»So, tut er das?«
»Ja. So wie du die Oliven schätzt.«
Der Brukterer grinste über sein breites Gesicht und kaute weiter. »Die Oliven werde ich vermissen«, sagte er undeutlich.
Um Irmins Mund spielte immer noch das kalte Lächeln. »Dann iss dich vorher satt.«
Während Fastrada weiter zwischen ihrer Mutter und ihren Schwestern hin und her blickte, als folgte sie deren Unterhaltung, dachte sie angestrengt nach. Wovon war hier bloß die Rede? Wer war dieser zweifelhafte Freund?
Der Brukterer hatte gerade den letzten Bissen heruntergeschluckt und wollte etwas sagen, da erhoben sich vor dem Haus erregte Stimmen.
Das Geschrei schwoll an, als ob sich dort draußen eine Menschenmenge versammelte. Fastrada hob den Kopf, und auch die anderen lauschten.
Irmin stand als Erster auf. »Mal sehen, was da los ist«, sagte er. Nach und nach begaben sich auch Inguiomer und die Gäste zum Eingang.
Fastrada sprang von ihrem Schemel und lief der Gruppe hinterher. Draußen war es so hell, dass sie sich die Hand über die Augen halten musste. Das ganze Dorf schien auf den Beinen. Aus den zwanzig verstreuten Gehöften und aus den in den Boden eingesenkten Arbeitshäusern liefen die Menschen herbei und strebten dem südlichen Tor der Einfriedung zu, wo gerade ein kleiner Zug bewaffneter Männer angekommen war, in dessen Mitte ein Ochsenkarren stand. Darauf befand sich ein Käfig aus zusammengebundenen Ästen. Fastrada traute ihren Augen kaum: In dem Käfig hockte ein kleiner Bär. Irmin, Inguiomer und die Besucher bahnten sich einen Weg durch den Auflauf aus Männern, Frauen und Kindern. Als die Menge sich teilte, sah sie weitere Männer, die einen Balken geschultert hatten, an dem ein ausgewachsener Bär mit den Pranken festgebunden war, den sie nun zu Boden fallen ließen. Der Bär war tot.
»Wo habt ihr den denn erwischt?«, rief jemand.
»Ganz hinten an der Flussschleife«, gab einer der Männer zurück, die den toten Bären getragen hatten. »Die hat sich ganz schön gewehrt!«
»Kein Wunder, wenn sie Junge hat.«
»Keiner verletzt?«
»Nein.«
»War nur ein Junges dabei?«
»Nein, zwei. Das andere ist entwischt.«
Die Gruppe der Ankömmlinge bestand aus zwölf Männern, aber Fastrada kannte nur einen von ihnen, er ging manchmal mit ihrem Vater zur Jagd. Während alle um sie herum durcheinanderzuplappern begannen, trat sie an den Käfig heran. Der kleine Bär war völlig eingeschüchtert. Er schaute nervös blinzelnd um sich und kratzte am Gitter des Käfigs herum. Ein kleiner Junge, der sich ebenfalls dicht an den Käfig herangetraut hatte, steckte ein kleines Holzschwert durch das Gitter. Der Bär machte einen ungelenken Satz in die andere Ecke des Käfigs.
»Verschwinde!«, fuhr Fastrada den Jungen an, der sofort ein paar Schritte zurückwich.
Aus der Gruppe der Ankömmlinge war ein athletischer, hochgewachsener Mann mit dichten schwarzen Locken in römischer Tunika hervorgetreten.
Irmin, der den toten Bären mit dem Fuß angestoßen hatte, wandte sich auf Lateinisch an den Römer. »Was soll das?«, fragte er.
Der Mann schien Fastradas Cousin zu kennen. »Präfekt«, sagte er mit einer leichten Verneigung. »Ich bin Publius Fulvius Corvus. Ist alles bezahlt.«
»Das will ich hoffen«, gab Irmin unfreundlich zurück. »Was willst du damit?«
»Der Große interessiert mich nicht«, erwiderte der Römer und blickte teilnahmslos auf den Kadaver, dessen rechte Flanke mit Blut verschmiert war. »Wenn einer von euch ihn haben will – bitte.«
»Und der kleine?«
»Hat eine weite Reise vor sich.«
»Für den Zirkus?«
»Wofür sonst?«
Irmin nickte. »Grüß mir Rom.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich hoffe, er wehrt sich ordentlich.«
Der Römer grinste. »Ein germanischer Bär. Die wehren sich immer.«
Irmin grinste zurück. »Wenn man sie reizt, erst recht«, sagte er vieldeutig. Dann wandte er sich an seine Gäste und wies auf das tote Muttertier. »Solltet ihr noch Zeit haben, wartet, bis der da abgehäutet ist. Ich lasse euch was übrig.«
Den Rest des Nachmittags verbrachten Irmin, Inguiomer und ihre Gäste wieder allein in dem großen Versammlungshaus.
Fastrada aber wollte niemanden sehen. Sie lief zwei Stunden durch den Wald und grübelte vor sich hin. Sie hatte schon öfter tote Bären gesehen. Wenn die Männer auf ihren Streifzügen einem begegneten, erlegten sie ihn, schließlich vergriffen sich die Bären nicht nur am Wild des Waldes, sondern kamen manchmal sogar nachts in die Dörfer, rissen alles Vieh, was ihnen in die Klauen fiel, und plünderten die Vorratshäuser. Es war normal, dass man sie zur Strecke brachte. Aber der kleine Bär ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wusste aus Irmins Berichten, dass die Römer sich einen Spaß daraus machten, wilde Tiere in ihren Arenen von Kriegsgefangenen und Sträflingen zu Tode hetzen zu lassen. Sollen sie doch ihre eigenen Bären nehmen und unsere in Ruhe lassen, dachte sie. Als sie schließlich zum Dorf zurückkehrte, stand Irmin vor dem Eingang der Einfriedung. Er schien auf sie gewartet zu haben. Zögernd ging sie auf ihn zu.
»Besser?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie.
Sie schwiegen eine Weile. Schließlich ergriff Irmin wieder das Wort. »Weißt du noch, um was ich dich gebeten habe?«, fragte er.
»Castra Lupiana?«
»Ja.«
»Was hast du vor?«
»Ich möchte, dass du dort ein bisschen Gemüse verkaufst.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Doch. Nimm einen Wagen und misch dich unter die Bäuerinnen. Ins Lager kommst du nicht. Aber vor den Toren biwakieren unsere Leute.«
»Was soll das heißen?«
»Hilfstruppen. Marser. Brukterer. Chatten. Fast die ganze Kavallerie. Verkauf Gemüse und hör dich um. Ich will wissen, was sie wirklich denken. Nicht das, was Leute wie dieser Landogar mir erzählen.«
Fastrada schüttelte den Kopf. »Über was?«, fragte sie.
»Über die Römer. Wie sie über die Römer reden, wenn sie unter sich sind.«
In Fastradas Kopf arbeitete es. Das Gespräch beim Essen fiel ihr wieder ein. »Was hast du vor?«, fragte sie ängstlich.
»Vertraust du mir?«, gab er zurück.
»Vertraust du mir denn?«
»Würde ich dich sonst um diesen Gefallen bitten?«, entgegnete Irmin.
»Dann sag mir, was du vorhast. Was willst du wissen? Und warum?«
Irmin holte tief Luft und blickte sich um, als fürchtete er Lauscher hinter der Palisade. Schließlich gab er sich einen Ruck. »Ich will wissen, ob sie bereit sind, sich an einem Aufstand gegen die Römer zu beteiligen.«
Caius folgte seinem Freund unauffällig aus dem Peristyl. Lucius schien genau zu wissen, wo er hinwollte. Sie umrundeten den linken Seitenflügel des Stabsgebäudes und kamen in eine unbelebte Gasse, die an der Rückwand der Anlage vorbeiführte. Als Caius das Baugerüst sah, das sich über die ganze Länge der kleinen Straße an die Ziegelmauer schmiegte, begriff er, welche Eingebung sein Freund gehabt hatte.
In der Mitte der Gasse blieben sie stehen und horchten. Das Hämmern der Bauarbeiter war verstummt, offenbar waren alle nach Hause gegangen. Sie sahen sich um, und tatsächlich lehnte ein paar Schritte entfernt eine Leiter an einem der Balken, die aus der Mauer wuchsen und die Bretter der ersten Etage des dreistöckigen Gerüstes trugen. Über der Leiter war eine Aussparung, gerade breit genug, um einen Arbeiter durchzulassen. Darüber lehnte eine weitere Leiter für die zweite und darüber eine dritte für die letzte Etage, die bis an die Höhe der Dachkante reichte.
»Nichts wie rauf«, wisperte Lucius mit aufgeregter Stimme. »Der Besprechungsraum muss genau hinter dieser Wand liegen!«
»Was ist, wenn sie uns erwischen?«, fragte Caius, und im selben Augenblick kam er sich albern vor. Er wusste, dass Lucius nicht von seinem Vorhaben abzubringen war und dass er selbst viel zu neugierig war, um es ernsthaft zu versuchen.
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