»Ihr kanntet meine Mutter?«, war alles, was Alyss hervorbrachte.
»Dolores Mendoza? Gewiss. Sie war die hübscheste und charmanteste Spanierin, die mir je begegnet ist. Und du siehst ihr sehr ähnlich.«
Alyss und hübsch? Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, sich als hübsch zu bezeichnen. Von der Schönheit ihrer Mutter dagegen hatte ihr Vater früher auch immer geschwärmt. Sie musterte den Mann. Wenn er so liebenswürdig über ihre Mutter sprach, konnte sie ihm bestimmt trauen.
Sir Christopher führte seine Besucher durch die Doppeltür. Hier gab es noch mehr Bücher als in dem Raum, in dem Alyss das letzte Mal empfangen worden war. Es roch nach Leder, Papier und Druckfarbe. Alyss zerrte ungeduldig an der Kordel von Jacks Beutel und holte den Salamander hervor. Sie wollte so schnell wie möglich zur Sache kommen.
Doch der alte Mann blickte das Tierchen nur kurz an, bevor er es Alyss zurückgab. Dann rieb er sich den Rücken und ließ sich auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder.
»Dein Freund hier hat mir bereits alles berichtet. Ich werde so bald wie möglich einen Anwalt nach Hatton Hall schicken, der sich um die Angelegenheit kümmern wird.«
»Und der Salamander?« Alyss verstand nicht. Wieso wollte ihn jeder besitzen, nur Sir Christopher nicht? Sie betrachtete das Schmuckstück auf ihrer Hand. Die roten Steine auf dem Rücken des goldenen Reptils glitzerten. »Wieso hat mir Vater gesagt, dass ich ihn Euch bringen soll?«
Sir Christopher lächelte. »Das war nur so eine Idee deines Vaters. Bevor er das letzte Mal lossegelte, hatte er wohl eine Vorahnung. Er bat mich, falls du und das Hauspersonal mit einer Notlage nicht alleine zurechtkämen, euch beizustehen. Der Salamander sollte das Zeichen für mich sein, um einzuschreiten. Obwohl ich von dem Schiffbruch wusste, habe ich jedoch nichts unternommen. Ich war überzeugt, dass du bei deinem Onkel gut versorgt warst.«
»Aber wieso dieser Salamander? Wäre es nicht einfacher gewesen, einen Brief zu schicken?«
»Dein Vater arbeitete als königlicher Agent. Er liebte Heimlichkeiten. Außerdem war er Mitglied unseres Geheimbundes.« Wieder rieb er sich den Rücken. »Und der Salamander war unser Symbol.«
»Geheimbund? Was für ein Geheimbund?« Alyss hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Nur Sassa blieb wachsam hinter ihr stehen.
»Der Geheimbund des Salamanders«, begann Sir Christopher. »Wir waren eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich aus Naturphilosophen, Alchemisten, Mathematikern, Physikern, Chemikern, Ärzten, Astrologen und anderen Forschern zusammensetzte. Wir wollten mehr über die Welt um uns herum erfahren. Ein Salamander eignete sich wunderbar als unser Wappen. Schon seit Ewigkeiten haben Magier ihn zu ihrem Symbol gemacht. Er kann Feuer überleben und entsteigt den Flammen als weiseres Wesen. Genauso, wie uns Wissen in klügere Menschen verwandelt.« Er hielt einen Augenblick inne. »Leider gibt es den Geheimbund schon lange nicht mehr. Die meisten der Mitglieder sind verschollen oder verstorben. Nur dein Vater besuchte mich noch jedes Mal, wenn er in London war, bis er dann von seiner letzten Reise auch nicht mehr zurückkehrte.«
»Und was ist nun an dem Salamander so außergewöhnlich?«, beharrte Alyss. Sie strich mit ihrem Zeigefinger über die winzigen Rubinaugen des Schmuckstücks, dann drehte sie es um. »Was bedeutet dies hier?« Sie deutete auf die eingravierten Zeichen an der Unterseite. »Und vor allem würde ich gerne wissen, wieso alle hinter ihm her sind. Onkel Humphrey hat sogar den ganzen Garten umgegraben. Er sprach von einem Schatz.«
»Du lässt wohl nicht so schnell locker.« Sir Christopher lächelte. »Da bist du ganz wie dein Vater. Der wollte auch immer allem auf den Grund gehen.«
Sassa hatte sich inzwischen ebenfalls auf einen Hocker neben Alyss gesetzt und lauschte interessiert.
»Selbst ich habe erst kürzlich herausgefunden, welches Geheimnis sich dahinter verbirgt.« Sir Christopher seufzte. »Wenn wir schon damals gewusst hätten, welches Chaos ein kleines goldenes Reptil heraufbeschwören würde, hätten wir für unseren Geheimbund gewiss ein anderes Symbol gewählt.« Er deutete auf das Schmuckstück in Alyss’ Hand. »Dein Salamander ist nicht der einzige. Jeder von uns Wissenschaftlern hatte einen. Sie wurden früher in den spanischen Kolonien Amerikas sogar in Massenproduktion hergestellt. Spanische Seeleute sind fest davon überzeugt, dass goldene Salamander sie vor Feuer und bösen Kräften beschützen. Sie nehmen sie deswegen oft als Glücksbringer mit an Bord ihrer Galeonen. Außer Glück, meinen manche Leute auch, dass er den Besitzer zu Reichtum führen könnte.«
»Wie soll das möglich sein?«, unterbrach Alyss ihn.
Sir Christopher zuckte mit den Achseln. »Erst glaubte ich den fabelhaften Gerüchten selbst nicht, doch dann stieß ich auf ein altes spanisches Manuskript. Dort war die Rede von einem Schatz, nur statt einem braucht man zwei Salamander, um ihn zu finden. Die geheimnisvollen Zeichen auf den Unterseiten ergänzen sich und ergeben miteinander kombiniert einen Hinweis auf den Ort, wo dieser Schatz vergraben ist. Laut dem Manuskript braucht man obendrein eine Karte. Aber niemand hat sie je gesehen.«
»Ist das wirklich wahr?« Auch wenn alles unglaublich klang, erklärte es zumindest, wieso jeder das Schmuckstück besitzen wollte.
Sir Christopher nickte ernsthaft. »Ich weiß, es hört sich nach Flunkerei an, aber es handelt sich um eine durchaus verlässliche Quelle.« Er räusperte sich und schob seine Halskrause zurecht.
»Aber wenn es so viele Salamander gibt, woher will man denn wissen, welche die zwei richtigen sind?«
»Es gibt nur zwei mit den geheimnisvollen Schriftzeichen. Und deiner ist einer davon.«
Alyss sah sich die Symbole auf dem Bauch des goldenen Reptils genauer an. Vor Aufregung waren ihre Hände plötzlich ganz feucht. »Und wo ist der andere?«
»Wie die Karte seit vielen Jahren verschollen.«
»Ach«, seufzte Alyss enttäuscht. »Dann ist mein Salamander ja so gut wie nutzlos.«
»Nicht für dich.« Sir Christopher lächelte und wieder tauchten die Lachfältchen um seine Augen auf. »Er ist ein Andenken an deinen Vater. Das ist kostbarer als jeder Schatz. Und du musst gut auf ihn auspassen. Wer weiß, wann der andere Salamander wieder auftaucht und worum es sich bei dem Schatz handelt. In den falschen Händen können die schönsten Dinge sehr viel Schaden anrichten.«
Natürlich, das stimmte, aber bisher hatte der blöde Salamander Alyss nur in Schwierigkeiten gebracht. Sie stopfte ihn in den Beutel und zog die Kordel zu.
»Und was wird jetzt mit mir passieren?«, fragte sie.
»Das ist doch keine Frage. Natürlich bleibst du erst einmal hier, zumindest solange, bis wir die Angelegenheit mit Master Ratcliff erledigt haben. Wenn wir dann eure ehemaligen Angestellten aufgetrieben haben, kannst du zurück nach Hatton Hall.«
Alyss konnte es kaum fassen. Alles würde wieder wie früher werden. Nur ihr Vater blieb verschollen.
»In Ordnung. Dann geh ich jetzt«, verkündete Sassa, der bisher nur schweigend das Gespräch verfolgt hatte. »Ich muss wieder arbeiten.«
Bestürzt blickte Alyss zu dem Indianer hoch. Er durfte nicht einfach so aus ihrem Leben verschwinden, wie alle anderen, die sie je lieb gewonnen hatte. Sir Christopher schien ihre Gedanken zu lesen.
»Dein Freund ist jederzeit hier willkommen«, meinte er und blickte von Sassa zu Alyss. »Vielleicht kann er mir bei diesen Besuchen gleichzeitig von seiner Welt erzählen. Ich bin zu alt zum Reisen, würde jedoch gerne mehr von den Kulturen jenseits des großen Ozeans erfahren.«
Alyss strahlte übers ganze Gesicht. »Könnten wir dazu in Euren Garten gehen?«
»Natürlich«, erwiderte Sir Christopher. »Aber wozu?«
»Weil Sassa versprochen hat, mir zu zeigen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht«, erklärte sie und zwinkerte dem Indianer zu.
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