Babette Guttner
Ich schneide Dir die Ohren ab – bis auf zwei
Ich schneide Dir die Ohren ab
Babette Guttner
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www.epubli.deCopyright: © 2016 Babette Guttner Umschlag & Satz: Erik Kinting / www.buchlektorat.net
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und reiner Zufall.
Eine kleine Zeitreise in meine Kindheit. Ohne Handy und andere Annehmlichkeiten. Mit verlogener Moralvorstellung und einer autoritären Erziehung. Ich habe die Erinnerungen daran aufgeschrieben, weil ich denke, dass viele Menschen mit mir mitfühlen können. Und ich möchte jenen Mut machen, die in einer vermeintlich aussichtslosen Situation stecken.
Der Anfang meiner Existenz war eigentlich vielversprechend. Ich bin am Heiligen Abend, dem Fest der Liebe, geboren. Wenn da nicht die Moralvorstellungen der Gesellschaft, Ende der 40er-Jahre gewesen wären. Denn meine Mutter war nicht verheiratet.
Zunächst hat sie mit mir, bei einer Cousine meines Großvaters Aufnahme gefunden. Bis zu meinem 5. Lebensjahr, lebten wir in einer großen Stadt.
Meine Erinnerungen beschränken sich auf einige wenige Ereignisse: Karussell fahren auf dem Oktoberfest und Ausflüge ins Grüne. Da durfte ich im Beiwagen des Motorrades, auf dem Schoß meiner Tante mitfahren. Gut in Erinnerung geblieben ist mir, als wir aus der Stadt fortgingen.
Meine Großeltern haben uns nach Hause geholt.
Ich kann mich noch an die lange Bahnfahrt erinnern und dass wir von der Schwester meiner Mutter vom Bahnhof abgeholt wurden.
Bei ihr zu Hause haben wir uns gestärkt, und uns dann auf den langen Weg zu meinen Großeltern gemacht. Zu Fuß natürlich, es gab keinen Bus der dort hinführte.
Meine Tante hat uns einen Kindersportwagen, aus Holz mitgegeben.
Ich war aber schon zu groß, wenn ich meine Beine ausstreckte, schleiften sie auf der Straße und ich bin aus dem Wagen gefallen. Das Wägelchen war schwer zu schieben, also musste ich zu Fuß gehen. Nach jeder Kurve fragte ich meine Mutter ob wir nicht bald da sind. Mit meinen fünf Jahren hatte ich keine Vorstellung wie lang acht Kilometer sind und wie lange das dauern würde. Meine Mutter tröstete mich damit, dass wir doch in die Heimat gehen. Heim zu ihren Eltern, um die nächste Zeit dort zu bleiben.
Wir marschierten durch zwei Dörfer und dann am Ausgang des letzten Dorfes, konnte man in der Ferne das Haus meiner Großeltern schon sehen. Die Straße war auf den letzten anderthalb Kilometern sehr schlecht. Ein Schotterweg mit vielen Schlaglöchern und Pfützen. Wir kamen langsam näher und ich sah ein Haus am Waldrand, viele Gebäude und einem großen Weiher. In einem der Gebäude befand sich das Sägewerk. Der Sägegatter wurde von einem mächtigen Wasserrad angetrieben. Große Baumstämme lagen zwischen der Straße und dem Weiher und viele Bretter waren auf einem großen Platz, zum trocknen aufgestapelt.
Vom Hund wurden wir gleich begrüßt.
Es gab auch noch andere Tiere wie Kühe, Schweine, Hühner und Katzen. Auf dem Hof lebten außer meinen Großeltern noch zwei Tanten und ein Onkel.
In einem Zimmer mit Ofen sind nach dem Krieg Flüchtlinge eingewiesen worden. Eine Oma mit ihrer Tochter und deren Sohn, der schon in die Schule ging.
Mein Großvater hat uns sozusagen in Empfang genommen und uns in die große Wohnküche geführt. Dort stand außer einem gemauerten Herd, ein Tisch mit Eckbank, ein Küchenbüfett, es gab fließendes Wasser mit Ausguss und ein Radio.
Ein Bett stand noch darin, dort lag meine Großmutter, sie ist an Gicht erkrankt und konnte nicht mehr gehen. Damals gab es noch keine Medizin gegen diese Stoffwechselkrankheit.
Im Dachgeschoss bezogen wir ein Zimmer. Die Einrichtung bestand aus zwei Betten einem Schrank und einer Spiegelkommode. Die Fenster waren an der Westseite und gestatteten einen weiten Blick in die Ferne. Später stand ich oft am Fenster und schaute sehnsüchtig hinaus. Mein Blick richtete sich in das zwei Kilometer entfernte Dorf und auf die Straße, die dort hinführte. Ich dachte immer da vorne spielt das Leben und ich muss hier bleiben. Seitdem weiß ich was Fernweh ist. Wenn mich heute das Fernweh zu sehr plagt, verreise ich. Damals musste ich ausharren und mir kam alles so ausweglos vor.
Aber gerade hier war jetzt in der nächsten Zeit mein Zuhause.
Ich habe mich nur sehr langsam an das Haus und ihre Bewohner gewöhnen können.
Leicht ist mir die Umstellung vom Stadtleben, mit Straßenbahn, Autos und Spülklo und anderen Annehmlichkeiten, scheinbar nicht gefallen.
Meine Tante erzählte mir später, dass ich mit dem Holzsportwägelchen, mit dem wir gekommen sind, abgehauen bin. Mit meinen fünf Jahren machte ich mich auf den Weg.
In die Richtung wo wir hergekommen sind, habe ich mein Wägelchen geschoben. Ich wollte wieder in die Stadt, in meine gewohnte Umgebung. Nur der Hund hat mich begleitet. Wir waren schon ca. einen Kilometer unterwegs, kurz vor dem Dorf, da kam meine Tante mit dem Rad und hat uns zurückgeholt.
Zufällig sind mir Leute mit einem Pferdewagen entgegen gekommen und haben sich über das kleine Mädchen, so weit weg von einem Haus, gewundert.
Bei mir zu Hause haben sie gefragt: »Gehört das Mädchen mit dem Hund euch? Wenn ihr sie sucht, sie wird bald im Dorf sein. Wir hätten sie ja mitgebracht aber der Hund hat uns die Zähne gezeigt.« Wenigstes unser Hund Bello hat auf mich aufgepasst.
Tante Irma, die mich zurückgeholt hatte, war für die Landwirtschaft zuständig und Tante Linda für den Haushalt.
Meine Mutter half im Sägewerk mit. Der Onkel war in der Stadt in einem Büro tätig und kam meist nur am Wochenende heim. Er fuhr ein Auto, das einzige weit und breit.
Als Kind ist er vom Pferd gefallen und hat sich die Kniescheibe zertrümmert. Damals wurde sein Bein amputiert und er trug eine Prothese. Das Auto war für ihn deshalb sehr wichtig.
Ich habe meinen Onkel nie mit Krücken gesehen, dass habe ich an ihn immer bewundert. Man hat sein Handicap kaum bemerkt.
Mit dem Auto sind wir jeden Sonntag in die fünf Kilometer weit entfernte Kirche gefahren und haben dort an einem katholischen Gottesdienst teilgenommen. Manchmal durfte ich mit meinem Großvater auf die Empore. Von dort hatte man einen guten Überblick auf die liturgische Handlung. Auf dem Platz, auf dem wir saßen, war sein Namensschild angebracht.
Bei meinen Großeltern interessierte mich vor allem das Sägewerk. Sehr wahrscheinlich nervte ich meinen Großvater mit meinen Fragen zu den vielen Maschinen und was man mit diesen herstellen kann.
Es gab keinen Winkel, den ich nicht erkundet hatte. Meine Mutter hat es nicht gern gesehen, wenn ich mich in der Nähe des Sägegatters aufhielt, und mich immer weggeschickt. Aber ich wollte doch wissen, wie aus den dicken Baumstämmen Bretter und Latten entstehen.
Wie die dicken Stämme von großen Rollen durch die, sich auf und ab bewegenden Sägeblätter, geschoben wurden. Auf der anderen Seite kamen sie dann fein sauber geschnitten, als Bretter heraus.
Diese wurden auf einen Rollwagen geladen, der auf einem nach draußen führenden Geleise stand, hinaus gefahren und zum trocknen aufgeschichtet.
Dieses Aufschichten sollte bald auch meine Arbeit werden.
Auf der Straße, die an unserem Haus vorbei führte, war wenig Verkehr. Nur ab und zu kamen Radfahrer, Pferdefuhrwerke oder Ochsenkarren vorbei. Meist haben sie angehalten und kurz zu meiner kranken Großmutter hereingeschaut.
Auch der Bierkutscher mit seiner Lederschürze, fuhr regelmäßig vorbei. Auf seinem, von Rössern gezogenen Wagen, lagen große Holzfässer mit Bier gefüllt. Die musste er in die umliegenden Gasthöfe transportieren. Bei uns machte er einen kurzen Stopp, um ein Schwätzchen zu halten und sich nach dem ergehen meiner Großmutter zu erkundigen. Mich kannte er noch nicht und hat mich deshalb gefragt wer ich bin und wie ich heiße. Da ich mit fremden Menschen nicht sprechen durfte, und er in seiner Lederschürze, die bis zum Boden hing, gar so furchterregend aussah, lief ich einfach weg.
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