Teka erklärte, daß wir miteinander zum Versammlungshaus im Dorf hinaufmarschieren sollten. Als alle Jungens an Land waren, stiegen wir hinan in feierlicher Prozession, Hermann voran mit der Flagge, die an einem Harpunenschaft wehte, dann ich zwischen den zwei Häuptlingen.
Das Dorf war deutlich geprägt vom Koprahandel mit Tahiti. Planken und Wellblech waren mit dem Schoner eingeführt. Während einzelne Hütten in malerischem altem Stil mit winkligem Holzwerk und geflochtenen Palmenblättern gebaut waren, waren andere aus Brettern zu kleinen tropischen Bungalows zusammengeklopft. Ein großes Bretterhaus, das für sich allein zwischen den Palmen lag, war das neue Versammlungshaus des Dorfes. Hier sollten wir sechs Unterkunft bekommen. Wir marschierten mit der Flagge durch eine kleine Hintertür und wieder hinaus auf eine breite Treppe vor der Front. Vor uns auf dem Platz standen alle, die im Dorf gehen oder auch nur kriechen konnten, Frauen und Kinder, Alte und Junge. Alle waren todernst, und selbst unsere lustigen Freunde von der Kon-Tiki-Insel standen steif zwischen den anderen, ohne eine Miene des Wiedererkennens zu verziehen.
Als wir auf die Treppe herausgetreten waren, öffnete die ganze Versammlung wie mit einem Schlag den Mund und stimmte - die Marseillaise an. Der Häuptling, der sie auswendig konnte, war Vorsänger, und es ging ganz gut, obwohl einzelne alte Weiblein in den Fisteltönen hängenblieben. Das mußten sie fürchterlich trainiert haben. Die französische und die norwegische Flagge wurden vor der Treppe gehißt, und damit war Häuptling Tekas offizieller Empfang vorüber. Er zog sich still in den Hintergrund zurück. Jetzt war der dicke Tupuhoe an der Reihe. Er sprang vor und war Zeremonienmeister. Tupuhoe gab ein knappes Zeichen, und damit stimmte die ganze Versammlung neuerlich ein Lied an. Aber diesmal ging es besser. Denn Text und Melodie waren von ihm selbst verfertigt, in ihrer eigenen Sprache, und ihr eigenes HulaSingen, das konnten sie. Die Melodie war so bezaubernd in all ihrer ergreifenden Einfachheit - und dazu noch das Brausen der Südsee - wir fühlten es den Rücken hinunterkribbeln. Mit einzelnen Vorsängern fiel der ganze Chor ständig ein. So gab es Variationen im Thema, selbst wenn der Text ständig der gleiche war: »Guten Tag, Terai Mateata, und deine Männer, die ihr übers Meer auf einem Pae-pae zu uns auf Raroia gekommen seid, ja guten Tag. Mögt ihr lange bei uns weilen und Schönes mit uns erleben, so daß wir immer im Geiste beisammen bleiben, selbst wenn ihr wieder in ferne Länder zieht. Guten Tag!«
Wir mußten sie bitten, das Lied noch einmal zu singen, und langsam kam Leben in die Versammlung, nachdem sich ihre Befangenheit legte. Tupuhoe bat mich, einige Worte an die Bevölkerung zu richten und zu erklären, warum wir auf einem Pae-pae übers Meer gekommen waren, darüber hatten alle nachgedacht. Ich sollte nur französisch reden, Teka würde übersetzen.
Es war eine ungelehrte, aber höchst intelligente Versammlung von Braunen, die hier stand und wartete. Sie bekamen zu hören, daß ich schon früher unter ihren Stammesgenossen auf den Südseeinseln gewesen war und daß ich damals von ihrem ersten Häuptling Tiki gehört hatte, der ihre Vorväter auf diese Inseln geführt hatte aus einem geheimnisvollen Land, von dem keiner mehr wußte, wo es lag. Aber in einem fernen Land, das Peru hieß, so sagte ich, hatte einmal ein mächtiger Häuptling regiert, der Tiki hieß. Das Volk nannte ihn Kon-Tiki oder Sonnen-Tiki, weil er von der Sonne abstammte. Tiki verschwand schließlich aus seiner Heimat auf großen Pae-paes, deshalb glaubten wir sechs, daß er derselbe Tiki war, der hier auf den Inseln gelandet war. Da aber niemand uns glauben wollte, daß ein Pae-pae die Reise übers Meer durchstehen könne, so zogen wir selbst los von Peru mit einem Pae-pae, und hier waren wir. So war es also möglich.
Als die kleine Rede von Teka übersetzt war, war Tupuhoe Feuer und Flamme und sprang wie in Ekstase vor die Versammlung. Er polterte auf polynesisch los, fuchtelte mit den Armen herum, zeigte auf den Himmel und auf uns, und in seinem Redeschwall wiederholte er ständig das Wort Tiki. Das ging so rasch, daß es unmöglich war, den Faden zu behalten. Aber die ganze Versammlung schluckte jedes Wort und war sichtlich erschüttert. Teka hingegen sah ganz geniert aus, als er übersetzen sollte.
Tupuhoe hatte gesagt, daß sein Vater und Großvater und dessen Väter wieder von Tiki erzählt hatten und daß Tiki deren erster Häuptling war, der jetzt im Himmel sei. Aber dann kamen die Weißen und sagten, die Überlieferungen der Vorväter wären Lüge, Tiki habe nie existiert. Er wäre auch nicht im Himmel, denn dort sei Jehovah. Tiki sei ein heidnischer Gott, an ihn durften sie nicht mehr glauben. Aber jetzt waren heute hier sechs dahergekommen zu ihnen auf einem Pae-pae übers Meer. Wir wären die ersten Weißen, die zugestanden, ihre Väter hätten die Wahrheit erzählt, Tiki hätte gelebt, er sei nicht nur ein Hirngespinst, aber jetzt sei er tot und im Himmel.
Erschreckt bei dem Gedanken, die Arbeit der Missionare umzustürzen, beeilte ich mich, vorzutreten und zu erklären, daß Tiki wohl gelebt hatte, das war sicher und gewiß. Aber jetzt sei er tot. Ob er jetzt im Himmel oder in der Hölle war, das wußte nur Jehovah, denn der war im Himmel, während Tiki selbst ein sterblicher Mensch gewesen war, ein großer Häuptling wie Teka und Tupuhoe oder vielleicht noch etwas größer. Die Braunen mußten lachen, aber im Grunde gefiel es ihnen gut, und das Nicken und Murmeln zeigte deutlich, daß die Erklärung auf guten Boden gefallen war. Tiki hatte gelebt, das war die Hauptsache. Wenn er jetzt in der Hölle wäre, so wäre das sein eigener Schaden, aber da stiege vielleicht die Möglichkeit für verschiedene von uns, ihn wiederzusehen, meinte Tupuhoe.
Drei alte Männer drängten sich vor und wollten uns die Hand schütteln. Es war kein Zweifel, daß sie es waren, die die Erinnerung an Tiki bei der Bevölkerung am Leben hielten, und der Häuptling erzählte auch, daß der eine Alte eine Unzahl von Überlieferungen und historischen Liedern aus der Zeit der Vorväter kannte. Ich fragte den Alten, ob nicht ein Hinweis in den Überlieferungen war, aus welcher Richtung Tiki gekommen sei. Nein, daran konnte sich keiner von ihnen erinnern. Aber nachdem sie sich wohl und lange bedacht hatten, sagte der älteste von den dreien, daß Tiki einen nahen Verwandten mit sich hatte, namens Maui, und in dem Lied von Maui hieß es, daß er hierher auf die Insel von Pura kam, und Pura, das war dort, wo die Sonne aufging. War also Maui von Pura gekommen, so war wohl Tiki aus derselben Richtung, und wir sechs auf dem Pae-pae, wir waren auch von Pura gekommen, das stand fest.
Ich erzählte den Braunen, daß auf einer einsamen Insel näher bei der Osterinsel, die Mangareva heißt, die Bevölkerung niemals den Bau von Kanus erlernt hatte. Hier hatten sie nie aufgehört, große Pae-paes auf See zu gebrauchen bis in unsere Zeit. Davon wußte der Alte nichts. Aber er wußte, daß ihre eigenen Vorväter auch große Pae-paes verwendet hatten, aber das war im Laufe der Zeit völlig außer Gebrauch gekommen, und jetzt war nur mehr der Name und die Überlieferung übrig. In alten Tagen wurden die Pae-paes als Rongo-rongo bezeichnet, sagte der Älteste, aber das sein ein Wort, das jetzt nicht mehr im Sprachschatz vorkomme. Aber Rongo-rongos werden in den ältesten Sagen erwähnt.
Dieser Name war interessant, denn Rongo, das auf einzelnen Inseln Lono ausgesprochen wird, war der Name eines der bekanntesten sagenumsponnenen Ahnen der Polynesier. Er wurde ausdrücklich als weiß und hellhaarig geschildert. Als Kapitän Cook das erstemal auf Hawaii kam, wurde er mit offenen Armen von den Insulanern empfangen. Sie glaubten, er sei ihr weißer Verwandter Rongo, der nach generationenlanger Abwesenheit auf seinem großen segelführenden Fahrzeug von der Heimat seiner Väter zurückkehrte. Und auf der Osterinsel war Rongo-rongo die Bezeichnung für die mystischen Hieroglyphen, deren Geheimnis mit den letzten schriftkundigen »Langohren« verlorenging.
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