An Bord erwachte nun alles zum Leben. Der fette Kapitän bequemte sich auf das Achterkastell und rief einen unverständlichen Befehl in eine offen stehende Luke hinein. Unter Deck waren Kommandos zu hören, und die Ruderer wechselten den Takt, um das Schiff von der Mitte des Flusses behutsam nach links zu schieben. Der Hafen schien sich zu öffnen wie ein flacher Schlund. Es dauerte nicht lange, dann lag das Schiff an einem der Stege fest, und die Mannschaft machte sich daran, die Vertäuung der Wagen zu lösen. Caius und Lucius schickten einen der Leibwächter in die Stadt, um eine geeignete Herberge zu suchen. Als er zurückkehrte, waren die Wagen von Bord gebracht und die Pferde angespannt. Die beiden Jungen nahmen in ihrem Reisewagen Platz, und die kleine Kolonne setzte sich wieder in Bewegung. Es ging durch großzügig angelegte Straßen, die anders als in den gewachsenen Städten Italiens genug Platz für zwei in entgegengesetzter Richtung verkehrende Fuhrwerke boten. Eine Baustelle reihte sich an die nächste. Überall entstanden Geschäfte, Inschriften wurden angebracht. Und obwohl ihm alles von der Architektur der Gebäude bis hin zur Kleidung der Arbeiter vertraut vorkam, hatte Caius das merkwürdige Gefühl, dass hier etwas anders war als zu Hause. Es dauerte eine Weile, bis er dahinterkam, was ihm unterbewusst aufgefallen war: Hier gab es keine Müßiggänger. Jeder hatte irgendetwas zu tun.
Nach fünf oder sechs Biegungen hielten die Wagen an. Sie standen vor einer Herberge. Vor dem Wagenschlag erschien ein Mann, der sie mit fremdartigem Akzent überschwänglich begrüßte und dann unaufgefordert begann den Komfort des Hauses anzupreisen. Seinem Wortschwall konnte man entnehmen, dass es hier neben zahllosen anderen Annehmlichkeiten eine eigene kleine Thermalanlage gab. Das aufdringliche Gerede des Mannes unterschied sich in nichts von den wortreichen Ausschmückungen, mit denen die Wirte zu Hause noch die schimmligste Absteige als komfortable Unterkunft verkauften. Sie lernen wirklich schnell in der Provinz, dachte Caius.
Nachdem das Gepäck in den tatsächlich sehr sauberen und geräumigen Zimmern verstaut war, nahmen Caius und Lucius ein üppiges Mittagessen ein und machten sich auf den Weg, um Kontakt mit Silanus aufzunehmen. Sie fragten sich zum Stabsgebäude in der Mitte der Stadt durch, das noch nicht fertig errichtet war. Hinter einem weitläufigen Peristyl lag ein unverputzter Zentralbau, dessen rechte Seite bis zum Dach eingerüstet war. Von oben erklang das Hämmern von Dachdeckern, die irgendwo im Gebälk herumstiegen.
Als sie das Gebäude betraten, roch es nach frisch zurechtgesägtem Holz. Die Amtsstuben, die rechts und links von der Eingangshalle abzweigten, waren schon voll eingerichtet. Ein paar Offiziere standen herum, und Schreiber wieselten mit Stapeln von Wachstafeln hin und her. Gegenüber dem Eingang war eine offen stehende zweiflügelige Schiebetür in die Wand eingelassen. Sklaven schleppten eine Kline in den Raum dahinter, wo irgendetwas aufgebaut wurde. Alle schienen damit beschäftigt, eine größere Veranstaltung vorzubereiten.
Caius rief einen der umhereilenden Schreiber zu sich. »Wir suchen den Tribun Publius Cornelius Silanus«, sag te er knapp, aber höflich. »Er gehört zum Stab der XVIII. Legion.«
Der Angesprochene wusste sofort Bescheid. »Gestern war er hier«, sagte er, ohne nachzudenken. »Und heute Abend findet die große Besprechung mit dem Statthalter und den Legaten statt«, fuhr er fort. »Da wird er auf jeden Fall dabei sein. Was wollt ihr denn von ihm, wenn ich fragen darf?«
»Er ist mein Onkel«, gab Caius zurück. Angeheiratet, dachte er. Zweiten Grades.
»Ach so«, sagte der Schreiber und blickte etwas unschlüssig. »Wenn ihr ihn vorher treffen wollt, dann versucht es mal in seiner Unterkunft. Er ist bei Sileas in der Herberge. Wenn ihr aus dem Peristyl kommt und euch rechts haltet, ist sie an der Ecke zur dritten Querstraße.«
Caius war erstaunt, wie gut der Mann informiert war. Sie bedankten sich und gingen.
Silanus war nicht in der Herberge, und der Wirt, der die beiden misstrauisch musterte, wusste auch nicht, wo sie ihn finden konnten. Schließlich ließ er sich dazu herab, ihnen zu sagen, dass Silanus um die zehnte Stunde einen Umtrunk in der Gaststube zu sich zu nehmen pflegte. Weil bis dahin noch viel Zeit war, beschlossen Caius und Lucius sich in der Stadt umzusehen. Sie tauchten ein in das Stimmengewirr aus keltischen, germanischen und lateinischen Lauten, schoben sich durch das geschäftige Gedränge des Forums, blieben hier und da stehen und betrachteten die Auslagen der verschiedensten Marktstände.
Nachdem sie eine Weile ohne besonderes Ziel hin und her geschlendert waren, entdeckte Caius einen Händler, der auf einem Schemel hinter einem Holztisch saß, auf dem mehrere Messer und Dolche ausgestellt waren. Er trat näher. Die Arbeiten wirkten anders als der übliche Tand, der angeboten wurde. Einer der Dolche war von einer außergewöhnlichen, fremdartigen Schönheit. Die schlanke Klinge lief im oberen Drittel in sanftem Schwung zur Spitze aus. Das eigentlich Auffällige aber war der Griff, der wie eine stilisierte Figur mit ausgebreiteten Armen und Beinen geformt war, dabei bildete der Kopf der Figur den Knauf, und die Beine, zwischen denen die Klinge herauszuwachsen schien, das Heft. Der Griff wurde durch den langgestreckten Oberkörper geformt, der in der Mitte durch ein Band aus eingelegten roten Steinen geteilt wurde, das in geometrischen Mustern wie eine Art Gürtel um die Figur lief. Die Schlichtheit der stählernen Klinge, die nur angedeuteten Gliedmaßen und der Kopf ohne Gesicht standen in einem fast magischen Kontrast zum raffinierten Muster der Einlegearbeit, deren Steinchen sich beim genaueren Hinsehen in winzigen Farbvariationen zu einer Art Schlange formten, die sich selbst in den Schwanz biss. Caius hatte so einen Dolch noch nie gesehen, auch wenn die Art der Ornamente ihn an eine gallische Arbeit erinnerte, die ihm irgendwann einmal jemand in Rom gezeigt hatte. Er trat näher an den Tisch heran, ohne sich um Lucius zu kümmern, der hinter ihm stehen geblieben war. Der Händler hatte sofort gemerkt, was Caius so faszinierte. Er blickte aufmunternd.
Caius nahm den Dolch, wog und drehte ihn. »Liegt gut in der Hand«, murmelte er und sogleich fiel ihm ein, dass er mit solchen Bemerkungen nur den Preis in die Höhe trieb.
»Das ist der Dolch, den Vercingetorix bei Alesia getragen hat«, sagte der Händler mit hintergründigem Lächeln und gallischem Akzent.
Auch eine Art, ein Verkaufsgespräch zu beginnen, dachte Caius. Er kannte diesen Schlag von Händlern aus Rom. Sie betrogen einen auf derart liebenswürdige Weise, dass man sich bei vollem Bewusstsein übers Ohr hauen ließ. »Sicher«, gab er zurück und wies auf das schlichte Messer an seinem Gürtel. »Und das hier ist Cäsars Schwert.«
Der Händler lächelte listig und beugte sich vor. »Wird Cäsars Schwert nicht im Marstempel in Rom aufbewahrt?«
Einen kurzen Augenblick lang war Caius verblüfft, wie gut dieser Gallier informiert war, doch es gelang ihm, sich nichts anmerken zu lassen und das Spiel mitzuspielen. Er beugte sich ebenfalls vor. »Das Schwert im Marstempel ist eine Imitation. Das hier ist das echte.«
Der Händler lachte. »Das glaube ich dir aufs Wort.«
»Dann schlage ich vor, dass wir tauschen«, erwiderte Caius.
»Und ich schlage vor, dass du fünfzehn Denare drauflegst.«
»Acht.«
»Zwölf.«
»Zehn.«
»Elf.« Der Händler lächelte freundlich, aber mit einer Mischung aus Unerbittlichkeit und diabolischem Vergnügen. Er zog die Augenbrauen hoch. »Und?«
»Elf. Aber die Scheide kriege ich dazu.«
»Abgemacht.« Der Gallier kramte in einer Kiste unter seinem Tisch und holte eine Lederscheide hervor. »Immer wieder ein Vergnügen, mit euch Römern Geschäfte zu machen.«
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