Justin Lenhart, 2012 Direktor des dortigen Jim Thorpe Museums , heute als Kurator in der Oklahoma Sports Hall of Fame in Oklahoma City beschäftigt, schimpfte damals: Patricia Thorpe sei nur aufs Geld aus gewesen. Sie habe alle Memorabilien verkauft, die ihr Mann im Laufe seiner Karriere angehäuft hatte. Noch schlimmer: Sie sei unvermittelt während der indianischen Begräbnis-Zeremonie zusammen mit der Polizei aufgetaucht und hätte die Leiche einfach mitgenommen.
Eine solche Räuberpistole passt irgendwie zu einem Lebenslauf, der von hohen Hochs und tiefen Tiefs geprägt war: Zu dem Nackenschlag nach der Heimkehr aus Schweden (Justin Lenhart: „Thorpe weinte oft ganz ungeniert. Und er sagte: Ich verstehe das nicht, warum sie mir meine Medaillen abgenommen haben. Ich habe bei Olympia kein Geld bekommen. Ich habe Geld fürs Baseballspielen erhalten.“), zu seinen triumphalen Auftritten als Footballprofi in den frühen Tagen der National Football League , zu den wirtschaftlich eher mageren Verhältnissen, in denen er leben musste. Und zu der Behandlung als Darsteller von Indianern in billigen Hollywood-Western.
Geld verdiente er anschließend trotzdem – unter anderem als Football-Profi. Und später noch als Komparse in billigen Hollywood-Western, wo er allerdings nur den tumben Indianer mimen durfte. Eine richtige Schauspielerkarriere war ihm nicht vergönnt. Überdies litt er irgendwann an Alkoholproblemen, erlebte Schiffbruch mit zwei Ehen und galt bei seinem Tod nur noch als tragischer Held. Ein Image, gegen das die dritte Ehefrau anzukämpfen versuchte, als sie mit den Stadtvätern in Pennsylvania den Deal einfädelte, ihre Kommune Jim Thorpe zu nennen.
Die Stadt mit ihren 5000 Einwohnern ist heute aus dem Gröbsten heraus. Man hat die viktorianische Architektur in der Hauptstraße, genannt Broadway , erhalten und herausgeputzt und wurde deshalb 2012 in einer amerikaweiten Umfrage zu einem der fünf hübschesten Orte des ganzen Landes gewählt. Es gibt Institutionen wie die Jim Thorpe National Bank und das Jim Thorpe Film Festival . Und jedes dritte Wochenende im Mai eine Feier aus Anlass des Geburtstags des Namensgebers.
Aber die meisten Besucher, die kommen, so gibt Al Zagofsky in einem Gespräch zu, der jahrelange Herausgeber vom Carbon County Magazine und deshalb in der Region bestens vernetzt, „wissen überhaupt nicht, wer Jim Thorpe war, und haben auch gar kein Interesse, die Gedenkstätte zu besuchen“.
Sicher, ein paar Traditionalisten wie jene, die sich um die Gedenkfeiern zu seinem Geburtstag kümmern, wären enttäuscht gewesen, wenn der Namenspatron wieder verschwunden wäre. Auch deshalb, weil der Erwerb der sterblichen Überreste juristisch betrachtet sehr wohl mit rechten Dingen zugegangen war. Was William Schwab als Anwalt der Stadt jedem gerne erklärte, der ihn während der Auseinandersetzung in seinem Büro besuchte. Zumal der Sportler Thorpe kein Testament besaß und deshalb persönlich rein gar nichts verfügt hatte.
Schwab, typisch Jurist, sah in der ganzen Angelegenheit interessanterweise keine Spur von Ironie. Dass der großartigste Sportler Amerikas, der Zeit seines Lebens oft genug herumgeschubst worden war, auch nach seinem Ableben nicht viel mehr als ein Spielball unterschiedlicher Interessen geblieben war, schien eine Laune der Geschichte.
Mehr nicht.
„Es gibt ungefähr elf Nachkommen, die gegen eine Umbettung sind. Sie haben ihren eigenen Anwalt. Wenn die elf gegen die anderen zwei antreten, werden die vielleicht nachgeben. Jim Thorpe war Zeit seines Lebens praktizierender Katholik. Die Kirche sieht es gar nicht gerne, jemanden zu exhumieren.“
Dazu kam es nicht, als ein Berufungsgericht in Philadelphia den Streit endgültig beerdigte.
Zumindest der Ort Jim Thorpe ist seither mit sich im Frieden.
(2015)
Es hat in der Geschichte der Olympischen Spiele nur wenige Fälle gegeben, in denen Athleten eine Medaille wieder zugesprochen wurde, die ihnen zuvor aberkannt wurde. Aus deutscher Sicht ist sogar nur ein Fall aktenkundig: der des Eiskunstlauf-Paares Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler. Die beiden hatten ihre Amateurlaufbahn nach den Olympischen Winterspielen von Innsbruck 1964 beendet, bei der sie die Silbermedaille gewonnen hatten. Später wurde bekannt, dass sie bereits vor der Veranstaltung einen Vertrag über ihren Auftritt in dem Kinofilm Die große Kür unterschrieben hatten. Dies stufte das Internationale Olympische Komitee als Verstoß gegen die damaligen Amateurregeln ein. Nach einigem Hin und Her erklärten sich Kilius und Bäumler 1966 bereit, die Medaille abzutreten. Nach der offiziellen Aufhebung des Amateurstatuts 1987 bekamen sie eine Neuprägung als Geste der Wiedergutmachung. Allerdings werden sie erst seit 2014 wieder offiziell vom IOC in der Statistik der Innsbrucker Spiele geführt .
Bäumler war nach dem Ende seiner sportlichen Laufbahn als Schlagersänger, Schauspieler und Fernsehmoderator erfolgreich. Marika Kilius nahm ebenfalls Schallplatten auf und landete zweimal auf Platz zwei der deutschen Schlager-Hitparade. Als Unternehmerin entwarf sie Acrylmöbel, baute einen Merchandising-Betrieb auf, führte ein Restaurant und entwickelte eine eigene Kosmetik-Linie .
Der Sieg der amerikanischen Eishockey-Amateure bei den Winterspielen von Lake Placid über die sowjetischen Favoriten gilt als der spektakulärste Außenseiter-Sieg aller Zeiten. Buzz Schneider war nicht nur dabei, sondern mittendrin.
22. Februar 1980. Ein Freitagabend in Lake Placid, einem kleinen Wintersportort auf halber Strecke zwischen New York und der kanadischen Grenze.
Das erste Eishockey-Spiel des Tages im ausverkauften Olympic Field House ist gerade zu Ende gegangen. Und die 8000 Zuschauer strömen aus der ausverkauften Halle in die Straßen des Dorfs.
Viele schreien begeistert, stakkatohaft immer nur dieselben drei Buchstaben: „USA! USA! USA!“.
In vorbeifahrenden Autos liegen die Fahrer auf der Hupe. Und von irgendwo schießt außerplanmäßig ein Feuerwerk in den Himmel, in dem dicke Wolken einen Tanz aus kleinen Schneeflocken entfacht haben.
Was macht man mit einem angebrochenen Abend wie diesem?
Buzz Schneider, Ken Morrow und Bobby Suter haben eine Idee: Sie wollen die ausgelassene Stimmung so intensiv wie möglich einatmen. Eine Atmosphäre, die kurz davor ist, eine ganze Nation zu elektrisieren.
Sie entscheiden sich für das Holiday Inn , aber drehen vorher ihre Trainingsjacken um, damit man sie nicht als Nationalspieler erkennt, und tauchen ein in die Menge im Hotel, die das Match, das soeben zu Ende gegangen ist, nun im Fernsehen sehen will.
Es ist keine Wiederholung. Zu den wunderlichen Dingen rund um diesen Abend zwei Tage vor dem Ende der dreizehnten Olympischen Winterspiele gehört, dass dieses Spiel in den Vereinigten Staaten nicht live, sondern zeitversetzt mit sage und schreibe drei Stunden Verspätung übertragen wird.
„Wir haben ein Bier getrunken und mitgejubelt. So wie jeder andere auch“, erinnert sich Schneider 40 Jahre später. Er hat im ersten Drittel das Tor zum 1:1-Ausgleich geschossen und kann nun diesen Augenblick quasi live noch einmal nacherleben. Die Entwicklung. Seinen Sturmlauf auf der linken Seite entlang der Bande. Die kurze, schnelle Ausholbewegung mit dem linken Arm. Und den gewaltigen Schuss aus fast 20 Metern in die linke, obere Ecke des sowjetischen Tores.
So atemlos klang das damals im amerikanischen Fernsehen: „Pavelich holt sich den Puck für die USA. Pavelich. Vorne ist Schneider. Schlagschuss. Er geht rein. Buzz Schneider. Die Vereinigten Staaten gleichen das Spiel nach 14 Minuten und drei Sekunden aus. Buzz Schneider, der einzige von ihnen, der ‚76 in Innsbruck dabei war. Was für ein Turnier für ihn. Das ist Buzz‘ fünftes Tor.“
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