Während die Alten über Tiki und Rongo-rongo sprechen wollten, wünschten die Jungen vom Walhai und von unserer Fahrt über das Meer zu hören. Aber das Essen wartete, und Teka war es müde, Dolmetsch zu spielen. Jetzt durfte das ganze Dorf herantreten, um jedem einzelnen von uns die Hand zu schütteln. Die Männer murmelten »Ja-ora-na« und rissen uns fast die Hand ab, die jungen Mädchen tänzelten heran und grüßten schelmisch und geniert, und die alten Hexen schwatzten und knixten und zeigten auf unseren Bart und unsere Hautfarbe. Es leuchtete Freundschaft aus jedem einzelnen Gesicht. So konnte es gar nicht ausbleiben, daß eine babylonische Sprachverwirrung entstand. Sagten sie etwas Unverständliches zu uns auf polynesisch, so antworteten wir mit derselben Münze auf norwegisch. So hatten wir alle miteinander einen Riesenspaß.
Das erste Wort, das alle lernten, war »mögen«, und wenn einer mit diesem Wort auf das zeigen konnte, was er mochte, und damit rechnen konnte, es sofort zu bekommen, so war die ganze Schwierigkeit gelöst. Rümpfte einer die Nase, wenn er »mögen« sagte, so bedeutete das »nicht mögen«. So konnte man sich ganz gut verständigen.
Sobald wir mit den hundertsiebenundzwanzig Einwohnern des Dorfes bekannt waren, wurde ein langer Tisch für die zwei Häuptlinge und uns sechs gedeckt, und die jungen Mädchen des Dorfes kamen und brachten die leckersten Gerichte. Während die einen den Tisch deckten, kamen die anderen und flochten Blumenkränze um unseren Hals, und kleinere Kränze wurden uns auf die Stirn gedrückt. Sie sandten ein schmachtendes Aroma aus und waren kühl und erfrischend in der Hitze. Dann begann ein Willkommensfest, das erst schloß, als wir von der Insel abreisten. Wir bekamen Stielaugen, das Wasser lief uns im Mund zusammen, uns, die wir vom Floß kamen, denn der Tisch bog sich vor gebratenen Spanferkeln, Hühnern, Entenbraten, frischem Hummer, polynesischen Fischgerichten, Brotfrucht, Papaya und Kokosmilch. Und während wir uns über die Gerichte stürzten, sang man Hula - Lieder zu unserer Unterhaltung, indes junge Mädchen den Tisch umtanzten.
Die Jungens machten es sich so bequem wie möglich und zerflossen förmlich vor Wohlbehagen, der eine sah so lächerlich aus wie der andere. Ausgehungert saßen wir da und schwelgten in den Gerichten mit brausendem Bart und einem Blumenkranz im Haar. Die zwei Häuptlinge genossen das Dasein genauso offenkundig wie wir.
Nach dem Essen gab es Hula-Tanz im großen Stil. Das Dorf wollte uns die lokalen Volkstänze zeigen. Während wir sechs mit Teka und Tupuhoe jeder seinen Ehrenstuhl im Orchester bekamen, traten zwei Gitarrespieler vor, ließen sich nieder und klimperten los, echte Südseemelodien. In einem großen Kreis hockten um uns die anderen Zuschauer, die kräftig singend einfielen. Da glitten zwei Reihen tanzender Männer und Frauen mit raschelnden Palmenblattfransen sich drehend und schwingend durch diesen Ring. Sie hatten einen munteren und feurigen Vorsänger in Gestalt eines überquellend fetten Kerls, der einen Arm durch einen Hai verloren hatte. Zu Beginn wirkten die Tänze ein wenig theatralisch und nervös, aber als sie sahen, daß die Weißen vom Pae-pae nicht über die Volkstänze ihrer Vorfahren die Nase rümpften, kam mehr Leben in sie. Ein Teil der älteren sprang mit hinein, sie hatten den besten Rhythmus und kannten diese Tänze am besten, die sicher nicht mehr im allgemeinen Gebrauch standen. Und als die Sonne in den Stillen Ozean tauchte, wurde es unter den Palmen lebhafter und lebhafter, und der Jubel der Zuschauer wurde mehr und mehr spontan. Sie hatten vergessen, daß es sechs Fremde gab, die zusahen. Jetzt waren wir sechs der Ihren und freuten uns mit ihnen. Das Repertoire hatte kein Ende. Eine fesselnde Vorführung löste die andere ab. Zum Schluß setzte sich eine Anzahl junger Männer in die Hocke in einem dichten Ring vor unseren Beinen, und auf ein Zeichen Tupuhoes begannen sie gleichmäßig den Boden mit den Handflächen zu schlagen. Erst langsam, dann schneller, der Rhythmus wurde besser und besser, als plötzlich ein Trommelschläger einfiel und sie begleitete, indem er mit zwei Stöcken auf einen knochentrockenen, ausgehöhlten Holzblock schlug. Das gab einen scharfen, durchdringenden Klang. Als der Rhythmus die gewünschte Feurigkeit hatte, begann der Gesang. Plötzlich sprang ein Hula-Mädchen, einen Blumenkranz um den Hals und Blumen hinter dem Ohr, in den Ring. Es trat den Takt mit bloßen Füßen und krummen Knien, während es sich rhythmisch in den Hüften wiegte, die Arme über den Kopf, in echtem Südseestil. Es tanzte glänzend, und bald schlug die ganze Versammlung den Takt mit den Fäusten. Noch ein Mädchen sprang in den Ring und noch eines. Sie bewegten sich mit unglaublicher Geschmeidigkeit und in vollendetem Rhythmus und umkreisten sich wie graziöse Schatten im Tanz. Die dumpfen Schläge gegen den Boden, der Gesang, die helle Holztrommel beschleunigten ihr Tempo, der Takt wurde rascher und rascher, der Tanz wilder und wilder, während die Zuschauer in sorgfältigem Rhythmus klatschten und heulten. Das war die Südsee, so wie sie die Vorzeit kannte. Die Sterne blinkten, und die Palmen wiegten sich, die Nacht war mild und lang, erfüllt von Blumenduft und Zikadengesang. Tupuhoe strahlte wie die Sonne und schlug mir auf die Schulter.
»Maitai?« fragte er.
»Eh, maitai«, antwortete ich.
»Maitai?« fragte er alle anderen.
»Maitai!« antworteten sie laut und deutlich aus innerster Überzeugung, keiner von ihnen hätte die Nase gerümpft.
»Maitai«, nickte Tupuhoe und zeigte auf sich selbst. Auch er war zufrieden.
Selbst Teka fand, daß es ein schönes Fest war. Es war das erstemal, daß Weiße den Tänzen hier auf Raroia beiwohnten, erzählte er. Rascher und rascher gingen die Trommelwirbel, das Klatschen, der Gesang und der Tanz. Nun hörte die eine der Tänzerinnen auf, sich rund im Kreise zu bewegen, sie stand jetzt auf einem Fleck und tanzte in wirbelndem Tempo. Immer wieder streckten sich ihre Arme Hermann verlockend entgegen. Hermann grinste verschämt in seinen Bart, er wußte nicht recht, was er tun sollte.
»Es ist jedenfalls eine gesunde Bewegung!« zischelte ich, »und du bist ja ein guter Tänzer!«
Und zum unbegrenzten Jubel der Menge sprang Hermann hinein in den Ring, und halb in der Hocke stürzte er sich in all die verlangenden Windungen des Hula-Tanzes. Der Jubel war grenzenlos, bald schwangen sich auch Bengt und Torstein im Tanz und schlängelten sich, daß der Schweiß nur so troff, um dem Takt zu folgen, der sich zu einer wahnwitzigen Jagd beschleunigte, bis dieTrommel allein in einen einzigen Wirbel überging und die drei wirklichen Hula-Tänzerinnen wie Espenlaub im Takt bebten, bis sie im Finale zusammensanken und die Trommelwirbel jäh abrissen.
Nun war der Abend unser. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt.
Der nächste Punkt im Programm war der Vogeltanz, eine der ältesten Zeremonien auf Raroia. Männer und Frauen in zwei Reihen tanzten gegeneinander in einer rhythmischen Bewegung, indem sie Schwärme von Vögeln kopierten, die von einem Vortänzer dahingeführt wurden. Der Vortänzer hatte den Titel eines Vogelhäuptlings und hatte wunderliche Manöver zu vollführen, ohne mit in den Tanz zu folgen. Als er vorüber war, erklärte Tupuhoe, das sei jetzt dem Floß zu Ehren gewesen. Jetzt sollte wiederholt werden aber ich sollte den Vortänzer ablösen. Ich hatte den Eindruck, die Hauptaufgabe des Vortänzers sei es, ein wildes Gebrüll auszustoßen und in der Hocke herumzuhüpfen, dabei mit dem Hinterteil zu wedeln und womöglich noch die Hände über dem Kopf zu schwingen. So zog ich den Blumenkranz gut über den Schädel herunter und marschierte in die Arena. Während ich mich im Tanz wand, sah ich auf einmal, wie der alte Tupuhoe lachte, daß er ständig in Gefahr war, vom Stuhl zu kugeln. Die Musik wurde immer dürftiger, da Gesangschor und Musikanten dem unwiderstehlichen Beispiel Tupuhoes folgten.
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