» Scusi, Bruno, sag mal, hast du vor, hier zu übernachten, oder siehst du eine Chance, von hier wegzukommen?« Sicherheitshalber habe ich deutsch gesprochen, ich hoffe, dass er auch alles richtig versteht.
Bruno schaut mich mit großen Augen an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. »Natürlich kommen wir heute noch ans Ziel, aber Anna kocht jetzt, und danach bringt uns Claudio mit seinem Traktor zu seinem Bruder, und der fährt uns nach Gesturi.« So sei es besprochen worden, ich solle mich nicht so haben, denn das hier sei ein wichtiges Gespräch, und er wolle auch in Zukunft Claudio unterstützen, denn was sich hier auf der Insel abspiele, sei einfach ein Skandal. Ob ich nicht wieder zu Anna gehen wolle, vielleicht brauche sie Hilfe?
Bevor ich aber den Rückzug antrete, hält mir Claudio ein Wasserglas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hin. Sicherlich wieder fatto mano , denke ich. Ich nippe nur ein kleines bisschen daran, und augenblicklich brennt meine Kehle wie Feuer. Halleluja, wie kann man nur so was trinken? Die beiden Männer brechen in schallendes Gelächter aus, als sie sehen, wie ich das Gesicht verziehe.
»Trinkst du das etwa, Bruno?«, frage ich ihn. Er nickt, » solo un goccio «. Na, hoffentlich bleibt es bei einem Schlückchen, sonst kann der Abend ja noch heiter werden.
»Mir ist kalt, ich hab nichts zum Umziehen, die Koffer sind am Flugplatz, und ich würde mir eigentlich gerne auch die Hände waschen, verstehst du, mein Lieber?«
Natürlich, ihm sei auch kalt, aber ich solle mich jetzt beruhigen. » Va bene tutto «, alles wird gut, sagt er und dreht mir wieder den Rücken zu.
In Annas kleiner Küche stimmt mich der Duft von warmem Rosmarin und Olivenöl sofort versöhnlich. In einem anderen Topf brodelt das Wasser, und sicher schwimmen darin in wenigen Minuten die Nudeln. Sie drückt mir vier tiefe Teller und vier Gabeln in die Hand und deutet nach draußen. Ich hab’s ja gewusst. Ich stolpere auf meinen Stöckeln nach draußen und decke zwischen den beiden Männern den Tisch. Bruno lächelt mich an, und ich erkenne in diesem Lächeln eine gewisse Glückseligkeit, die mit Sicherheit nichts mit diesem Gespräch zu tun hat.
Anna hält inzwischen ein Brett mit Brot und dem komischen wabbeligen Käse für mich bereit. So laufe ich mehrere Male zwischen dem Steinhaufen und den Olivenbäumen hin und her. Nicht nur, dass mir die Füße weh tun, auch sinken meine Absätze regelmäßig in der Erde ein. Außerdem ist es bereits fast dunkel, ich sehe so gut wie nichts mehr und weiß nicht, ob ich nun in Erde oder Ziegenscheiße wate. Von der Koppel ertönt es »määäähhhh« und »iiiiiiiiaaaaaaah«. Was für eine Idylle!
» Pronto, pronto «, höre ich Bruno rufen, na, wenigstens versucht er zu telefonieren. Das Essen ist fertig, wie wunderbar! Eine dampfende Schüssel landet auf dem wackeligen Tisch, und Anna teilt riesige Portionen aus. Claudio sticht in den Käse und legt ein Stück davon neben meine Pasta, für sich nimmt er auch eines und reicht dann das Messer Bruno. Der will sich zurückhalten, aber er hat keine Chance. Warum verzieht er denn so sein Gesicht? Das ist Schafskäse, der ist sicher gut. Ich probiere ihn jetzt, denn die beiden scheinen ja ganz begierig darauf zu sein, zu hören, wie er uns schmeckt.
Also stecke ich mir eine Gabel davon in den Mund. Weich ist er, ein bisschen wie Wackelpudding, nicht besonders aufregend im Geschmack, für meine Begriffe fehlt Salz. Na ja!
» Buono «, sage ich und widme mich dann meinen Nudeln, die mir wesentlich besser schmecken. Jedoch ist irgendein Gewürz daran, das ich nicht besonders mag. Es schmeckt fischig, aber ich entdecke bei dem schwachen Licht weit und breit keinen Fisch. Ich frage nach den Gewürzen und bekomme mal wieder eine Auskunft, die ich nicht verstehe. Bruno sagt, » uova di pesce «, aha, ich bin beeindruckt. Erkennen kann ich jedoch keine Fischeier, höchstens kleine dunkle Punkte, die nicht im Entferntesten an Kaviar erinnern. Was soll’s, der Hunger treibt’s rein, wie wir in Bayern sagen. Ich nehme noch ein Stück von dem Käse, um eine andere Geschmacksrichtung zu bekommen.
» Buoni il formaggio con vermi, eh? «, fragt mich Claudio.
»Er fragt«, dolmetscht Bruno, »wie der Käse mit den Würmern schmeckt?«
»Was? Käse mit Würmern?!«, schreie ich fast.
» Sì, sì, molto buono «, antwortet er mir. Pfui Teufel, mich schüttelt es augenblicklich. Hätte ich nicht schon alles hinuntergeschluckt, würde ich es auf den Boden spucken. Es würgt mich, und mir ist augenblicklich der Appetit vergangen. Erst Nudeln mit merkwürdigem Fischgeschmack und dann lebendige Würmer in einem Käse! Und das soll eine sardische Delikatesse sein?
Wir sind doch nicht im Busch! Ich habe noch nie von so einer sardischen Spezialität gehört. Wenn man in München beim Sarden so was anbietet, schließen die Behörden augenblicklich das Lokal. Nur Ratten sind noch schlimmer. Mir reicht’s, ich will jetzt weg von hier, und zwar augenblicklich, aber Bruno lacht nur. Wie mir scheint, ein bisschen irre. Wie viel hat der denn schon von dem Höllenzeugs getrunken? Und musste Claudio noch diesen sardischen Wein aus dem Keller holen? Wenn Bruno beschwipst ist, dauert es nicht lange, und er ist total betrunken. Er verträgt rein gar nichts. Da bin ich bei weitem trinkfester. Etwas resigniert betrachte ich meinen Lebensgefährten. Wie kann er mich bloß so im Stich lassen?
Zu allem Überfluss setzen sich im Zuge des Sonnenuntergangs jetzt auch noch Mücken auf meine nackten Beine. Aber nicht nur auf die Beine, Sekunden später attackieren sie auch meine Arme, stechen in meine Kopfhaut, und ich schlage um mich, was sehr meiner derzeitigen inneren Haltung entspricht. Ich verstehe einfach nicht, warum wir jetzt nicht fahren können, hier versäumen wir ja nun wirklich nichts mehr.
Anscheinend bin ich die Einzige hier, die sich nicht wohl fühlt, aber meine Befindlichkeit interessiert absolut niemanden. Die drei amüsieren sich prächtig, als wären sie schon Jahrzehnte befreundet. Bruno, der eigentlich viel Heiklere von uns beiden, mampft und trinkt, was das Zeug hält. Ganz still werde ich. Unscheinbar sitze ich zwischen den anderen, und wenn nicht hin und wieder für einen Moment Brunos Hand die meine suchen würde, könnte ich mich auflösen. Die drei befinden sich in einer anderen Welt, zu der ich keinen Zutritt habe. Ich verstehe ihre Sprache nicht, und niemand bezieht mich ein. Ich bin ein unbequemer Außenseiter, der ihnen das Spiel verdirbt. Da haben wir es mal wieder: Wahrnehmung und Erwartungshaltung! Bruno scheint von alldem nichts zu merken.
So kenne ich ihn gar nicht. In München sucht er immer sehr meine Nähe, um sich ja nicht allein zu fühlen. Er will eingebunden sein, über alles Bescheid wissen. Hier, so scheint es, ist er in seinem Element. Von Minute zu Minute wird er betrunkener. Er lallt schon ein bisschen, und das hat nichts mit dem Dialekt zu tun. Auch Claudio scheint nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen zu sein.
Bis auf mich haben alle brav aufgegessen, und mit leicht traurigem Blick bemerkt es Anna, während sie das Geschirr zusammenstellt, um es in die Küche zu tragen. Ich bin froh, aufstehen zu können, und folge ihr. Vorsichtig versuche ich ihr beizubringen, dass wir gerne fahren würden, und ob sie nicht mit Claudio sprechen könnte, aber Anna winkt heftig ab, in solche Angelegenheiten mischt sie sich grundsätzlich nicht ein. Die würden schon noch fahren, da solle ich mir keine Sorgen machen. So jedenfalls interpretiere ich ihre Worte.
Mir ist kalt, und ich fühle mich erschöpft. Mühsam versuche ich meine Augen offen zu halten. Zu lange schon bin ich heute auf den Beinen, viel habe ich erlebt. In meiner Handtasche habe ich eine Nylonstrumpfhose, die ich sicherheitshalber zum Schutz gegen die Klimaanlage im Flieger eingesteckt habe, die ziehe ich nun an. Jetzt rutsche ich zwar in meinen Sandaletten herum, aber ich habe auch nicht vor, heute noch eine Wanderung zu unternehmen. Ich setze mich auf den einsamen Schemel im Steinhaufen, Anna redet unaufhörlich auf mich ein, und ich nicke ab und an freundlich. Irgendwann streift mich etwas am Arm, ich muss eingeschlafen sein.
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