Als wir zu unserer kleinen Insel zurückwateten, wurde sie »Fenua Kon-Tiki« getauft oder Kon-Tiki-Insel. Das war ein Name, den wir alle aussprechen konnten. Aber unsere braunen Freunde hatten schwere Mühe mit unsereren kurzen nordischen Vornamen. Sie waren ganz hingerissen, als ich sagte, sie könnten mich Terai Mateata nennen, denn so war ich vom Häuptling auf Tahiti getauft worden, als ich zum ersten Mal in der Gegend war.
Die Eingeborenen zogen Hühner, Eier und Brotfrüchte aus den Kanus heraus, während andere mit dreizinkigen Gabeln Fische in der Lagune aufspießten. Dann hatten wir ein großes Fest ums Lagerfeuer. Wir mußten alle unsere Erlebnisse mit dem Pae-pae auf dem Meer erzählen, und die Geschichte mit dem Walhai wollten sie immer wieder hören. Und jedesmal, wenn wir so weit kamen, daß Erich ihm die Harpune in den Schädel ramte, da schrien sie alle gleich mitgerissen auf. Sie erkannten sofort jeden einzelnen Fisch wieder, von dem wir ihnen Skizzen zeigten, und sagten uns sofort die Namen auf polynesisch.
Aber den Walhai und den Gempylus hatten sie nie gesehen oder auch nur etwas davon gehört.
Als der Abend kam, bekamen wir zum großen Jubel der ganzen Versammlung das Radio in Gang. Am meisten entsprach Kirchenmusik ihrem Geschmack, bis wir zu unserer eigenen großen Überraschung echte Hula-Musik aus Amerika einfingen. Da begannen sich die Lustigsten unter ihnen herumzudrehen, die Arme über den Kopf gebeugt, und bald sprang die ganze Gesellschaft in die Hocke und tanzte Hulahula im Takte der Musik. Als die Nacht kam, lagerten sich alle Mann um ein Feuer am Strand. Für die Eingeborenen war es genauso ein Abenteuer wie für uns.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, waren sie bereits auf und brieten frischgefangenen Fisch. Sechs eben geöffnete Kokoshüllen standen für uns bereit, um den Morgendurst zu löschen.
Heute donnerte das Riff noch stärker als gewöhnlich, der Wind hatte zugenommen, und die Brandungswogen peitschten hoch in die Luft ums Wrack.
»Heute kommt die >Tiki< herein«, sagte der Häuptling und zeigte auf das Wrack, »es gibt Hochwasser.«
Um elf Uhr begann das Wasser an uns vorbei in die Lagune zu strömen. Wie eine große Schale füllte sie sich, und das Wasser stieg rund um die ganze Insel. Den ganzen Tag lang kam ein richtiger Strom vom Meer herein. Das Wasser wälzte sich von Terrasse zu Terasse, und mehr und mehr vom Riff verschwand unter der Oberfläche. Wassermassen fluteten herein an beiden Seiten der Insel entlang. Sie rissen große Korallenblöcke mit sich und trugen Sandbänke ab, die wie Mehl vor dem Wind verschwanden, während andere aufgebaut wurden. Lose Wrackreste kamen an uns vorbeigesegelt, und die »Kon-Tiki« begann sich zu rühren. Alles, was längs des Strandes lag, mußte im Inneren der Insel geborgen werden, um nicht von der Flut mitgenommen zu werden. Bald waren nur mehr die höchsten Steine des Riff sichtbar, der Strand um unsere Insel war verschwunden, das Wasser schäumte gegen den Grasfleck empor. Es sah unchristlich aus, man hatte den Eindruck, das ganze Meer wäre am Einmarsch. Die »Kon-Tiki« drehte sich herum und trieb los, bis sie von neuen Korallenblöcken aufgefangen wurde.
Die Eingeborenen stürzten sich ins Wasser und schwammen und wateten über die Stromwirbel, bis sie von Bank zu Bank ans Floß kamen. Knut und Erich folgten nach. Taue lagen am Floß bereit, und als dieses die letzten Korallenblöcke umwarf und sich vom Riff löste, sprangen die Eingeborenen über Bord und versuchten, es zurückzuhalten. Sie kannten nicht »Kon-Tiki« und ihren unbändigen Drang, sich nach Westen durchzuschlagen, so daß sie hilflos im Schlepp mitgezogen wurden. Bald wanderte die »Kon-Tiki« mit guter Fahrt quer über das ganze Riff und in die Lagune hinein. Hier wurde sie gewissermaßen aufsässig, als sie stilleres Wasser erreichte, und sah sich um, wie um einen Überblick über weitere Möglichkeiten zu erhalten. Bevor sie sich wieder auf die Reise begab und den Auslauf auf der anderen Seite entdeckte, hatten die Eingeborenen bereits das Ende des Taues glücklich um eine Palme an Land geschlungen, und nun hing die »Kon-Tiki« festgebunden drinnen in der Lagune. Ein Fahrzeug, das über Land und Wasser ging, hatte sich quer über die Barrikade durchgeschlagen und war glücklich in die Lagune im Inneren von Raroia gekommen.
Mit aufreizenden Kampfrufen, wobei »ke-ke-te-huru-huru« als zündender Refrain hervorgebrummt wurde, zogen wir die » Kon-Tiki« herein auf den Strand, der ihren Namen führte. Vier Fuß höher als normale Flut kulminierte das Hochwasser. Wir warteten schon darauf, die ganze Insel verschwinden zu sehen.
Windstöße brachen über das Wasser herein, und wir konnten nicht viel von unserer Ausrüstung mit in die engen und wassergefüllten Kanus bekommen. Die Eingeborenen mußten in höchster Eile zurück zum Dorf, und Bengt und Hermann fuhren mit ihnen, um nach einem kleinen Burschen zu sehen, der sterbend in einer Hütte des Dorfes lag. Der Bub hatte eine Eiterbeule am Kopf, und wir hatten Penicillin.
Am Tag darauf saßen wir vier wieder allein auf der Kon-Tiki-Insel. Der Ostwind war jetzt so stark, daß die Eingeborenen nicht über die Lagune kommen konnten, die mit Untiefen und scharfen Korallengebilden gespickt war. Das Wasser stieg und sank in Flutwellen.
Am nächsten Tag ließ es nach. Wir konnten jetzt unter die »Kon-Tiki« tauchen und feststellen, daß die neun Stämme heil waren, sogar wo das Riff ein oder zwei Zoll der Unterseite abgehobelt hatte. Das Tauwerk saß so tief drinnen in seinen Furchen, daß nur vier von den zahlreichen Seilen von den Korallen angeschnitten waren. Wir begannen an Bord aufzuräumen. Unser stolzes Fahrzeug sah menschlicher aus, als die Hütte wie ein Klappgehäuse wieder aufgestellt wurde. Der Mast wurde geschient und aufgerichtet. Im Verlauf des Tages tauchten die Segel wieder auf. Die Eingeborenen kamen, um uns und den Rest der Last abzuholen. Hermann und Bengt waren dabei. Sie erzählten, daß die Eingeborenen im Dorf große Feierlichkeiten vorbereitet hatten. Wenn wir zu der Hauptinsel hinüberkämen, dürften wir die Kanus erst nach einem besonderen Zeichen vom Häuptling verlassen.
Bei frischer Brise durchschnitten wir die Lagune, die hier eine norwegische Meile breit war. Wir sahen fast mit Wehmut die einzelnen Palmen auf der Kon-Tiki-Insel zum Abschied winken, während sie in eins verschmolzen und unsere Insel zu einem unbestimmbaren kleinen Eiland unter vielen anderen am Ostriff einschrumpfte. Aber vor uns breiteten sich größere Inseln aus. Vor der einen sahen wir eine Mole, und Rauch stieg von den Hütten zwischen den Palmenstämmen auf.




Die Eingeborenen finden uns und helfen uns später, die,,Kon-Tiki" an Land zu ziehen. Kein anderes Fahrzeug hätte es fertiggebracht, auf der Windseite des Riffs zu landen und dann noch über die Felsen in das Binnenwasser der Lagune zu gelangen.
Das Dorf sah tot und leblos aus, kein Mensch war zu sehen. Was war nun los? Drunten am Strand am Ende der Mole von Korallenblöcken standen zwei einsame Gestalten, die eine war lang und dünn, die andere groß und umfangreich wie eine Tonne. Als wir herankamen, grüßten wir beide. Es waren der Häuptling Teka und der Vizehäuptling Tupuhoe. Tupuhoes herrlichem und kräftigem Lachen waren wir bald alle verfallen. Teka war ein klarer Kopf und ein Diplomat, aber Tupuhoe war ein unverdorbenes Kind der Natur, ein Kernmensch mit einem Humor und mit einer Urkraft, wie man sie nur selten findet. Mit seinem mächtigen Korpus und seinem königlichen Gesicht stellte er alles vor, was man von einem vollblütigen polynesischen Häuptling erwartet. Tupuhoe war auch der eigentliche Häuptling auf der Insel. Aber Teka hatte im Laufe der Zeit die Oberhoheit bekommen, weil er Französisch sprach und rechnen und schreiben konnte, so daß das Dorf nicht betrogen wurde, wenn der Schoner von Tahiti um Kopra kam.
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