Murmelnd folgte ich den Meißelarbeiten. „Hier steht geschrieben, Maatkare, Gerechtigkeit und Lebenskraft, ein Re! Re bedeutet König und Maatkare ist der Name des Königs.“ Ehrfürchtig unterdrückte ich den Impuls die Hieroglyphenschrift zu berühren. Der Gedanke, dass meine Berührung den Zerstörungsprozess dieser Herrlichkeit einleiten würde, war kaum zu ertragen. Aleandros Lichtkegel wanderte weiter. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich mich von der Wand trennen konnte.
„Dort hinten ist ein zugemauerter Durchgang.“ Er deutete mit der Lampe auf das andere Ende der Kammer. „Bisher hat der Professor es noch nicht gewagt diesen zu öffnen. Er vermutet dahinter die Sargkammer mit etlichen tückischen Fallen.“
Mein Blick folgte dem Lichtstrahl. Ein eingemauerter Bogen prangte über der zugemauerten Türe. „Warte mal, nicht so schnell.“, rief ich, als er den Lichtkegel bereits weiterwandern lassen wollte. „Da steht etwas.“
Aleandro führte das Licht zurück. „Ich bin der rechtmäßige Pharao, gezeugt von Amun. Von ihm bestimmt die Doppelkrone des Unteren und des Oberen Reiches zu tragen. Ich, Pharao Maatkare. Oh, mein Gott!“
„Du kannst Hieroglyphen lesen?“ Erstaunt leuchtete Aleandro mir ins Gesicht.
Geblendet kniff ich meine weit aufgerissenen Augen hastig zu und hielt mir eine Hand vor. Ein heller Lichtblitz flammte vor mir auf, als ich die Lider schloss. „Nimm die Lampe runter.“
„Entschuldige.“
„Ich gestehe, dass ich etwas eingerostet bin. Die Hieroglyphen sind trügerisch und schwer zu entziffern. Während meines Studiums habe ich mich mit dieser Schrift befasst, vor allem mit den Königsnamen. Das meiste habe ich schon wieder vergessen. Aber diese Inschrift über der Tür kenne ich in- und auswendig. Es ist nicht zu glauben. Ich habe immer davon geträumt, in einem Pharaonengrab zu stehen.“
„Du bist wunderschön, wenn du träumst.“ Seine sinnierende Stimme war kaum zu hören.
Verblüfft blinzelte ich Aleandro an und versuchte, durch die halbe Dunkelheit hinweg sein Gesicht zu deuten. Möglicherweise hatte mir die Finsternis einen Streich gespielt. Als aber Aleandro seine Hand hob und mir sachte über die Wange strich, erfasste mich tiefe Bestürzung. Mein Herz setzte aus. Langsam wich ich zurück. Beinahe atemlos versuchte ich, die Verwirrung zu unterdrücken.
„Ich bin verheiratet, Aleandro!“
„Ich weiß, der Professor hat es mir gesagt. Kommt nicht wieder vor.“ Mein Begleiter lenkte die Taschenlampe auf die gegenüberliegende Wand von mir und leuchtete in einen Durchgang.
„Dort geht es zum Annex rauf. Möchtest du es dir ansehen?“
„Klar.“ Ich versuchte, meiner Stimme einen alltäglichen Klang zu verleihen. Aleandro leuchtete mir den Weg bis zu den Stufen. Staunend blickte ich in den Tunnel. „Jetzt verstehe ich endlich, was Professor Bachmann meinte. Ein Grab, am Fuße des höchsten Berges des Landes - in den Himmel hinein.“ Ohne nachzudenken, ergriff ich Aleandros dargebotene Hand und ließ mich von ihm die Stufen hinaufführen.
Oben angekommen sah er von mir ab und huschte in eine Ecke. Wenige Sekunden später flammte spärliches Licht auf und hüllte die Nebenkammer in einen dunklen Schein. Regale, Truhen, aufgereihte Körbe und Weinkrüge, Steindosen, sowie ein halbes duzend diverser Gefäße reihten sich ordentlich an den Wänden entlang auf. Mein Grabführer deutete an die Decke.
„Dort kam der Schlangenregen über uns.“
Schaudernd trat ich in die winzige Kammer und beäugte das Loch in der Decke. „Was habt ihr da oben gefunden?“
„Nichts, rein gar nichts. Adam vermutet, dass diese Steinplatte eingepasst wurde, um eventuellen Grabräubern eine Falle zu stellen. Die Höhle ist kaum zwei Quadratmeter groß. Mehrere Löcher und Risse führen durch das Gestein. Er meint, dass die Erbauer dort Schlangen hineingesetzt haben, als der Tote bestattet wurde. Vermutlich erhofften sie sich, dass dieses Kriechgetier einen Weg nach draußen finden und anschließend hier ihr Nest bauen würde. Der Zweck galt den Grabräubern, welche die Platte sicherlich auf der Suche nach Schätzen angehoben hätten. Statt Goldregen wäre ein sogenannter Pharaonenfluch über sie gekommen. Leider kamen wir den Räubern zuvor.“
„Und wäre Justin nicht gewesen, dann wären du, Joseph und Nagib vermutlich tot.“
„Vermutlich.“ Aleandro starrte auf die Öffnung in der Decke. Seufzend zuckte er mit den Schultern.
„Ist das der Grund, warum du ihn nicht leiden kannst?“
Seine Augen richteten sich auf mich. Er wirkte verschlossen. „Ich sollte vielleicht zugeben, dass ich ihm gegenüber voreingenommen bin. Als ich hier eintraf, war Justin nicht hier. Man hat mir von ihm erzählt und es hörte sich nicht gerade sympathisch an. Als er ein paar Tage später auftauchte, begrüßte er mich mit Geringschätzung. Ich bin Brasilianer, Franziska. Während sich andere über so etwas lediglich aufregen, fühle ich mich persönlich beleidigt. Seit ich hier bin, haben wir uns nur über Lebensmittellisten unterhalten. Als er mir das Leben gerettet hatte und ich mich bedanken wollte, hat er nur verächtlich geschnaubt. Er hält nicht viel von mir. In seinen Augen bin ich nur ein verwöhntes Millionärssöhnchen, das ein bisschen Abenteuer sucht.“
Nachdenklich musterte ich Aleandros Gesicht. Es wirkte ungewöhnlich hart und strahlte eine Aggression aus, die ich ihm nie zugetraut hätte.
Nervös biss ich mir auf die Lippen. „Du bist dir absolut sicher, dass Justin für die Diebstähle verantwortlich ist?“
Aleandro rieb sich seufzend übers Gesicht. „Nein, nicht wirklich.“
„Warum unterstellst du es ihm dann?“
„Weil ich mir ansonsten nicht erklären kann, wieso Justin die Mönche mit hineinziehen sollte. Zugegeben, sie sind ruppig und rau, aber nicht kriminell.“
Ich bemerkte, dass Aleandros Stimmung wieder kippte. Aus irgendeinem Grunde war Justin ein rotes Tuch für ihn. Ich wollte nicht riskieren mit dem Brasilianer eine Debatte zu führen, worüber ich noch gar nicht richtig im Bilde war, daher versuchte ich, das Thema zu wechseln. „Woher kannst du so gut Deutsch?“
Aleandro blickte mich etwas irritiert an, überwand jedoch seine Verwirrung. Schulterzuckend ging er auf die Frage ein. „Meine Mutter ist Deutsche.“
Überrascht musterte ich seine Gesichtszüge im matten Lichtschein der Kammer. „Tatsächlich? Du siehst aber nicht sehr deutsch aus.“
„Das liegt daran, dass ich das Aussehen von meinem Vater geerbt habe.“
„Und von wem hast du dein Temperament?“
Plötzlich lächelte mich Aleandro geheimnisvoll an. „Viele denken, dass Temperament vererbt wird. Aber das stimmt nicht. Es hat was mit Erziehung und Selbstbeherrschung zu tun.“
„Glaubst du?“
„Mein Vater gilt als beherrscht, meine Mutter als temperamentvoll. Von ihr habe ich gelernt, dass Gefühle keine Fehler sind und dass es nicht von Schändlichkeit zeugt, sie zu zeigen. Mein Vater bevorzugt Selbstkontrolle und Unnahbarkeit, dies sind die Garanten für seinen Erfolg. Tja, irgendwann kam ich zu dem Entschluss, dass es Mutter leichter hatte, daher nahm ich ihre Philosophie an. Aber um meinen Vater nicht zu enttäuschen, beherrsche ich mich in heiklen Situationen. Dabei übernehme ich, wann immer es nötig ist, für kurze Zeit sein Erfolgsrezept. Eine kunstgerechte Mischung, welcher ich getreu Folge leiste.“
„Seltsam. Eigentlich hätte man meinen können, dein Vater wäre der feurige.“
„Ein weiterer Beweis für meine Theorie.“
Amüsiert ließ ich meinen Blick wieder über die jahrtausendalten Artefakte wandern. „Wurde schon etwas fortgeschafft?“
„Die Sachen in der Vorkammer sind der ägyptischen Behörde übergeben worden. Nur ein paar Schriftrollen sind noch hier. Adam möchte noch Abschriften erstellen. Ansonsten wurden aus dieser Kammer einige Kunstwerke in zuständige Labors geschickt, um das Alter bestimmen zu lassen.“
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