Angriffslustig ballte der Professor seine Hände. „Wer glaubt sonst noch diesen Unsinn?“
Joseph versetzte Aleandro einen hastigen Tritt gegen das Schienbein. Mahnend sah er den Brasilianer an, während er den Akademiker zu beschwichtigen versuchte. „Niemand, Professor. Soweit ich weiß, hat noch keiner aus dem Hauptteam solche Vermutungen geäußert.“
„Mit wem haben Sie diese Theorie sonst noch besprochen, Aleandro?“
„Außer mit Joseph und Adam, mit niemandem! Die ersten beiden Male hatte ich auch keinen Grund so zu denken. Zweimal kann noch angehen, aber ein drittes Mal kommt mir doch äußerst merkwürdig vor.“ Fast schon bockig verschränkte Aleandro die Arme vor der Brust.
„Justin mag ein seltsamer Kauz sein, aber ich glaube nicht, dass er ein Verräter ist, zumal er die Archäologie belächelt.“
„Frage!“ Mutig hob ich meine Hand und musterte den Professor mit großen Augen. Angriffslustig gab mir dieser mit einem Nicken grünes Licht. „Wenn dieser Justin die Altertumskunde verachtet, warum ist er dann hier?“
Stumme Ratlosigkeit breitete sich in dem Zelt aus. Es war ihnen anzusehen, dass noch niemand so recht über diese Frage nachgedacht hatte.
„Weiß nicht, vielleicht wurde er von seiner Redaktion zwangsversetzt.“ Es war Adam, der vorsichtig eine Mutmaßung zu äußern wagte.
„Nein, nein! Soweit mir bekannt ist, arbeitet Justin als freier Journalist.“ Der zaghafte Einwand von Marco führte dazu, dass seine Deckung aufgehoben wurde. Alle Blicke schweiften überlegend zu ihm. Wenn es jemand wusste, dann war es Marco. Sein professioneller Einwand half allerdings nicht weiter, so dass sich wieder Schweigen ausbreitete. Ungläubig musterte ich die Männer. Während Aleandro von einer inneren Wut angetrieben wurde, waren Joseph und Adam äußerst nervös. Der Professor jedoch übte sich in loyaler Ausdruckslosigkeit. Schließlich durchbrachen ein seltsames Knacken und Rauschen die Stille. Fremde, gedämpfte Laute drangen aus einer Funkanlage, welche hinten in den Tiefen des Zeltes auf einer Art Werkbank vollgepackt mit Papieren, Büchern, Werkzeugen und kleinen Funden aus der Grabanlage, stand. Wahrscheinlich waren diese Fundgegenstände eher unbedeutend, da sie so offen herumlagen. Adam eilte zum Funkgerät, um den Ruf zu beantworten. Nach einem kurzem abgehacktem Gespräch, von dem ich kein einziges Wort hatte verstehen können, hängte er auf. Mit bleichem Gesicht drehte er sich zu uns um. „Das war das Krankenhaus.“
Marco trat einen Schritt nach vorne. „Nagib! Ist er ...?“
„... nein, ist er nicht!“
„Was ist passiert?“ Die Stimme des Professors vibrierte vor tiefer Sorge.
Adam hatte sichtlich Mühe zu sprechen. „Nagib ... sie haben ihn!“
„Verdammt, Adam! Was reden Sie denn da?“
„Nagib ist verschwunden. Sie fanden Blutspuren in seinem Bett. Jemand muss ihn aus dem Krankenhaus rausgeschafft haben. Sie haben gefragt, ob er bei uns wäre. Als ich verneinte, faselten sie irgendetwas davon, dass sie die Polizei benachrichtigen müssten. Dann brach die Verbindung ab.“
„Was?“ Aleandro schien entsetzt.
„Die Ordnungshüter werden heute oder morgen bei uns auftauchen, um die Sache zu untersuchen.“
Hilflos starrte ich den Polen an. „Welche Sache?“
Adam war sichtlich erbleicht. Nervös nestelte er an seiner Weste herum. „Ich habe schon gehört, dass so etwas vorkommen soll.“
„Was?“ Ich platzte beinahe bei dem Versuch Adam weder zu packen noch kräftig zu schütteln. Stattdessen bohrte ich die Fingernägel in meine Handflächen. Verzweifelt schaute ich zwischen dem Polen und dem Professor hin und her. Beiden standen Schock und Sorge ins Gesicht geschrieben. „Adam! Was ist denn los?“
Mit großen Augen stierte er mich an und erstickte beinahe an seinem heißeren Geflüster. „Professionelle Grabräuber.“
„Professionelle Grabräuber? Aber ...“ Halb erstickt fiel ich ins Flüstern mit ein, während ich beklommen seinen Blick erwiderte.
Aleandro befreite sich als Erster von der düsteren Stimmung. Voller Zorn richtete er sich auf, ganz so als gälte es in den Angriff überzugehen. „Verflucht! Ich wusste es, ich wusste es die ganze Zeit! Wo ist der verdammte Mistkerl! Ich bringe ihn um!“
„Aleandro! Justin hat damit nichts zu tun!“ Joseph wollte den Brasilianer beschwichtigen, doch dieser ließ es nicht zu.
„Er weiß etwas! Suchen Sie ihn, Professor!“
Der Professor hatte alle Mühe sich zu beherrschen. Seine Hände ballten sich, während sein Kopf eine bedrohliche Rötung annahm. „Ich habe dieses Team ausgewählt, ich habe es zusammengestellt. Es gibt keinen Verräter unter uns!“
„Was ist mit den Hilfsarbeitern?“ Im Gegensatz zu seiner aufgebrachten Stimme klangen meine Worte dünn und verloren.
Dennoch wandte der Professor sich zu mir um. „Die Arbeiter wurden uns von der Behörde für Altertümer vermittelt. Ich glaube kaum, dass sie uns einen Grabräuber untergejubelt haben.“
„Woher nehmen Sie die Gewissheit?“ Keine Ahnung, woher ich den Mut fand meine Bedenken einzuwerfen. „Die Männer melden sich auf die Ausschreibungen, sie werden ausgesucht und als Hilfsarbeiter zu den Ausgrabungsstätten geschickt. Ich glaube nicht, dass die Behörde es merken würde, wenn einer dieser Männer einen kleinen Nebenjob hätte, schließlich wird er diesen Nebenverdienst kaum in seinen Bewerbungsunterlagen erwähnen.“
Adam eilte mir unerwartet zu Hilfe. Seine dunkle Stimme verlieh meinen Worten mehr Gewicht. „Sie hat recht.“
Aleandro zuckte verärgert mit den Schultern, während der Professor mir bestätigend zunickte.
So hatte ich mir meinen ersten Tag an der Ausgrabungsstätte nicht vorgestellt. Ich wollte keine Streitereien und die Aussicht auf skrupellose Grabräuber stimmte mich nicht hoffnungsvoll. Dennoch klang ich seltsamerweise zuversichtlich „Ich bin mir sicher, dass Justin bald auftauchen wird. Er wird uns bestimmt alles erklären. Und bis es so weit ist, würde ich mir gerne die Grabanlage ansehen.“
„Das übernehme ich.“ Joseph schob sich anbietend neben mich.
„Nein.“ Unerwartet heftig ging der Professor dazwischen. „Ich denke, es wäre besser, wenn Aleandro die Führung durch das Grab übernehmen würde.“
Joseph protestierte nicht, aber anhand Aleandros verärgertem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass der Brasilianer sich von seinem Teamchef abgeschoben fühlte. Ich kam zu dem Entschluss, dass der Professor in Ruhe nachdenken wollte und daher darauf abzielte den jungen, hitzigen Mann für eine Weile aus dem Weg zu schaffen. Dieser packte grob meinen Ellbogen und zerrte mich aus dem Zelt.
„Du musst mich nicht führen. Ich kann es mir auch selbst ansehen.“, protestierte ich.
„Der Professor hat gesagt, ich soll dich führen. Also werde ich es auch tun.“
Energisch entriss ich ihm meinen Arm, indem ich einfach stehen blieb. „Ich habe dich als einen netten jungen Mann kennengelernt, Aleandro. Ich wünsche nicht, dass dieses Bild zerstört wird. Wenn du die Anlage nicht zeigen möchtest, dann solltest du gehen.“
Aleandro schloss seine Augen, schüttelte leicht den Kopf und fuhr sich schließlich seufzend durch die Haare. „In Ordnung. Es tut mir leid. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich keinen Wert auf deine Gesellschaft lege. Es ist nur ...“ Er kam ins Stocken.
„Was?“ Ich ließ meinen Blick etwas forsch werden, als Zeichen, dass ich alles was ich nun sagen würde, wirklich ernst meinte. „Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du Justin nicht leiden kannst. Ich möchte gar nicht wissen, warum. Allerdings scheint es dich gekränkt zu haben, dass ich für ihn Partei ergriffen habe. Wenn das so ist, dann tut mir das leid. Aber ich kenne diesen Journalisten doch gar nicht. Ich möchte auch nicht zwischen euch stehen. Alles, was ich mir wünsche, ist ein Teil dieses Teams zu sein, und zwar ohne Angst haben zu müssen, dass die Streitereien überhand nehmen. Heute nicht und auch in Zukunft nicht. Also lass uns jetzt diesen Typen vergessen und etwas Spaß haben, indem du mir dieses Grab zeigst.“
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