Wo sich das Meer an dem Riff brach, einige hundert Meter außerhalb der letzten Landzunge der Insel, hob sich ein kleiner Regenbogen in die Luft. Sie lag wie eine Silhouette vor uns. Auf einmal entdeckten wir am Strand drinnen einige regungslose Schatten. Plötzlich schob sich der eine langsam herunter gegen das Wasser, während einige andere in vollem Lauf gegen die Waldkante verschwanden. Es waren Menschen! Wir steuerten so nahe ans Riff, wie wir nur wagen konnten. Der Wind war flau geworden. Wir hatten den Eindruck, als wären wir eben dabei, in den Windschutz der Insel zu gelangen. Jetzt wurde ein Kanu ins Wasser gesetzt, und zwei Gestalten hüpften an Bord und paddelten hinter dem Riff entlang. Weiter draußen wendeten sie die Nase herüber, und wir sahen, wie die Wellen das Kanu in die Luft wirbelten, dann schnitt es durch die Passage des Riffs und hielt scharf auf uns zu.
Dort unten also lag die Öffnung im Riff. Dort war unsere einzige Hoffnung. Nun sahen wir auch das ganze Dorf, das da drinnen zwischen den Palmenhainen lag. Aber schon begannen die Schatten lang zu werden.
Da winkten die zwei im Kanu. Wir winkten eifrig zurück, und sie beschleunigten ihre Fahrt. Es war ein polynesisches Auslegerkanu, und zwei Braune saßen an den Paddeln, das Gesicht uns zugewendet. Hier würde es neue Sprachschwierigkeiten geben. Ich war der einzige an Bord, der sich noch von Fatuhiva her einiger Worte Marquesanisch erinnerte, aber mit Polynesisch bleibt man in den nordischen Ländern kaum auf dem laufenden. Man hat zu selten Gelegenheit zur Aussprache.
Deshalb fühlten wir uns erleichtert, als das Kanu gegen die Seite des Floßes stieß und die zwei an Bord sprangen. Denn der eine grinste über das ganze Gesicht, streckte seine braune Hand vor und rief auf englisch:
»Good night!«
»Good night«, antwortete ich verblüfft, »do you speak English?«
Der Mann grinste zurück und nickte.
»Good night«, sagte er, »good night.«
Das war sein ganzer Wortschatz in fremden Sprachen. Damit überrundete er allerdings seinen bescheidenen Freund weit, der nur im Hintergrund stand und seinen gebildeten Kameraden bewundernd angrinste.
»Angatau?« fragte ich und zeigte auf die Insel.
»H'angatau«, nickte der Mann zustimmend.
Erich nickte stolz. Er hatte recht gehabt, denn wir waren wirklich dort, wo ihm die Sonne gesagt hatte, daß wir sein müßten.
»Maimai hee juta«, versuchte ich mich.
Nach meinen Kenntnissen aus Fatuhiva mußte das etwa heißen:
»Möchten gehen an Land.«
Da zeigten die zwei auf die unsichtbare Passage im Riff. Wir legten das Ruder über und wollten versuchen, darauf zuzuhalten.
Im selben Augenblick kamen einige frischere Windstöße von der Insel herüber. Es lag eine kleine, regenschwere Wolke über der Lagune. Der Wind versuchte, uns von dem Riff wegzuschieben, und wir merkten, daß die »Kon-Tiki« dem Steuerruder nicht in einem Winkel gehorchte, groß genug, die Öffnung im Riff zu erreichen. Wir versuchten, Anker zu werfen. Aber das Tau langte nicht bis hinunter. Nun mußten wir zu den Paddelrudern greifen, und das geschwind, bevor uns der Wind zu fassen bekam. Wir ließen das Segel herunterrauschen und langten jeder nach seinem großen Paddelruder. Ich wollte auch jedem der beiden Eingeborenen ein Paddel anhängen. Die zogen gerade genießerisch an den Zigaretten, die sie an Bord bekommen hatten.
Die Eingeborenen schüttelten bloß energisch den Kopf, zeigten auf den Kurs und sahen verwundert drein. Ich machte Zeichen, daß wir alle paddeln müßten und wiederholte die Worte »möchten - gehen - an - Land«. Da beugte der Aufgewecktere sich herunter und kurbelte mit der rechten Hand in der Luft herum, indem er sagte:
»Brrrrr.......! «
Es war klar wie dicke Tinte, er meinte, wir sollten den Motor in Gang setzen. Die beiden glaubten, sie stünden an Deck eines merkwürdig tief beladenen Schiffes. Wir nahmen sie mit an den Steven und ließen sie unter die Stämme greifen. Sie sollten merken, daß wir nicht nur keine Schraube, sondern überhaupt keinen Schiffsrumpf hatten.
Da fielen sie aus allen Wolken. Sie löschten ihre Zigaretten und leisteten uns Gesellschaft. Da saßen wir nun, vier Mann auf jedem Seitenstamm, und tauchten die Paddelruder ins Wasser. Gleichzeitig versank die Sonne hinter der Landzunge, und die Windstöße von der Insel wurden frischer. Es sah nicht aus, als kämen wir vom Fleck. Die Eingeborenen sprangen zurück ins Kanu und verschwanden. Es dämmerte, und wir saßen wieder allein und paddelten wie verrückt, um nicht von neuem auf See zu treiben.
Gerade als das Dunkel sich über die Insel legte, kamen vier Kanus hinter dem Riff hervorgetanzt, und bald wimmelte es von Polynesiern an Bord; alle wollten uns die Hand schütteln und Zigaretten haben. Mit diesen ortskundigen Kerlen an Bord war keine Gefahr mehr, die ließen uns nicht wieder ins Meer und aus den Augen. Heute abend würden wir also an Land sein.
Rasch zogen wir Taue von den Hecks aller Kanus zum Bug der »Kon-Tiki«, und die vier stattlichen Auslegerkanus spannten sich fächerförmig wie Zughunde vor das Floß. Knut sprang ins Schlauchboot und suchte sich einen Platz mitten zwischen den Kanus. Wir anderen verteilten uns mit Paddelrudern auf die Seitenstämme der »Kon-Tiki«. Und damit begann das Tauziehen gegen den Ostwind.
Es war nun pechschwarz, bis der Mond heraufkam und frischen Wind mitbrachte. Drinnen auf Land hatte die Bevölkerung des Dorfes allerhand Brennbares zuammengetragen und einen großen Scheiterhaufen angezündet, um uns die Richtung zum Durchgang im Riff anzuzeigen. Das Donnerdröhnen umgab uns im Dunkel wie ein ewig lärmender Wasserfall und wurde stärker und stärker.
Wir sahen nicht die Mannschaft, die uns draußen in den Kanus zog, aber wir hörten, daß sie aus vollem Hals aufmunternde Krieglieder auf polynesisch sang. Knut war auch dabei. Das hörten wir. Jedesmal, wenn den Polynesiern die Luft ausging, hörten wir Knuts einzelne Stimme, der sein ». . . wandern wir mit frischem, frohem Mut« zwischen die Chöre der Eingeborenen hinausschmetterte. Um das Chaos komplett zu bekommen, stimmten wir am Floß mit ein, und zwar mit dem Lied: »Tom Brown's baby had a pimple on his nose.« Mit Lachen und Gesang legten sich Weiße und Braune in die Paddelruder.
Die Stimmung war auf dem Höhepunkt. Siebenundneunzig Tage und endlich in Polynesien! Am Abend würde es ein Fest im Dorfe geben. Die Eingeborenen jubelten, riefen und schrien. Auf Angatau lief nur einmal im Jahr ein Schiff an, wenn nämlich der Kopraschoner von Tahiti kam, um Kokoskerne zu holen. So würde es heute abend hoch hergehen um den Holzstoß da drinnen auf Land.
Aber das Biest, der Wind, war zäh. Wir hieben ein, daß wir es in allen Knochen spürten. Wir hielten die Stellung, aber das Feuer näherte sich nicht, und der Donner vom Riff blieb jetzt in seiner Stärke gleich. Kurz darauf hörte der Gesang auf. Es wurde still. Alle hatten vom Rudern mehr als genug. Das Feuer bewegte sich nicht, es tanzte nur mit den Wellen auf und nieder. Es vergingen drei Stunden, und es war neun Uhr geworden. Dann begann es langsam, verkehrt zu gehen. Wir waren fertig.
Wir machten den Eingeborenen begreiflich, daß wir mehr Hilfe von Land brauchten. Sie erklärten uns, daß zwar noch Männer genug an Land wären, aber es gab nicht mehr als diese vier seegängigen Kanus auf der ganzen Insel.
Knut tauchte mit dem Schlauchboot aus dem Dunkel auf. Er hatte eine Idee. Er wollte mit den Schlauchboot hineinrudern und weitere Eingeborene holen. Zusammengedrängt konnte man fünf bis sechs Mann darauf unterbringen.
Das war aber allzu riskant. Knut hatte keine Ortskenntnis. Es würde ihm nie gelingen, sich bei dieser ägyptischen Finsternis zur Öffnung im Korallenriff durchzutasten. Er schlug vor, den Anführer der Eingeborenen mitzunehmen, der konnte ihm den Weg zeigen. Ich fand auch nicht, daß diese Idee überzeugend war. Der Eingeborene hatte keine Erfahrung in der Behandlung eines schwerfälligen Gummibootes bei einer engen und gefährlichen Durchfahrt. Aber ich bat ihn, den Anführer zu holen, der vorn im Dunkel mitpaddelte. Da würden wir zu hören bekommen, was er von der Situation hielt. Es war deutlich genug, daß es nicht länger möglich war, die Abtrift hintanzuhalten.
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