» Sono Jutta «, antworte ich.
» Udda, ah, sì. « Sie reicht mir ein schmuddeliges Glas mit Wasser. Dankbar nehme ich es an, es wird mich schon nicht umbringen.
Anna, durchaus nicht so unfreundlich, wie mein erster Eindruck war, mustert mich noch einmal ausgiebig, um dann ein bewunderndes » Sei bella « loszuwerden. Sie zupft begeistert an meinem angeschmuddelten Röckchen und fragt mich, ob ich Deutsche bin. »Sei tedesca?«
» Sì, sì, di Monaco, München, sono una bavaresa. «
»Uiuiui, Oktoberfest«, strahlt sie, um gleich darauf zu bezeugen, dass sie Bier kennt.
Na, sie scheint doch nicht völlig hinter dem Mond zu leben. Sicher haben sie hier irgendwo auch einen Fernseher versteckt.
Als es wenig später im Steinhaufen so dunkel ist, dass man kaum mehr etwas sehen kann und Anna mit Getöse einen Generator unweit von hier in Gang setzt, wird mir klar, dass hier doch kein Fernseher versteckt ist, ebenso wenig wie ein Radio. Auch entdecke ich kein Telefon, aber mit Sicherheit haben sie ein Handy! Sonst muss man die beiden ins Guinnessbuch der Rekorde eintragen lassen – als einzige Italiener ohne Telefon.
Draußen höre ich die beiden Männer angeregt reden, Claudio kommt herein und holt zwei Gläser. Von einem Steinvorsprung nimmt er eine Flasche und entschwindet, nicht ohne Anna ein paar Worte zuzurufen, die ich nicht verstehe. Ich überlege, welchem Sprachstamm Sardisch wohl entsprungen ist. Fast glaube ich, arabische Worte herauszuhören. Wer weiß, welche Seefahrer hier vor Jahrhunderten gestrandet sind? Schon verrückt, wie sich eine Sprache verändert, sobald sie anderen Einflüssen ausgesetzt ist. Ich muss bloß an den tiefsten bayrischen Wald und seine Urlaute denken, da muss ich mich auch sehr konzentrieren, um etwas zu verstehen.
Hinsetzen kann man sich in dem Raum eigentlich nicht, ohne in die Privatsphäre der beiden einzudringen. Es ist mir unangenehm, mich hier aufzuhalten, aber die beiden Männer haben so gar keine Anstalten gemacht, mich mitzunehmen, also bleibe ich lieber hier. Ob sie denken, dass wir zwei Frauen uns unglaublich viel zu erzählen haben? Über Kindererziehung oder Nagelverlängerungen?
Einen kleinen Tisch gibt es hier und einen Schemel, auf dem sich Klamotten türmen, eine Kommode und ein langes Brett, auf dem Töpfe, Tassen, Teller und Besteck stehen. Ich möchte nicht sagen, dass es schmuddelig ist, aber von so kläglicher Armut, dass es mein Herz erbarmt. Aber Anna scheint stolz darauf zu sein, und nun ist es an mir, beschämt zu sein. Ich weiß doch eigentlich von meinen vielen Reisen, wie unterschiedlich die Ansprüche der Menschen auf dieser Welt sind und wie wenig Glück mit Reichtum zu tun hat. Je weniger ich mich darum kümmere, was andere besitzen und was man unbedingt haben muss, desto freier und glücklicher kann ich doch leben. Anna öffnet am Boden eine kleine Holzluke und holt eine Salami und einen tiefen Teller mit einem weißlich gelben wabbeligen Käse heraus.
» Fatto mano «, sagt sie stolz. Alles handgemacht! Mein Magen knurrt unüberhörbar beim Anblick der Salami. Anna lacht und schneidet mir ein Stück von der Wurst ab. Dem Himmel sei Dank, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe. Die Salami schmeckt etwas eigen, aber nicht schlecht. Nein, ganz und gar nicht übel.
» Che carne, Anna? « Woraus ist sie?
» Certo pecore, Signora Udda, buono? « Natürlich Schaf! Ob sie mir schmeckt?
» Sì, sì, molto buono, grazie, Anna!« Das Eis ist gebrochen. Sie fängt an, wie ein Wasserfall zu reden. Lacht wie ein kleines Kind, wenn sie etwas offensichtlich Lustiges erzählt, und ich versuche, ein paar Brocken zu verstehen. Schließlich komme ich dahinter, dass sie leidenschaftlich gerne kocht und sie mir jetzt ihre Küche zeigen möchte. Wieder öffnet sie die Luke im Boden. Eine schmale Leiter führt in einen tiefer gelegenen Hohlraum, die Speisekammer. Kühle dringt von unten herauf. Anna bedeutet mir, hinunterzusteigen und ihre Schätze zu betrachten. Sorgfältig ausgehoben ist dieser Raum, in dem ein Mensch meiner Größe aufrecht stehen kann. An den erstaunlich glatten Wänden sind Regale angebracht, voll mit riesigen Käselaiben. Butterfässer stehen auf dem Boden. Anna lässt mich probieren. Sie schneidet mir bei jedem Fass ein Stückchen Butter ab, und auch sie schmeckt sehr eigen, aber köstlich, besonders die gesalzene. Ich habe noch nie Ziegenbutter gegessen. Dann schiebt sie mir ein Stück Käse in den Mund, und ich könnte mich augenblicklich über den ganzen Laib hermachen. Ein wunderbarer Schafskäse liegt hier im Erdloch versteckt, und die Welt weiß nichts davon. Noch nicht mal Schuhbeck!
Vielleicht lass ich mich einfach hier mit einer Kerze, einem Krug Wein und einem Stück Brot bis morgen einschließen … Ich hätte nichts dagegen. Als ich Anna mein Kompliment für diese Köstlichkeiten mache, habe ich restlos ihr Herz gewonnen. Sie zeigt auf die lange Stange, die von der Decke herabhängt, um die Hunderte von kleinen Würstchen, aufgereiht wie eine Perlenkette, geschlungen sind.
» Salsicce, buone, prova! « Und schwupp! hab ich ein geräuchertes Schafswürstel im Mund. Ich könnte sterben, so gut ist es, aber höllenscharf. Über einer anderen Stange hängen, schön in Reih und Glied, Fettuccine, Spaghetti, Tagliolini, fatto mano, certo !
» Vuoi, Signora Udda? « Ich nicke, was soll ich sonst hier in Schlaraffenhausen tun? So packt sie eine Handvoll Pasta, zwei Höllenwürstel, ein großes Stück Schafskäse und einen Plastikkanister mit Olivenöl, sicher auch aus eigener Produktion, und stemmt alles nach oben. Ich folge ihr.
Dort gibt es einen kleinen Nebenraum mit einem alten gusseisernen Herd, einem Backofen und einer Wasserstelle. Darüber entdecke ich, in Stein gehauen und halb in die Mauer versenkt, ein Ungetüm, halbrund wie ein Iglu mit Eisentür.
» Che cosa, Anna? « Was ist das?, frage ich. Sie legt den Finger an den Mund, blitzt mich mit kohlrabenschwarzen Augen an und öffnet die Eisentür. Ein Duft von kalter Holzkohle, vermischt mit Speck, versetzt meine kleine Nase augenblicklich in Trance. Hier also werden die salsicce geräuchert. So einfach alles und doch so ausgeklügelt. Das ist die kleine Fabrik von Anna und Claudio. Ihre Lebensgrundlage, ihre Selbständigkeit, ihr Reichtum. Dafür geht Claudio auf die Straße und kämpft. Augenblicklich hege ich volle Sympathie für diese beiden fleißigen Menschen.
Feuchtigkeit steigt von dem dunkelbraunen Lehmboden vor dem Häuschen auf, und die tiefstehende Sonne taucht alles in ein sattorangenes Licht. Während ich diesem Schauspiel zusehe, befällt mich eine Vorahnung, dass unser Aufenthalt hier nicht von kurzer Dauer sein wird. Bruno ist nirgends zu sehen, und nur ganz entfernt vernehme ich Stimmen. Natürlich bin auch ich beeindruckt von der Gastfreundschaft der beiden, aber von einem ausgiebigen Abendessen, das Anna dem Klappern der Töpfe nach zu schließen offensichtlich zubereitet, war bislang nicht die Rede.
So mache ich mich auf die Suche nach den beiden Männern. In spätestens einer Stunde wird es hier stockfinster sein und ziemlich kühl. In Anbetracht meiner Sandaletten und der sommerlichen Kleidung gefällt mir die Idee eines Abendessens gar nicht. Wo sollen wir uns denn niederlassen? Im Haus ist absolut kein Platz für vier. Na großartig, ich hole mir bestimmt einen Schnupfen zur Hochzeit.
Zwischen Olivenbäumen sitzen die zwei an einem alten Tisch. Zugegeben, die Aussicht ist großartig. Felder ziehen sich rundum an den Hügeln hinauf, in der Ferne erkennt man ein paar Häuser und einen Kirchturm.
Ich stupse Bruno an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, er jedoch legt seinen linken Arm um meine Hüfte und redet unbekümmert weiter. Ich warte darauf, dass einer der beiden eine Pause macht, doch es erweist sich als hoffnungsloses Unterfangen. Die beiden scheinen sich prächtig zu verstehen; wie unschwer herauszuhören ist, sprechen sie über Politik. Hin und wieder verdrehen sie die Augen, ziehen mit einem Seufzer die Schultern hoch, um danach noch heftiger weiterzudiskutieren. Mehrmals hole ich Luft, um mich einzubringen, habe aber keine Chance. Zu sehr sind sie mit sich beschäftigt. Schließlich platze ich laut in ihr Gespräch:
Читать дальше