Knut bekam einige von den flottesten Kerlen zu fassen und machte ihnen Zeichen, sie sollten ihm im Schlauchboot hinausfolgen. Da kam ein großer, fetter Mann dahergewackelt, von dem Knut annahm, es mußte der Häuptling sein, denn er hatte eine alte Uniformmütze auf dem Schädel und sprach mit lauter, bestimmter Stimme. Alle machten ihm Platz. Knut erklärte sowohl auf norwegisch wie auf englisch, daß er Leute brauche und unverzüglich zum Floß zurückfahren müsse, bevor wir anderen unseres Weges trieben. Der Häuptling strahlte wie die Sonne und verstand absolut nichts, und trotz Knuts wildesten Protesten schleppte ihn der ganze schreiende Haufe mit hinauf ins Dorf. Hier wurde er von Hunden, Schweinen und Hühnern empfangen, schöne Südseemädchen brachten ihm frische Früchte. Es war klar, daß sich die Eingeborenen bemühten, Knuts Aufenthalt so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Aber Knut ließ sich nicht verführen, er dachte mit Wehmut ans Floß, das gegen Westen entschwand. Die Absicht der Eingeborenen war offenkundig. Sie sehnten sich nach Abwechslung und Gesellschaft und wußten, daß es auf den Fahrzeugen der weißen Männer sehr angenehm war. Wenn es ihnen glückte, Knut an Land zu behalten, kamen wohl wir anderen und das merkwürdige Boot auch herein. Kein Fahrzeug verließ einen weißen Mann auf einer so abgelegenen Insel wie Angatau.
Nach bemerkenswerten Abenteuern kam Knut los und erzwang sich seinen Weg hinunter ins Schlauchboot, umringt von Bewunderern beiderlei Geschlechts. Seine internationalen Laute und Gebärde waren nicht länger mißzuverstehen. Er mußte und wollte zurück zu dem merkwürdigen Fahrzeug da draußen in der Nacht, das es so eilig hatte, daß es, ohne anzulegen, weiterwollte.
Da versuchten es die Eingeborenen mit einer List und deuteten ihm, daß wir eben hinter der Landspitze anliefen. Knut war einen Augenblick verwirrt, aber da hörte er die lauten Stimmen drunten am Strand, wo Frauen und Kinder das qualmende Feuer unterhielten. Es waren die drei Kanus, die soeben zurückgekommen waren. Die Burschen kamen herauf und brachten Knut unseren Zettel. Er war in einer verzweifelten Situation. Hier war die strikte Anweisung, nicht allein wieder aufs Meer hinauszurudern, und alle Eingeborenen schlugen rundweg ab, mit ihm zu kommen.
Unter den Einheimischen wurde in den höchsten Tönen gestritten und debattiert. Die, die draußen gewesen waren und das Floß gehalten hatten, verstanden nur zu gut, daß es zwecklos war, Knut zurückzuhalten in der Hoffnung, uns andere damit an Land zu bekommen. Schließlich bewogen Knuts Versprechungen und Drohungen in internationalem Tonfall drei Kanumannschaften, ihm hinaus aufs Meer auf Jagd nach der »Kon-Tiki« zu folgen. Und mit dem Schlauchboot im Schlepp ging es wieder in die Tropennacht hinaus. Bewegungslos stand alt und jung am sterbenden Feuer und sah dem neuen hellhäutigen Freund nach, der ebenso rasch verschwand, wie er gekommen war.
Weit draußen auf dem Meer bekam Knuts Gefolge die schwachen Lichtsignale des Floßes zu sehen, wenn die Wogen die Kanus in die Luft hoben. Die schmalen und schlanken Polynesierkanus, die sich auf einen zugespitzten Ausleger stützen, schnitten wie Messer durch die Wasserfläche, aber Knut schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis er die runden, dicken Stämme der »Kon-Tiki« wieder unter seinen Füßen spürte.
»War es schön an Land?« fragte Torstein neidisch.
»Oi, oi«, meinte Knut, »die Hula-Mädchen müßtest du gesehen haben!«
Wir ließen das Segel eingeholt und das Ruder oben an Deck. So krochen wir alle sechs in die Bambushütte und schliefen wie die Rollsteine auf Angataus Strand.
Drei Tage lang trieben wir nun übers Meer, ohne Land zu sichten.
Wir trieben direkt gegen die schicksalsschwangeren Takume- oder Raroiariffe, die zusammen siebzig bis achtzig Kilometer des Meeres vor uns absperrten. Wir machten verzweifelte Versuche, an der Nordseite dieser gefährlichen Riffe vorbeizusteuern. Es sah aus, als ob es gut gehen würde, bis der Posten eines Nachts hereingefahren kam und alle Mann weckte.
Der Wind hatte sich gedreht. Er ging genau gegen das Takumeriff. Regen hatte eingesetzt, und alle Sicht war vollkommen weg. Das Riff konnte nach unseren Berechnungen nicht weit entfernt sein.
Mitten in der Nacht hielten wir eine Beratung. Jetzt ging es um unser Leben. An dem Nordende vorbeizukommen, war jetzt hoffnungslos. Wir mußten statt dessen versuchen, die Südseite zu erreichen. Wir drehten das Segel und legten das Ruder herum. So begaben wir uns auf eine gefährliche Segelfahrt, den labilen Nordwind im Rücken. Wenn der Ostwind wiederkam, bevor wir die ganze Lange dieser achtzig Kilometer langen Riffe passiert hatten, wurden wir hilflos in die Gewalt der Brandung hineingeschleudert.
Wir einigten uns über alle Vorkehrungen, falls es zum Schiffbruch kam. Wir mußten uns um jeden Preis an Bord der »Kon-Tiki« halten. Wir durften nicht auf den Mast klettern, von wo wir wie eine reife Frucht abgeschüttelt wurden, sondern wir mußten uns an die Stangen klammern, wenn sich die Wogen über uns walzten. Wir legten das Gummifloß lose auf Deck, und darauf banden wir einen kleinen, wasserdichten Radiosender fest, etwas Proviant, Wasserflaschen und Medizingerät. Das würde an Land gewaschen werden, unabhängig von uns, falls wir wohlgeborgen, aber mit leeren Händen über das Riff kommen sollten. Am Heck der »Kon-Tiki« befestigten wir ein langes Seil mit einem Schwimmer. Der mußte auch an Land gespült werden, so daß wir dann versuchen konnten, das ganze Floß hereinzuziehen, falls es draußen am Riff hangenbleiben sollte. Und dann krochen wir in die Koje und überließen die Wache dem Steuermann da draußen im Regen.
Solange der Nordwind hielt, glitten wir sacht, aber sicher, die Front der Korallenriffe entlang, die hinter dem Horizont auf uns lauerte. Aber eines Nachmittags erstarb der Wind völlig, und als er sich wieder rührte, war er nach Osten umgeschlagen. Erichs Position zufolge lagen wir allerdings schon so weit südlich, daß wir jetzt Hoffnung hatten, an der äußersten Spitze des Raroiariffs vorbeizusteuern. Wir wollten versuchen, dahinter zu kommen und damit in Lee, bevor es uns gegen andere Riffe weitertrieb.
Als die Nacht kam, waren wir hundert Tage auf See gewesen. In der Nacht wachte ich auf und fühlte mich ruhelos und unbehaglich. Es stimmte etwas auf den Wogen nicht. Die »Kon-Tiki« bewegte sich gewissermaßen ein wenig anders, als sie sonst unter solchen Verhaltnissen zu tun pflegte. Wir wurden eine Veränderung im Rhythmus der Stämme gewahr. Ich dachte sofort an den Rückprall von einer Küste, die sich näherte, und war ständig draußen auf Deck und oben im Mast. Es war nur Meer zu sehen, aber ein ruhiger nächtlicher Schlaf wurde es nicht. Die Zeit verging.

Die Vögel sind die ersten Boten Polynesiens, noch viele Tage, bevor wir Land sichten. Sehnsüchtig blicken wir ihnen nach.

Land in Sicht! Nach 93 Tagen auf offener See erblicken wir zum ersten Mal Land bei Puka-Puka. Aber Wind und Strömung treiben uns rasch vorbei, und die Insel verschwindet wieder am Horizont.

Die „Kon -Tiki" steuert aufs Land zu. Ein Inferno von Brechern sperrt den Weg ins Korallenriff. Fürchterlich mitgenommen, wird das Floß endlich von Wogen und Sog freigegeben und auf die Korallenklippen hinaufgeschleudert.

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