der Suche nach dem Namen des Sammlers aus Chemnitz im Jahre 2016 und 2017 musste ich feststellen, dass diese Stufe wahrscheinlich im Fundus untergetaucht ist.
Durch meine einseitige Fixierung auf die naturwissenschaftlichen Fächer war ich in Chemie meinen Mitschülern weit voraus. Im Abschlusszeugnis der Grundschule steht: Seine besondere Vorliebe galt dem Fach Chemie. Meine Leistungen in den humanistischen Fächern blieben dagegen etwas bescheidener. Nach der Grundschulzeit ging es erst einmal auf die Geschwister-Scholl-Oberschule Löbau, zusammen mit den Schulfreunden Christian Hermann und Dieter Michalk. Aber ich fühlte mich dort überhaupt nicht wohl. Nur mit Biologie und Chemie konnte ich mich etwas anfreunden. Beim Mikroskopieren haben wir auch meine mitgebrachten Blattreste aus Seifhennersdorf untersucht. Das Eingehen auf solche Belanglosigkeiten festigte die Beziehung zum Lehrer.
Im zeitigen Frühjahr 1958 sah ich eine Annonce in der Zeitung, nach der Berglehrlinge für den Steinkohlenbergbau in Zwickau gesucht wurden. Irgendwie der Geologie näher zu kommen war ein Strohhalm, der mich vor dem Ertrinken bewahrte. Als Konsequenz habe ich den Oberschulbesuch in Löbau bereits im ersten Jahr abgebrochen. Da mein Vater damals stellvertretender Kreisschulrat war, wurden die eigentlichen Umstände des Abganges durch eine zweimonatige Kur im Kindererholungslager Wieck auf Rügen bewusst oder unbewusst etwas verschleiert – so sehe ich es heute. Aber auch mein Gesundheitszustand war nicht zum Besten bestellt – Asthma und Ekzem hatten Spuren hinterlassen.
Meine damaligen Schulfreunde Christian Hermann und Dieter Michalk haben die Oberschulzeit mit Erfolg absolviert, haben studiert, promoviert und waren recht erfolgreich in ihren Berufen. Dr. Christian Hermann (geb. am 10.10.1942) hatte eine leitende Funktion im Armeemuseum der DDR in Dresden und Dr. med. Dieter Michalk (geb. 11.12.1942) wurde leitender Arzt für Allgemeinmedizin in der psychiatrischen Klinik in Großschweidnitz bei Löbau.
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